Ukraine klagt gegen Russland in Den Haag

"Die ukrainische Gesellschaft hat keine Zukunftsvision"

Ein Mitarbeiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine interagiert mit einem Jungen in einem Dorf in der Region Donezk.
Ein Mitarbeiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukrainespricht mit einem Jungen in einem Dorf in der Region Donezk. Der Konflikt in der Ost-Ukraine beschäftigt von heute an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. © Imago
Kateryna Mishchenko im Gespräch mit Dieter Kassel · 06.03.2017
Vor dem Internationalen Gerichtshof wird ab heute über eine Klage der ukrainischen Regierung gegen Russland verhandelt. Das Verfahren habe eine große symbolische Kraft für das Land, sagt die Verlegerin Kateryna Michchenko. Man habe auch große Erwartungen an Europa.
Heute beginnt vor dem Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag die Verhandlung über eine Klage der ukrainischen Regierung. Sie wirft Russland Terrorakte vor, gesetzeswidrige Aggression gegen die Ukraine und Diskriminierung. Aber kann man den größten bewaffneten Konflikt in Europa vor einem Gericht klären?
Das Verfahren habe eine sehr wichtige symbolische Kraft, sagt Kateryna Mishchenko im Deutschlandradio Kultur. Sie ist ukrainische Verlegerin, Autorin, Übersetzerin und lebt in Kiew:
"Das ist der außenpolitische Versuch der Ukraine, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und dies nicht vergessen zu lassen. Gleichzeitig weiß ich nicht genau, wie die Urteile des Gerichts vollstreckt werden können, wenn die beiden Länder dieses Gericht nicht wirklich anerkennen."
So ergebe sich eine gewisse absurde Situation, meint Mishchenko. Sie zeige, wie schwierig die rechtliche Auseinandersetzung über diesen Konflikt sei, der eigentlich mit dem Verstoß gegen das Völkerrecht begonnen habe.

Erwartungen der ukrainischen Gesellschaft an Europa

Die ukrainische Gesellschaft habe bestimmte Erwartungen an die Verhandlung in Den Haag, schildert Mishchenko die Stimmung im Land. Sie richte sich insbesondere auf eine bestimmte Haltung Europas. Mittlerweile habe man sich allerdings an den Konflikt im Osten der Ukraine auf gewisse Weise auch gewöhnt. Es gebe kein einheitliches Denken in der Gesellschaft:
"Grundsätzlich würde ich sagen, dass wir als Ukrainer - als Land oder als Gesellschaft samt dem Staat – keine gemeinsame Strategie haben, keine Zukunftsvision, wie das weiter geht. Ich denke, es gibt da unterschiedliche Akteure und unterschiedliche Gruppen. Und der Staat als Apparat, als Regierung ist da etwas von der Gesellschaft entfremdet und folgt einer eigenen Strategie, er hat eigene Interessen."

Fehlende Vorstellungen über eine friedensstiftende Politik

Die politische Diskussion über den Konflikt verlaufe jedoch nicht so offen, wie sich das viele Kulturschaffende wünschten, kritisiert Mishchenko. Darüber hinaus gebe es keine Vorstellungen, wie eine friedensstiftende Politik aussehen könne:
"Die Staatspolitik setzt immer auf Verbote. Das ist natürlich ein günstiger Weg, was die Finanzen betrifft. Und auch ziemlich einfach. Und das funktioniert auch aus populistischer Sicht ganz gut. Es werden bestimmte russische Bücher verboten oder Medien werden kontrolliert oder überwacht."
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