Ukraine

"Tschüss, Jungs, haut ab!“

Mit bunten Graffitis besprühte Barrikaden blockieren den Chreschtschatyk, die zentrale Straße in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Nachdem sie die Polizeibusse passieren ließen, errichteten die Demonstranten neue Absperrungen. © Deutschlandfunk / Sabine Adler
Von Sabine Adler · 11.12.2013
Die Einladung zum Dialog seitens Janukowitsch am frühen Abend hält die Opposition nicht für glaubwürdig, nachdem in der Nacht friedliche Demonstranten festgenommen worden waren. Trotz nun abgezogener Polizeibusse: Auch die Demonstranten trauen dem Frieden nicht.
Der ukrainische Präsident fährt fort mit der Schaukelpolitik. Am frühen Abend war er es, der zum runden Tisch einlud, auch die Opposition - und an dem er persönlich teilnehmen werde, wie es in seiner Presseerklärung heißt. Auf ein Angebot seiner Amtsvorgänger gestern hatte er nicht reagiert. Dass die Europa-Demonstranten nach dem gestrigen Polizeieinsatz diesem Aufruf folgen, ist nicht zu erwarten, Vitali Klitschko will nur noch Druck, bis Regierung und Präsident zurücktreten.
"Wir verstehen: der Wunsch nach einem Dialog fehlt vollständig. Das hat die zurückliegende Nacht bestätigt. Uns ist deshalb nicht klar, wie man Gespräche führen will, wenn nachts die Polizei gegen friedliche Demonstranten vorgeht. Der einzige Ausweg sind Neuwahlen.“
33 Demonstranten wurden in der Nacht festgenommen, als sich die Sondereinheiten immer dichter an den Unabhängigkeitsplatz und das Rathaus herangearbeitet hatten, die Erstürmung drohte.
Klitschko, der wie Tausende die ganze Nacht bei minus 15 Grad auf den Beinen war, ist müde und heiser, aber fest entschlossen zu kämpfen. Der Boxweltmeister unterstützt diese Protestbewegung mit ganzer Kraft, er gibt alles und macht sich zugleich nicht die geringsten Illusionen.
"Die Leute kommen nicht meinetwegen auf den Maidan, nicht wegen Klitschko, sondern weil sie in einem zivilisierte Land leben wollen, wo die Rechte und Freiheiten jedes Menschen respektiert werden. Sie sagen mir ins Gesicht: Vitali, wenn du uns nicht schützt, suchen wir uns jemand anders, der sich für uns einsetzt.“
Pfeifkonzert für Sicherheitskräfte
"Tschüss, Jungs, haut ab!“, rufen die Demonstranten den Berkut-Einsatzkräften in den Bussen hinterher.
Die waren am Morgen vor das Kiewer Rathaus aufgefahren, das die Europa-Befürworter seit zehn Tagen belagern. Eine Erstürmung des Gebäudes wurde bereits in der Nacht befürchtet, nach dem die Stromversorgung gekappt worden war.
Mehrere tausend Ukrainer harrten vor der Administration aus, unablässig riefen sie "Banditen weg!“, pfiffen die Sicherheitskräfte aus, immer in der bangen Erwartung, dass die Polizisten aussteigen und das Gebäude einnehmen würden. Doch es kam anders, plötzlich setzte ein Bus zurück und bahnte sich seinen Weg durch die Menge, die anderen Busse folgten.
"Das ist ein erster Erfolg, wir haben erreicht, dass der Überfall der Berkut-Leute abgewehrt wurde. Das ist ein wichtiges erstes Signal, wir sehen, was wir erreichen, wenn sich unser Volk gemeinsam handelt.“
Ein anderer Mann ist vorsichtiger:
"Von Erfolg kann man erst sprechen, wenn wir gesiegt haben.“
Auch vom Unabhängigkeitsplatz fuhren Polizeibusse ab
"Zum Maidan, zum Maidan!“, rufen sie. Sie kämpfen weiter, die Menge kehrt vom Rathausziehen zum Maidan-Unabhängigkeitsplatz zurück, feiert dort einen weiteren Zwischenerfolg, denn auch vom Unabhängigkeitsplatz fuhren Polizeibusse ab.
Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, die seit gestern in Kiew ist, zeigte sich empört. Dreieinhalb Stunden hatte sie mit Präsident Janukowitsch gesprochen, der ihr seine Dialogbereitschaft versicherte. Die Regierung sollte nicht im Schutz der Nacht und unter Anwendung von Gewalt den Kontakt mit der Gesellschaft suchen, hatte sie per Twitter um halb vier nachts gemahnt.
Auch Polens Ex-Präsident Kwasniewski, einer der EU-Sonderbeauftragten für die Ukraine, kritisierte den nächtlichen Polizei-Einsatz. Der habe gezeigt, welche Art von Lösung sich Präsident Janukowitsch vorstellt.
Die Demonstranten trauen dem Frieden noch längst nicht, nachdem sie die Polizeibusse passieren ließen errichteten sie neue Absperrungen wie hier, wo ein Dutzend Männer einen Betonklotz auf die Straße hievt.
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