Ulrich Grober: "Der leise Atem der Zukunft"

Entwurf einer machbaren Utopie

Eine Frau genießt am 08.07.2015 im Naturschutzgebiet Schliffkopf (Baden-Württemberg) die Aussicht des Panoramarundwegs.
Das sinnliche Erben der Natur spielt für Ulrich Grober auf dem Weg in eine zukunftsfähige Welt eine zentrale Rolle. © picture alliance / dpa / Daniel Naupold
Von Eike Gebhardt · 15.08.2016
Mit "Der leise Atem der Zukunft" entwickelt der Journalist Ulrich Grober sein großes Thema weiter: In seinem neuen Buch stellt er modellhafte Projekte vor, mit denen eine nachhaltige Welt Wirklichkeit werden kann.
"Die Entdeckung der Nachhaltigkeit" - so lautete der Titel eines Buchs, das Ulrich Grober bekannt machte. Streng genommen ging es um Wiederentdeckung: In den Sackgassen neoliberalen Wirtschaftens hatte er mit der Nachhaltigkeit ein begriffliches Weltkulturerbe wiederbelebt, das sich in vielen Religionen, Mythen und Weisheitslehren seit den frühesten Aufzeichnungen findet. In seinem jüngsten Buch "Der leise Atem der Zukunft" verknüpft Grober den Begriff mit diversen Zukunftsprojekten, die allerorten aus dem Boden schießen – und erklärt sie zu einem globalen Trend.

Die Haltung zur Natur verändern

Grobers Ansatz ist mit dem schönen Doppelsinn des Wortes "Einstellung" treffend beschrieben: Es geht ihm um eine andere Haltung zur Natur und zu den Mitmenschen, aber eben auch – gleichsam im fotografischen Sinn – um die Sichtweise, den Fokus: Was mit einer anderen Tiefenschärfe ins Blickfeld gerät, wird buchstäblich ein anderes Weltbild – das dann natürlich auch entsprechend unsere Haltung zur Welt verändert.
Er entwirft eine Utopie-Skizze: "Das Kalte-Herz-Syndrom" heißt das erste Kapitel – es beschreibt die Konkurrenzgesellschaft und ihre Selbstzerstörung. Es folgt ein kleiner Tugendkatalog: "Vom Wert der Entschleunigung" (mit Exkursen zum Wandern als einer Schule des Sehens) zum Lob der "Energiequelle Gelassenheit" (das Ideal der "Coolness" meine, ahnungsvoll, im Grunde ja dasselbe – nicht zufällig habe der Zeitgeist beide zu Modeworten gekürt) bis zu einem Plädoyer für Gemeingüter statt der obsessiven Privatisierung als Allheilmittel (das Interesse an Erhalt und Pflege sei ja bei Anteileignern nicht geringer). Ohne die Umwertung unserer Werte, also unserer scheinbar so natürlichen, so selbstverständlichen Lebens- und Handlungsmodelle, werde sich die Welt nicht ändern. Das, meint Grober, gelte vor allem für jene schrägen Plädoyers wie zum Beispiel "nachhaltiges Wachstum" - eine offenbare Absurdität -, im Grunde aber für jede angebliche "Alternativlosigkeit", die uns Politiker einzureden versuchen.

Überschaubare und lebensnahe Projekte für die Zukunft

"Die 'große Transformation' in eine nachhaltige Zukunft stellt sich momentan als eine Vielzahl von 'Wenden' dar: Energiewende, Agrarwende, Ressourcenwende, Forschungswende etc." Small is beautiful, hieß es einst – aber im Gegensatz zu früheren Versuchen, das Gesamtsystem zu revolutionieren, seien überschaubare Projekte handhabbar und lebensnah. Wie diese kleinen Projekte dennoch wirken sollen? Grober vertraut darauf, dass die Quantität solcher Projekte in eine neue Qualität Umschläge. Und verheddert sich damit auch nicht in abstrakten Programmatiken.
Über weite Strecken seines Buches beschreibt Grober tagebuchartig eine Natur, die noch nicht instrumentalisiert, das heißt, auf menschliche Zwecken gestutzt wurde. Er fragt, welche psychologischen und welche ästhetischen Folgen es hat, wenn wir die Natur sinnlich erleben. Zu welchen Gesellungsformen können sich Individuen zusammenschließen, die auf der Suche nach einem neuen Gemeinwohl sind? Dass der Autor dabei jeglichen politischen Diskurs ausspart, mag man als Taktik oder Fatalismus deuten. Und ja, kein einzelnes Detail ist neu an diesen Ideen. Aber Grober führt in seiner Dokufiktion die bekannten Stränge unterhaltsam zusammen. Er entwirft - und das ist neu - eine praktikable Utopie.

Ulrich Grober: Der leise Atem der Zukunft. Vom Aufstieg nachhaltiger Werte in Zeiten der Krise
Oekom Verlag, München 2016
272 Seiten, 19,95 Euro

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