Ukraine-Krise

Putin verspielt Russlands Soft Power

Russlands Präsident Wladimir Putin.
Der russische Präsident Wladimir Putin © dpa/picture alliance/RIA Novosti/Sergey Guneev
Von Erik Albrecht · 24.06.2014
Russlands Präsident Wladimir Putin verspiele in der Ukraine-Krise jegliche Sympathien, meint der Journalist Erik Albrecht: Statt als Retter der "Russischen Welt" Geschichte zu machen, werde er sich als ihr Totengräber erweisen.
Wer Russland kennt, dem muss es in der Seele wehtun zu sehen, wie Wladimir Putin jegliche Sympathien verspielt. Gewiss, Moskau ist nicht mehr Hauptstadt einer Supermacht. Doch die Zwölf-Millionen-Metropole könnte das intellektuelle Zentrum einer ganzen Weltregion sein – freiwillig, im friedlichen Zusammenleben zwischen Nachbarstaaten.
Wären da nicht der russische Präsident und sein Regime. Sie schüren Angst vor neuen imperialen Ambitionen. Manipulation und Erpressung, Einsatz von harter militärischer Gewalt kennzeichnen ihre Nachbarschaftspolitik. Dabei verspielt Putin Russlands Soft Power.
Kulturelles Erbe der Sowjetunion
Auch wenn die Sowjetunion lange untergegangen ist: ihr kulturelles Erbe lebt bis heute fort. Ob Literatur, Kunst, Film oder Wissenschaft: für alles war Moskau der Nabel der sozialistischen Welt. Sowjetische Filmklassiker sind bis heute in der Region bekannter als ihre Pendants aus Hollywood.
Für Generationen von Wissenschaftlern aus der Ukraine, Georgien oder Tadschikistan war es der größte Traum, ihre Karrieren mit einer Anstellung an einer der Moskauer Universitäten zu krönen. Heute macht das russische Hochschulsystem vor allem Schlagzeilen durch Korruption und gekaufte Diplome statt mit wissenschaftlicher Spitzenforschung.
Seine Soft Power einzusetzen, würde Russland leicht gemacht. In weiten Teilen der ehemaligen Sowjetunion beherrschen Menschen Russisch – oft fast so gut wie ihre Muttersprache. Wenn ein Kirgise und ein Tadschike miteinander sprechen, tun sie das ganz selbstverständlich auf Russisch. Die Sprache ist für sie weitaus mehr als Englisch das Tor zur Welt.
Unattraktives Gesellschaftsmodell
Moskaus Staatssender senden bis heute in die letzten Winkel der Region. Statt sie als Aushängeschilder eines modernen Russlands zu nutzen, setzt der Kreml auf Gehirnwäsche, teils mit erschreckender Effizienz. Die gebildete Jugend aber verprellt er dauerhaft, hat sie doch Zugang zu alternativen Nachrichtenquellen. Gerade diese nächste Generation müsste Russland aber an sich binden.
Das Problem ist nicht, dass der Westen seinen Einfluss immer weiter ausdehnt, wie Putin gerne behauptet. Das Problem ist, dass Russlands Gesellschaftsmodell unattraktiv ist. Auch heute noch hätte das Land kulturell viel zu bieten, könnte länderübergreifende Diskurse anstoßen, gar helfen, eine postsowjetische Öffentlichkeit zu schaffen.
Kritische Intellektuelle an den Rand gedrängt
Doch lieber drängt der Kreml kritische Intellektuelle gezielt an den Rand und exportiert nationalistisches Gedankengut wie das des ideologischen Spinners Alexander Dugin mit seinem verqueren neo-eurasischen Konzept eines großrussischen Sonderwegs.
Wladimir Putin mag sich die Krim einverleibt haben, doch die Herzen der Ukrainer hat er mit seinem dumpfen Hurra-Patriotismus auf Dauer verloren. Viele Intellektuelle sehen dort den Konflikt mit Russland als Geburtsstunde eines neuen eigenen Nationalbewusstseins.
Bei der Präsidentschaftswahl im Mai wurden Kandidaten, die für enge Beziehungen zu Russland eintraten, marginalisiert. Und das obwohl etwa ein Drittel der Bevölkerung Russisch als Muttersprache nutzt. Für Putins Ukraine-Politik gleicht das einer Bankrotterklärung.
Wladimir Putin hat den Zusammenbruch der Sowjetunion einmal als größte geopolitische Katastrophe im 20. Jahrhundert bezeichnet. Auf lange Sicht dürfte sich seine Ukraine-Politik als die wahre Katastrophe erweisen. Der Präsident im Kreml stilisiert sich derzeit gerne zum Beschützer der "Russischen Welt" - in Wahrheit ist er ihr Totengräber.
Erik Albrecht, geboren 1979, berichtet seit 2006 als Korrespondent für Hörfunk, Fernsehen und Agenturen über Russland und die Ukraine. 2011 erschien sein Buch "Putin und sein Präsident".
Der Autor Erik Albrecht 
Erik Albrecht © Oxana Evdokimova
Mehr zum Thema