Ukraine

OSZE-Beobachter werden häufig behindert

Der  Leiter der OSZE-Mission in der Ukraine, Alexander Hug, inspiziert die Stelle des Flugzeugsabsturzes in der Ost-Ukraine und spricht mit pro-russischen Separatisten.
Der stellvetretende Leiter der OSZE-Mission in der Ukraine, Alexander Hug, inspiziert die Stelle des Flugzeugsabsturzes in der Ost-Ukraine und spricht mit pro-russischen Separatisten. © AFP / Dominique Faget
Alexander Hug im Gespräch von Liane von Billerbeck  · 24.07.2014
Der stellvertretende Leiter der OSZE-Mission in der Ukraine, Alexander Hug, klagt über wiederholte Behinderungen. Der Zugang sei häufig durch Kontrollposten erschwert. Da die zivilen Beobachter unbewaffnet seien, vermieden sie bestimmte Gebiete.
Liane von Billerbeck: OSZE-Beobachter sind so etwas wie offiziell bestellte Spione. Sie überprüfen, ob vereinbarte Abrüstungsmaßnahmen tatsächlich durchgeführt werden und wie die Streitkräfte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit aufgestellt sind. Als das Passagierflugzeug MH17 abgeschossen wurde, versuchten OSZE-Beobachter herauszufinden, was da geschehen ist und wer geschossen hat. Der Schweizer Alexander Hug gehört zur OSZE-Beobachtermission in der Ukraine und ist in Kürze mein Gast.
Alexander Hug ist jetzt am Telefon, OSZE-Beobachter in der Ukraine. Herr Hug, ich grüße Sie!
Alexander Hug: Guten Morgen!
von Billerbeck: Da wird eine Passagiermaschine und nun zwei Kampfjets abgeschossen, eine Beobachtermission losgeschickt, das finden alle gut, aber was machen Sie dann konkret?
Hug: Ich muss hier anfangs auch klarstellen, dass es nicht die Aufgabe ist der Spezialbeobachtermission der OSZE, in der Ukraine diese Untersuchungen nach der Absturzursache jetzt selbst in die Hand zu nehmen, das ist die Aufgabe von Experten und der Regierung. Unsere Aufgabe ist es, wie überall in der Ukraine an zehn verschiedenen Standorten, wo wir vertreten sind, Sachverhalte zu beobachten, diese Beobachtungen an unsere Teilnehmerstaaten der OSZE zu berichten und das auf täglicher Basis, um dann auch die verschiedenen Sachverhalte vergleichen zu können.
von Billerbeck: Wie beobachten Sie denn aber in so einer Situation, wenn ein Land oder abtrünnige Teile eines Landes gar nicht wollen, dass Sie herausfinden, was Faken ist und was Fake?
Hug: Wir verschaffen uns Zugang zu den Gebieten durch Verhandlungen mit den Rebellenführern und den bewaffneten Rebellen. Das war auch so der Fall, als wir 24 Stunden nach dem Absturz vor Ort waren. Und der Zugang und zumindest auch teilweise unsere Sicherheit wird dann durch diese Rebellenverhandlungen garantiert.
"Berichte beruhen auf Informationen, die wir selbst sehen oder verifizieren können"
von Billerbeck: Wem können Sie da bei Ihrer Mission trauen, wie unterscheiden Sie denn auch Informationen und Desinformationen?
Hug: Die Informationen, die wir selbst sehen und selbst verifizieren können, das ist die Information, auf welchen unsere Berichte beruhen. Information, die uns gegeben wird oder die auf den sozialen Medien herumgeistern, das kann ein Anhaltspunkt sein, ist aber nicht das Produkt, nach dem wir uns orientieren. Und somit ist der einzige Sachverhalt, dem wir vertrauen, derjenige, den wir selbst gesehen haben und selbst verifizieren konnten. Das ist genau auch die Kernaufgabe der Spezialmission hier in der Ukraine.
von Billerbeck: Wie oft wurden Sie denn in der Ukraine schon an Ihrer Arbeit gehindert?
Hug: Gehindert werden ist eine sehr große oder vage Beschreibung. Man muss sehen, dass die Absturzstelle zum Beispiel im Osten der Ukraine direkt an der Frontlinie liegt, das ist ein Kampfgebiet, zumindest war das so noch am Freitag letzte Woche, und dementsprechend ist der Zugang ziemlich schwierig, weil man muss sich durch verschiedene Checkpoints, Kontrollpunkte durcharbeiten, bis man dann vor Ort ist. Und all diese Zeit, die man dann verliert an diesen Kontrollpunkten, kann man als Verzögerung interpretieren. Es ist aber auch vielfach so, dass wir uns selbst aufgrund von Sicherheitsüberlegungen nicht in diese Gebiete wagen, weil als zivile, unbewaffnete Mission uns die Aufgabe in einem Kampfgebiet fast unmöglich gemacht wird und dementsprechend wir dort unser Mandat nicht umsetzen können.
von Billerbeck: Nun sind Sie alle Militärs, aber welche besonderen Fähigkeiten braucht man denn, wenn man OSZE-Beobachter ist?
Hug: Meine Kollegen und ich selbst, wir sind nicht alle Militärs. Wir bestehen aus Akademikern, aus ehemaligen Polizisten, aus Diplomaten und so weiter. Das ist eine gut gemischte Expertengruppe. Und das bringt auch dann die Kraft, die diese Beobachter haben, zusammen, diese verschiedenen Erfahrungswerte zusammen, auf diesem Trümmerfeld zum Beispiel, bringen dann die Möglichkeiten heraus, um in diese wirklich schwierigen und emotional schwierigen Situationen auch dann objektiv berichten zu können über mehrere Tage. Das macht die OSZE aus. Es ist auch zu erwähnen hier, dass die Mission hier aus über 40 verschiedenen Teilnehmerstaaten besteht, das sind nicht nur einige wenige, sondern es ist wirklich eine breit gefächerte multinationale Zusammenstellung. Und das bringt dann auch die verschiedenen Expertisen, auch die Möglichkeiten, sich direkt mit den Rebellen zu unterhalten, ohne Übersetzung. Und das macht den großen Unterschied aus hier zwischen uns und zum Beispiel speziellen Expertengruppen, die die Untersuchung selbst führen.
"Nicht vor Ort, um die Verursacher des Absturzes herauszufinden
von Billerbeck: Nun hat man ja im Fernsehen auch immer gesehen, wie OSZE-Beobachter behindert wurden. Ist das nicht manchmal auch sehr frustrierend?
Hug: Na, natürlich ist das frustrierend, aber das erwarten wir auch so, dass das so passiert. Es ist nicht das erste Mal, dass wir gehindert werden. Es ist halt nur, die weltweiten Medien haben da zum ersten Mal zugeschaut. Das ist uns schon seit der Etablierung der Mission am 21. März vielfach passiert und fast auf täglicher Basis passieren diese Zwischenfälle – und eine Blockade auf einer Straße, auf der wir uns dann zurückziehen können, ist noch das kleinste Problem. Wie Sie wissen, wurden vor kurzem acht unserer Mitarbeiter festgehalten als Geiseln, und das ist dann eine Eskalation der Zwischenfälle, und das versuchen wir natürlich zu verhindern. Und dementsprechend schränken wir uns auch in unseren Bewegungen ein.
von Billerbeck: Wie viel Offenheit ist erlaubt bei Ihrer Arbeit, wie gehen Sie mit den Fakten um, die Sie da herausfinden?
Hug: Alle Fakten, die wir direkt beobachten, werden wir in Berichten zusammenfassen. Die werden dann allen 57 Staaten zur Verfügung gestellt, und eine Zusammenfassung dieser Fakten wird dann auch öffentlich ins Netz gestellt. Informationen, die wir hören, die nicht in unser Mandat passen – das sind dann Informationen, die zum Beispiel die strafrechtliche Untersuchung oder die technische Untersuchung des Absturzes betreffen –, werden wir nicht selbst behalten, und diese dann entsprechenden Behörden zur Verfügung stellen. Unter diversen Maßnahmen. Da die Informationen, die wir sammeln und auch der diplomatischen Immunität unterstehen, und diese muss dann für diese spezielle Übergabe gehoben werden, sodass die Immunität nicht im Wege steht. Und für das gibt es klar definierte Prozesse, wie das gemacht werden muss.
von Billerbeck: Bei dem, was Sie da beobachten und herausgefunden haben, wie ist da Ihre Einschätzung? War Russland oder die prorussischen Separatisten nur der Urheber des Abschusses oder nicht?
Hug: Wie anfangs erwähnt, ist die OSZE nicht hier vor Ort, um die Ursache oder die Verursacher des Absturzes herauszufinden oder zu untersuchen. Was wir gesehen haben vor Ort, ist eine Tragödie, und wir haben die objektiven Bestandteile dieser Tragödie festgehalten in Berichten und diese dann auch den Teilnehmerstaaten zur Verfügung gestellt. Es ist nicht an der OSZE, zu spekulieren, wer hier dahinterstehen könnte, das steht nicht in unserem Mandat und ist den Experten und den Untersuchungsbehörden überlassen.
von Billerbeck: Der Schweizer Alexander Hug, Mitglied der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Hug: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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