Ukraine

"Merkel versteht nichts von Putins Psyche"

Wladimir Putin bei einer Pressekonferenz in Moskau.
Wladimir Putin bei einer Pressekonferenz in Moskau. © picture alliance / dpa / Alexey Nikolsky
Von Sabine Adler · 15.03.2014
Putin sei dabei, "seine historische Mission zu erfüllen" und alle russischen Gebiete zusammenzuschließen, meint dessen ehemaliger Berater Andrej Illarionow. Der Präsident werde sich von der Ukraine so viel nehmen, wie man ihm erlaube.
Nach den Ausschreitungen in Donezk, die ein Todesopfer und Dutzende Verletzte gefordert haben, wurden für das Wochenende Demonstrationen untersagt. Auch in Charkiw, ebenfalls in der Ostukraine. Man fürchtet die sogenannten russischen Touristen, die Gewalt provozierten, um das Bild eines instabilen Landes zu zeichnen, dessen russischstämmige Bevölkerung vor dem Chaos geschützt werden müsse. Doch ähnlich wie auf der seit zwei Wochen besetzten Halbinsel Krim unternimmt die Regierung in Kiew fast nichts, obwohl jenseits der Grenze 80.000 russische Soldaten samt schwerem Gerät zusammengezogen worden sind.
Die Sorge vor einem Einmarsch in den Osten herrscht im ganzen Land. Der Putin-Kenner Andrej Illarionow kann den Menschen die Angst nicht nehmen:
"Er wird so weit gehen und so viel nehmen, wie die Ukraine ihn lässt."
Alle internationalen Diplomatie könne den russischen Präsidenten nicht stoppen, denn der sei in historischer Mission unterwegs, sagt Illarionow, der fünf Jahre von 2000 bis 2005 Putins Wirtschaftsberater war:
"Frau Merkel versteht leider nichts von Putins Psyche. Das, was er tut, ist nicht zufällig, auch kein Fehler. Er ist dabei, seine historische Mission zu erfüllen. Die besteht im Zusammenschluss der russischen Gebiete und des russischen Volkes. Putin findet, dass die Hälfte der Ukraine eigentlich russisches Gebiet ist, das gilt auch für die Krim. Leider versteht man im Westen das Ausmaß des Problems nicht und in der Ukraine ebenso wenig."
"Soldaten werden im Stich gelassen, verraten"
Mit der Regierung in Kiew geht Illarionow schonungslos ins Gericht, er wirft ihr Untätigkeit vor. Der Befehl an die ukrainischen Krim-Soldaten, sich nicht provozieren zu lassen, Gewalt zu vermeiden, sei weit weniger gewesen, als man hätte tun können:
"Die Regierung hat in den vergangenen zwei Wochen nichts unternommen, weder für die Krim noch die Soldaten dort. Sie werden im Stich gelassen, verraten. Sie durften nicht einmal das tun, was das Mindeste wäre: Die Häfen, Flughäfen, Bahnhöfe, Straßen, Kommunikationsanlagen besetzen. Wenn man zu dem Schluss gekommen wäre, dass das nicht geht, hätte man die Krim zumindest evakuieren müssen. Die Militärangehörigen und ihre Familien, Bürger, die nicht unter russischer Besatzung leben wollen. In einigen Tagen werden die Soldaten alle Kriegsgefangene sein − im besten Fall."
Der russische Wirtschaftsexperte Illarionow ist von der Besetzung der Krim nicht überrascht worden und auch wenn Putin noch weiter ginge, würde er sich nicht wundern. Jeder, der auf dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest war, müsse wissen, wie der russische Präsident über die Ukraine denkt:
"Keiner hat ernst genommen, was Putin dort sagte: Die Ukraine gibt es überhaupt nicht, einen solchen Staat gab es auch nie. Das ist ein scheiternder Staat, der zur Hälfte ohnehin aus ur-russischem Territorium besteht."
Sanktionen beeindrucken Putin nicht
Illarionow, der dem Kremlchef 2005 den Rücken kehrte, weil er dessen Kurs nicht mehr mittrug, gilt heute als einer der besten Kenner, aber auch härtesten Kritiker Putins. Den könne nur Widerstand aufhalten:
"Was Russland im Georgienkrieg 2008 gestoppt hat, war der Widerstand der georgischen Armee, für den Präsident Saakaschwili für verrückt erklärt wurde. Aber das hat dem Aggressor gezeigt, dass er einen Preis zu zahlen hat. Der andere Grund war die Ankündigung von George Bush, dass er Luftstreitkräfte in die Türkei und Rumänien und Marineeinheiten ins Schwarze Meer verlegen lassen wird. Nur solche Art von Entscheidungen, nicht die gleichen, aber ähnliche könnten eine Wirkung zeigen."
Mit Sanktionen und Verhandlungen könne man Putin nicht beeindrucken, so Illarionow.
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