Ukraine

"Nehmt sie ernst!"

Demonstranten zogen in Odessa mit der ukrainischen Nationalflaggen und anti-russischen Plakaten durch die Straßen.
In Odessa protestierten Ukrainer gegen den russischen Kurs von Präsident Putin © picture-alliance/dpa/Vladimir Petrov
Marie-Luise Beck im Gespräch mit Ute Welty · 15.05.2014
Die osteuropapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion fordert dazu auf, die Ukraine stärker in die Verhandlungen zur Lösung der Krise einzubeziehen. Viele Menschen seien irritiert über das Verhalten deutscher Politiker und der EU.
Ute Welty: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat bei seinem Besuch in Kiew und Odessa keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen, um nicht doch für diplomatische Lösungen für die Ukraine zu werben. Vor allem die Hafenstadt Odessa scheint für den Minister von geradezu symbolischer Bedeutung gewesen zu sein: auf der einen Seite Ort blutiger Auseinandersetzungen, auf der anderen Seite das Bemühen um Alltäglichkeit.
Frank-Walter Steinmeier: "Man spürt, dass das hier in der Stadt offenbar Folgen hat. Die Stadt ist ruhiger, wir erleben hier im Augenblick Alltag, die Menschen gehen ohne Angst flanieren in den Straßen. Insofern macht die alte Hafenstadt Odessa im Augenblick wirklich den Eindruck einer Stadt, die nicht weiter betroffen ist."
Welty: Marie-Luise Beck von den Grünen hat es dem Außenminister gleich getan und ist jetzt in Odessa. Guten Morgen, Frau Beck!
Marie-Luise Beck: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Das, was Frank-Walter Steinmeier da beschrieben hat – deckt sich das mit Ihren Eindrücken, wenn Sie sich jetzt durch die Stadt bewegen?
"Wir sind erstens Odessa"
Beck: Ja. Also äußerlich ist die Stadt eine ganz normale Stadt. Es ist alles etwas ruhiger, die Lokale sind leer, leider auch, weil der Tourismus schon beginnt, auszubleiben. Ich habe nun zum Glück immer mehr Zeit, als ein Außenminister sich nehmen kann: Ich war einen ganzen Tag in der jüdischen Gemeinde, ich war in der lutherischen Gemeinde, ich habe bei Existenzgründern zwei Stunden mit ihnen diskutiert, junge Anwälte, junge Journalisten getroffen – alle warten gespannt darauf, ob auch hier von außen diese russischen Auslands-Sonderoperationen in die Stadt eindringen können oder vielleicht sogar weiter eindringen können, wie es in ostrussischen Städten auch geschehen ist.
Die Menschen sagen: Wir sind erstens Odessa, zweitens sprechen wir alle Russisch, drittens sind wir Ukrainer. Und es gibt nur eine kleine Minderheit – und das sind eher die älteren Menschen, die die Sowjetunion mit guten, sicheren alten Zeiten verbinden –, die sagen: Wir könnten uns wieder vorstellen, zu Russland zu gehören.
Welty: Was wird denn dann an konkreten Befürchtungen an Sie herangetragen von Ihren Gesprächspartnern, was diese außenpolitischen Operationen angeht?
Zusammenwirken von Auslandsgeheimdienst und prorussischen Kräften
Beck: Also alle sind erschrocken über das, was sich in den Straßen zunächst mit den unbeteiligten Passanten, die erschossen worden sind, und dann später im Gewerkschaftshaus ereignet hat, und sie sagen: Das sind nicht wir, das kommt von außen. Und es gibt nun inzwischen sehr detaillierte Kenntnisse über das Wirken des russischen Auslandsgeheimdienstes GRU in den ostukrainischen Städten: Ich habe einen jungen Arzt getroffen, der filmen konnte, wie in Gorlovka, einem Ort der Ostukraine, ein Offizier des russischen Auslandsgeheimdienstes dort die Milizen übernommen hat.
Der Name des Mannes ist Igor Bessler, er hat sich schon im Jahre 2012 in der Gemeinde Gorlovka gemeldet, angemeldet. Und das zeigt, dass eben tatsächlich es ein Zusammenwirken gibt von diesem Auslandsgeheimdienst dann mit Kräften in den Kommunen, pro-russischen Kräften in den Kommunen selbst, die oft diejenigen sind, die abgehängt sind und sich abgehängt fühlen in den Gesellschaften, die nicht, wie die aufstrebenderen jüngeren Menschen, sagen: Europa ist unsere Zukunft.
Welty: Haben Sie den Eindruck, dass Sie als Oppositionsvertreterin, als Sprecherin Ihrer Partei für Osteuropapolitik andere Dinge erfahren als eben ein Minister, und können Sie damit auch andere Dinge erreichen?
Beck: Also ich habe ja immer viel mehr Zeit. Ich bin jetzt zum sechsten Mal innerhalb von sechs Monaten fast immer eine Woche unterwegs. Ich bewege mich überwiegend auf der Ebene von Bürger-, Zivilgesellschaft, von Gemeinden, Kirchengemeinden, Rechtshilfeorganisationen, jungen Künstlern, Journalisten. Insofern habe ich mehr Möglichkeiten, näher an die Bevölkerung heranzukommen.
Und ich frage immer, bevor ich reise: Könnt ihr mich gebrauchen oder falle ich euch zur Last? Ich will euch nicht zur Last fallen. Und die Menschen freuen sich, sie wollen die Unterstützung, sie wollen das Gefühl haben, wir gehören dazu. Sie stellen auch kritische Fragen: Es gibt viel Irritation über das deutsche Verhalten, ...
"Angst vor dem Hin- und Hergeschoben werden"
Welty: Inwieweit?
Beck: … wenn der Eindruck entsteht: Berlin verhandelt mit Moskau über unsere Köpfe. Das geht in der Ukraine überhaupt nicht auf dem Hintergrund deutsch-russischen gemeinsamen sozusagen Sich-Aufteilens der Gebiete zwischen Deutschland und Russland, die es immer mal wieder gegeben hat, in Polen die deutsch-russischen Teilungen Polens und in der Ukraine eben das große Leiden während des Zweiten Weltkriegs. Das geht also überhaupt gar nicht.
Und es gibt auch Irritationen, dass Deutschland vielleicht nicht genug bedenkt, dass diese Mittelländer – wenn ich sie mal so nenne – das dringende Bedürfnis haben, dass anerkannt wird, dass sie nicht hin- und hergeschoben werden zwischen den, ich sage jetzt mal, beiden alten Großmächten Russland und Berlin. Deswegen müssen wir sehr darauf achten, dass wir die Ukrainer selbst ernst nehmen und ihnen nicht das Gefühl geben, es geht über ihre Köpfe hinweg.
"Elfte Stufe der EU-Sanktionen: Putins Hund darf nicht nach Monaco"
Welty: Sie sagen von sich selbst als Oppositionspolitikerin: Mein großer Vorteil ist, ich habe mehr Zeit. Auf der anderen Seite ist Ihr großer Nachteil, dass Sie das eben nicht in Regierungshandeln umsetzen können, was Sie an Informationen mitbringen. Was möchten Sie denn gerne haben, das Deutschland tut in diesem Zusammenhang?
Beck: Es wird hier schon mit großem Stirnrunzeln zur Kenntnis genommen, dass die Europäische Union so sehr zögerlich ist in ihrer Sanktionspolitik. Es kursiert ein Witz, schwarzer Humor ist ja in Krisengebieten sozusagen etwas Alltägliches, und zwar: Nach der sozusagen Loslösung der Ostukraine hat die Europäische Union sich entschieden, die elfte Stufe der Sanktionen auszuführen, und das ist das Einreiseverbot für Putins Hund nach Monaco.
Das zeigt ein bisschen, dass diese Zögerlichkeit und der Unwille, zu erkennen, dass Putin es sehr deutlich auf die Destabilisierung der Ukraine anlegt, das befremdet hier. Die Leute fragen sich: Warum wollt ihr das nicht sehen? Reicht euch nicht der Beschluss von beiden russischen Kammern, Parlamentskammern, den Putin sich geholt hat, dass er in dieses Land einmarschieren darf, wenn er möchte, und dass eine Truppe von 40.000 Mann vor der Grenze stehen? Und dass er nicht nur spielt, sondern es auch tut, ist bei der Krim unter unseren Augen geschehen. Also es gibt, wie gesagt, ein gewisses Gefühl: Deutschland schaut nicht klar genug auf das, was sich tatsächlich im Kreml und in Moskau zusammengebraut hat.
Welty: Die grüne Sprecherin für Osteuropapolitik, Marie-Luise Beck, besucht derzeit Odessa in der Ukraine und dorthin geht auch mein Dank fürs Gespräch!
Beck: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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