Ukraine

"Wir glauben an den Standort nicht mehr"

Ein bewaffneter prorussischer Aktivist vor einer Barrikade in Slawjansk.
Ein prorussischer Aktivist vor einer Barrikade in Slawjansk. © Roman Pilipey, dpa picture-alliance
16.04.2014
Albrecht Metter führt ein IT-Unternehmen mit Niederlassungen auf der Krim und in Kiew. Der Heidelberger fordert scharfe Sanktionen gegen Russland. Metter befürchtet eine ähnliche Eskalation in der Ostukraine wie auf der Krim.
Julius Stucke: Ein Blick in die Ukraine - das ist in diesen Tagen ein Blick in den Osten des Landes, verständlicherweise ein Blick auf den Konflikt zwischen pro-russischen Separatisten und den Regierungstruppen. Wenn dann von der Krim-Halbinsel die Rede ist, dann als drohendes Beispiel. Die Frage: Geschieht im Osten dasselbe, die Abspaltung von der Ukraine hin zu Russland? Wir wollen wissen: Wie sieht es eigentlich auf der Krim gerade aus und wie erlebt ein deutsches Unternehmen vor Ort die Lage? Albrecht Metter ist Geschäftsführer des IT-Unternehmens Ameria mit Sitz in Heidelberg und auch in Simferopol auf der Krim. Guten Morgen, Herr Metter!
Albrecht Metter: Guten Morgen!
Stucke: Der Reihe nach, Herr Metter: Wie kam es denn zu diesem Firmensitz auf der Krim?
Metter: Ja, Heidelberg und Simferopol sind Partnerstädte, und ich habe 1999 während meines Studiums einen Ukrainer kennengelernt und wir haben Projekte, IT-Projekte zwischen den beiden Städten dann während unseres Studiums abgewickelt, unsere Firma gegründet und produzieren heute Marketing- und Vertriebstools wie zum Beispiel virtuelle Schaufenster, und da sind die Programmierer teilweise noch auf der Krim, aber auch sonst in Osteuropa mittlerweile verteilt, und das hat das bis jetzt immer sehr gut funktioniert.
Stucke: Sie sagen, die Mitarbeiter sind teilweise noch auf der Krim, wie viele sind denn noch vor Ort?
Metter: Es sind jetzt noch knapp über 40 Mitarbeiter auf der Krim.
Stucke: Und wie sehen die den Konflikt, was halten sie vom Anschluss an Russland?
Metter: Das ist eine sehr gute Frage, weil da liest man ja immer in der Presse, dass ein Großteil vor allen Dingen der ethnisch-russischen Bevölkerung für den Anschluss an Russland gewesen sei - das können wir nicht bestätigen. Wir haben hauptsächlich ethnisch russische Mitarbeiter, die natürlich auch russisch sprechen, wie eigentlich alle Bewohner der Krim oder des Ostens und auch teilweise des Zentrums der Ukraine, und diese Mitarbeiter haben sich größtenteils an diesem Referendum nicht beteiligt, und das gilt unserer Meinung nach für einen Großteil vor allen Dingen der jüngeren Bevölkerung. Und auch, wenn die eben russisch sprechen und sich als Russen fühlen, bedeutet das nicht automatisch, dass die dann den Anschluss an Russland auch gewünscht haben.
"Man traut sich nicht, auf der Straße auf Englisch zu sprechen"
Stucke: Und was hören Sie von Ihren Mitarbeitern vor Ort? Können die so bleiben und weiterarbeiten wie bislang?
Metter: Das ist auch eine schwierige Lage, die wir dort mittlerweile vor Ort haben. Einige von unseren Mitarbeitern möchten zum Beispiel gerne gehen, aber sie haben zum Beispiel alte Eltern, die sie pflegen müssen - die Ukraine oder die Krim hat nicht ein Sozialversicherungssystem wie hier in Deutschland, da sind Familienverbände teilweise sehr auf sich angewiesen. Und einige von unseren Mitarbeitern ... Wir hatten im Jahr 2012 über 100 Mitarbeiter in Simferopol, die haben wir seit 2012 bereits schrittchenweise, weil wir die Eskalation der Lage bemerkt haben, verlagert und andere Standorte in Osteuropa aufgebaut, aber es gibt eben manche Mitarbeiter, die können nicht gehen. Und ja, die Lebensverhältnisse werden dort schwieriger. Man traut sich dort zum Beispiel nicht, auf der Straße auf Englisch zu sprechen. Ein Mitarbeiter von uns, der mit einem deutschen Fahrzeug unterwegs war, wurde von einem großen russischen Jeep in den Straßengraben gedrängt letzte Woche und da traut sich jetzt auch keiner mehr, zur Polizei zu gehen nach solchen Vorfällen. Da haben Mitarbeiter jetzt auch wirklich ganz konkret Sorge um ihre eigene Sicherheit.
Stucke: Und wollen Sie trotz der Sorge um Ihre Mitarbeiter den Standort trotzdem halten?
Metter: Wir werden den Standort in Simferopol im Laufe des Jahres schließen müssen. Wir werden noch einige Mitarbeiter quasi im Homeoffice-Status dort behalten, langjährige Mitarbeiter, die eben nicht gehen können, aber wir werden definitiv anderen Unternehmen folgen, Metro, McDonalds, eine Konkurrenzfirma von uns aus Sewastopol, die auch dort sehr viele Programmierer hatte, über 150, und jetzt den Standort schließt, und wir werden diesem logischen wirtschaftlichen Schritt folgen, weil wir einfach weitere Investitionen an einem Standort, der eine große wirtschaftliche und politische Unsicherheit birgt, vermeiden möchten.
Ein Mann auf dem Lenin-Platz in Simferopol macht das Victory-Zeichen
Ein Mann auf dem Lenin-Platz in Simferopol macht das Victory-Zeichen© afp / Dimitar Dilkoff
Stucke: Das heißt, es sind, wenn ich das richtig verstehe, sowohl die Überlegung, was ist mit den Mitarbeitern, aber auch, wie sieht es mit der wirtschaftlichen Lage aus? Sie glauben nicht mehr an den Standort.
Metter: Nein, wir glauben an den Standort nicht mehr. Wir haben noch einen weiteren Standort in Kiew, der zurzeit zumindest als Übergangsstandort auch einige von den Mitarbeitern aus Simferopol gut auffangen kann. Generell sehen wir, dass die Gesamtlage in der Ukraine zurzeit deutlich schwieriger wird. Deshalb vertrauen wir dann mehr den Standorten in Rumänien, Polen und Weißrussland, und haben die Aufgaben auch ganz besonders seit Ende letzten Jahres, neue Projekte etc., zum Beispiel an diese Standorte dann auch verlagert, die aus unserer Sicht sicherer sind, oder dann auch teilweise hier auch bei uns im Standort in Heidelberg schon selber direkt durchgeführt, weil wir natürlich Lieferverpflichtungen gegenüber unseren Kunden haben. Und ich denke, dann ist es sinnvoll, dass man das eben an Standorten durchführt, wo man diesen Lieferverpflichtungen auch nachkommen kann.
Stucke: Herr Metter, lassen Sie uns noch mal aufs Thema Sanktionen schauen, da ist von Unternehmen ja mindestens Skepsis zu hören, die Industrie befürchtet Sanktionen, diese Überschrift habe ich die Tage gelesen. Sie aber engagieren sich in einem Verein, „Born in Europe" heißt der, ein Verein zur Unterstützung der europäischen Idee, und Sie fordern explizit Sanktionen. Warum fürchten Sie da also nichts?
"Wir haben eine Destabilisierung der ganzen Ukraine gemerkt"
Metter: Wir glauben, dass wir das, was wir auf der Krim gesehen haben, als Unternehmen vor Ort gesehen haben, dass sich das wiederholen wird. Wir haben gesehen, wie die Moskauer Führung das eine gesagt hat und in der gleichen Minute auf der Krim das Gegenteil passiert ist. Da hatten wir natürlich eine sehr gute Einsicht in die Lage, weil wir eben wirklich Mitarbeiter vor Ort hatten und auch teilweise unsere deutschen Kollegen zu dieser Zeit noch vor Ort auf Geschäftsreise gewesen sind. Und diese, ja, Ungeheuerlichkeit der Unwahrheit, die da im Raum stand, und der Gegensatz dessen, was wirklich passiert ist, das lässt alles darauf schließen, dass das eine sehr gut koordinierte, von langer Hand vorbereitete Aktion ist. Das können wir auch auf der Krim selber nachvollziehen. Wir haben seit den Parlamentswahlen 2012 eine sehr starke Destabilisierung der ganzen Ukraine gemerkt, sowohl von innen als auch von außen, aus der russischen Presse kommend, die dort mit einer Propagandawelle seit Jahren aufschlägt und Unwahrheiten verbreitet. Und ich bin kein Politiker, sondern ich bin ja Geschäftsmann, und als Geschäftsmann muss ich sagen, ist das so frappierend gewesen - und wir sehen jetzt das Gleiche wieder in der Ostukraine, was in der Ostukraine passiert, unsere Mitarbeiter haben da teilweise Verwandte, und wir sehen einfach die gleichen Vorgänge, die sich eins zu eins wiederholen. Und ich glaube, man kann dieser langfristigen Vorbereitung der Eroberung - gefühlt von uns - eines ganzen Landes nur entgegenwirken, indem man mit sehr scharfen und sehr deutlichen Sanktionen droht, um das aufzuhalten.
Stucke: Herr Metter, deshalb fordern Sie Sanktionen. Sie wollen aber auch, wenn ich das richtig gelesen habe, gleichzeitig etwas dafür tun, dass da kein Problem aufgebaut wird zwischen Europäern und Russen, Sie wollen gemeinsame Kulturtage. Was steckt dahinter?
Metter: Ganz genau. Wir glauben daran, dass ... Wir haben auch viele Freunde, um das andersherum auszudrücken, wir haben viele Freunde in Russland, in Moskau, junge Menschen, die sich genauso empören über den Kurs der russischen Politik. Es ist nicht so, dass die Bevölkerung zu 100 Prozent hinter Putin und seinem Kurs steht, sondern sie wollen sehr stark nach Europa, das sind viele junge Menschen. Und ich glaube, was jetzt in dieser Situation das Allerwichtigste ist: dass man die Westeuropäer und die Osteuropäer, also vor allem natürlich auch die russische Bevölkerung, sehr eng zusammenbringt. Und ich habe einen Vorschlag, der ist vielleicht etwas visionär oder auch etwas illusorisch, aber man sollte diesen Vorschlag zumindest doch einmal überdenken, ob es nicht möglich wäre, dass man jetzt auf Level der Bevölkerung so viel wie möglich kulturellen Austausch hat, zum Beispiel russische Kulturtage in allen Städten Europas, zu denen man die russische Bevölkerung auch einlädt, damit man der Propaganda der russischen Elite entrinnt und auf der unteren Ebene der allgemeinen Bevölkerung eben und nicht auf einem Kommunikationsweg wie den Medien einen besseren Austausch schafft.
Stucke: Sagt Albrecht Metter. Sein IT-Unternehmen hat einen Sitz auf der Krim - noch. Herr Metter. Ich danke Ihnen fürs Gespräch und einen guten Tag!
Metter: Danke schön, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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