Ultramehrkampf

Bis ans Limit

Eine leere rote Laufbahn auf einem Sportfeld
Beim Ultramehrkampf gibt es doppelt so viele Disziplinen wie im Zehnkampf der Männer. © picture alliance / dpa / Romain Fellens
Von Gerd Michalek · 23.08.2015
Zwanzig Disziplinen an einem Tag: Ultramehrkampf ist das Härteste, was die Leichtathletik zu bieten hat. Besichtigen ließ sich das jüngst im niederländischen Heiloo.
Pünktlich um acht Uhr zieht es 14 Männer ins Stadion von Heiloo - heute Spielwiese für nimmersatte Leichtathleten:
"Die Herausforderung ist, dass man alles unter einen Hut kriegt, sprich die lange Strecke laufen kann, die kurze zwischendurch. Nach längeren Läufen ist es so, dass man erst mal nicht weitermachen möchte."
Heiko Strüber aus Osnabrück ist 48 und ein Späteinsteiger. Erst mit Ende 30 kam der Leistungsschwimmer zum Zehnkampf. Neben ihm auf der Bahn keuchen Briten, Belgier, Niederländer und ein Italiener. Oft gelernte Crossläufer oder Triathleten. Warum sie sich den Wettkampfstress an einem Tag antun? Pete Clark, 71 Jahre, nimmt das mit britischem Humor: "Ich finde es einfacher als an zwei. Ich wache nicht am Sonntagmorgen auf und denke: jetzt 110 Meter Hürden! Es ist alles an einem Tag vorbei!"
Gesundheitssport sieht anders aus, sagt Sportmediziner Professor Hans-Georg Predel: "Die Gefahren liegen darin, dass, wenn die Wettkämpfe zu komprimiert ablaufen, die Regenerationszeiten zu kurz sind und die Verletzungsanfälligkeit zunimmt."
Die Kunst beim Ultramehrkampf: Kräfte einsparen ohne zu bummeln
Kein Wunder - zum 20-Kampf gehören allein zwölf Laufdisziplinen von 100 bis 10.000 Meter. Dazu acht technische Disziplinen in Sprung und Wurf. Die Akteure nennen sich wegen der ständigen Übersäuerung auch "Laktat-Junkies". In Heiloo auf der Laufbahn sind inzwischen drei Stunden um, vier Disziplinen geschafft.
"Bisher fühlt es sich gut an. Jetzt kommen die 5000 Meter. Ich versuche mich zurückzuhalten."
Die Kunst beim Ultramehrkampf: Kräfte einsparen ohne zu bummeln. Schließlich will Heiko am Ende gut 9000 Punkte erreichen. Auch der 63-jährige Niederländer Wim Threels, eine Ausdauer-Granate, hat sich viel vorgenommen:
"Der Weltrekord in meiner Altersgruppe ist ziemlich niedrig. Falls ich ins Ziel komme, werde ich ihn schaffen."
Bei Wim läuft es richtig rund - obwohl es ab der fünften Disziplin ganz herbe Kombinationen gibt: 5000m-Lauf, dann flotte 800m, ein schnellkräftiger Hochsprung, und ein 400m-Sprint, wo man heftig übersäuert. Nicht zu vergessen: Hammerwerfen!

Die sogenannten "Ultras" sind keine Technik-Ästheten, die Hälfte schafft keine 20 Meter, Heikos Fazit:
"Hervorragend für meine Verhältnisse, 21 Meter habe ich bisher noch nicht geworfen!"
15 Stunden kann so ein Wettkampftag dauern
Die Sonne steht hoch. Als Zehntes wartet die Schlüsseldisziplin: der 3000-Meter-Hindernislauf. Reihenweise platschen die Läufer direkt hinterm Hindernis tief in den Wassergraben. Aufgeben will noch niemand. Nach kaum 15 Minuten Pause geht’s zum 110-Meter-Hürdenlauf.
Pete Clark nimmt einige Hürden im Gehen - Hauptsache ankommen. Disziplin Nummer 12, der Diskuswurf - quasi etwas zum Ausruhen. Dann spritzige 200 Meter - und ganz anspruchsvoll: Stabhochsprung. Heiko meistert für ihn gute 2,90 Meter. Zehn Minuten später plagt er sich über 400m Hürden.
"Dafür, dass es die 15. Disziplin ist, noch recht ordentlich. Zwei Sekunden schneller als ich gedacht habe."
Langsam sehen die Athleten Licht am Ende des Tunnels: Es folgt Speerwurf, wo der Osnabrücker mit 25 Metern unter dem Soll bleibt. Über 1500-Meter ist er wieder stark: in fünfeinhalb Minuten. Inzwischen hat erst ein Teilnehmer aufgegeben. Noch 13 japsen über die Strecke.
Der Dreisprung läuft für Heiko fast so gut wie im ausgeruhten Zustand. Zuletzt spornen sich alle noch mal gegenseitig an: Es wird schon dunkel, als die Mehrkampf-Familie die 10.000 Meter angeht.
Erschöpft, aber glücklich kommt Heiko ins Ziel. Ein 15-Stunden langer Wettkampf ist zu Ende, sein persönliches Ziel ist erreicht: 9023 Punkte. Die Nase voll vom Ein-Tages-Zwanzigkampf?
"Die Frage stellt sich nicht, denn so etwas wird derart selten angeboten, der letzte war vor fünf Jahren. Wenn dann in fünf Jahren mal wieder einer stattfindet, da werde ich wieder mitmachen."
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