Ukraine

Ein Festival der Flüchtlinge in Lemberg

Lemberg in der Ukraine
In einem Restaurant im ukrainischen Lemberg wird im März 2014 traditionelles Essen der Krimtataren gekocht. © imago/Ukrinform
Von Florian Kellermann · 04.09.2015
Etwa 11.000 Flüchtlinge leben im westukrainischen Lemberg, die von der Krim oder aus der Ostukraine geflohen sind. Weil das Zusammenleben nicht immer einfach ist, wird jetzt das "Festival für Umsiedler und Lemberger" veranstaltet.
Wiktoria Polischtschuk legt ein Foto nach dem anderen auf den Boden und betrachtet die Reihenfolge. Welches Portrait soll welchem folgen? Die meisten der abgebildeten Menschen hat die 31-Jährige vor anderthalb Jahren noch nicht gekannt. Heute sind viele Freunde von ihr. Das Schicksal hat ihr Leben auf eine Weise durcheinander gebracht und verwoben, die sich keiner von ihnen hätte träumen lassen. Das soll die Foto-Ausstellung zumindest andeuten, die Wiktoria für das Festival der Flüchtlinge vorbereitet hat. Sie zeigt auf das Bild eines Mannes um 50, mit tiefen Furchen in der Stirn.
"Er ist aus Donezk vor den Separatisten geflüchtet, wegen seiner pro-ukrainischen Einstellung. Dabei stammt er selbst aus Baku in Aserbaidschan. Er hatte so einen kleinen Koffer bei sich – mit Werkzeug zum Schuhereparieren. Mehr brauche er nicht, um zu überleben, hat er gesagt. Seine Familie ist in Donezk geblieben, sie hat sein politische Haltung nicht verstanden. Ich habe ihn zuletzt vor einem halben Jahr in einem Flüchtlingsheim gesehen."
Daneben liegen andere Fotos: Kinder deren Gesichter Fassungslosigkeit ausdrücken, eine lachende, junge Frau, die in Lemberg eine Tanzschule eröffnet hat.
Etwa 11.000 Flüchtlinge leben im westukrainischen Lemberg - oder "Umsiedler", wie die Ukrainer sagen. Die Fotografin Wiktoria Polischtschuk ist eine von ihnen. Sie arbeitete zehn Jahre lang für das staatliche ukrainische Fernsehen auf der Krim. Am Tag des Referendums, am 16. März vergangenes Jahr, verließ sie die Halbinsel. Sie wollte nicht für die neuen, russischen Machthaber arbeiten.
"Meine Kollegen sind zunächst alle geblieben, aber einige Reporter sind mir gefolgt, nach zwei Monaten. Sie haben den Druck nicht mehr ausgehalten, dass sie genau das sagen und schreiben sollen, was die Machthaber wollen. Diese Kollegen hatten auf der Krim eine aussichtsreiche Karriere vor sich und arbeiten jetzt in Kiew auf niedrigeren Positionen. Ich bin stolz auf solche Kollegen."
Viktoria gibt zu: Auch, als Russland die Krim noch nicht vereinnahmt hatte, seien die Journalisten nicht frei gewesen. Das staatliche Fernsehen musste die Position der ukrainischen Krimregierung darstellen. Trotzdem seien damals Kritik und eigene Meinung zumindest ab und zu möglich gewesen.
Darbietung vom Kunstzentrum "Isolatsija" aus Donezk
Die Fotoausstellung wurde bereits eröffnet. Ihr folgen am kommenden Wochenende weitere Veranstaltungen im Rahmen des ersten "Festivals für Umsiedler und Lemberger", wie es offiziell heißt. Das Programm wirkt ein bisschen zusammengewürfelt: Einem Töpferkurs folgt eine Akapella-Darbietung. Künstlerischer Höhepunkt wird eine Perfomance des aus Donezk vertriebenen Kunstzentrums "Isolatsija", sagt Chalil Chalilow, einer der Organisatoren.
"Die beiden Künstler waren bei den Separatisten in Gefangenschaft. Sie werden vor den Augen der Zuschauer ein Kartenhaus aufbauen. Es wird das Gebäude symbolisieren, in dem sie gefangen waren. Sie werden zeigen, wo sie gefoltert wurden. Dann werden wir gemeinsam das Kartenhaus zerstören."
Was beim Festival nur unterschwellig deutlich wird: Flüchtling ist in Lemberg nicht gleich Flüchtling. Als zuerst die Krimbewohner, die meisten von ihnen Tataren, kamen, nahmen die Lemberger sie mit offenen Armen auf. Familien stellten zwei ihrer drei Zimmer zur Verfügung. Die Lemberger fühlten mit: Denn die neuen, russischen Machthaber schränkten die Rechte der Krimtataren ein. So verboten sie ihnen, den Jahrestag ihrer Vertreibung von der Halbinsel 1944 mit einem Gedenkmarsch zu begehen. Wesentlich reservierter begegnen die Lemberger den Flüchtlingen aus der Ostukrainer. Viele halten ihnen vor, sie hätten sich gegen die Separatisten stellen sollen. Die Vorwürfe nehmen zu, sagen Flüchtlinge – mit jedem Soldaten aus Lemberg, der in der Ostukraine getötet wird.
Auf der anderen Seite bringen die Menschen aus dem Donezbecken mehr Wut mit: Sie mussten nicht einfach nur ihre Häuser verlassen. Viele von ihnen haben Nächte im Bombenkeller verbracht und selbst Familienangehörige beerdigt. Die Fotografin Wiktoria:
"Ich habe unter die Fotografien der Flüchtlinge auch einige von alteingesessenen Lembergern gemischt. Die Zuschauer werden sie nicht voneinander unterscheiden können, einige Lemberger sehen aus wie typische Krimtataren. Auf einem Foto umarmt eine Lembergerin eine Krimtatarin, sie sehen sehr ähnlich aus. Ich will sagen, dass wir alle Bürger dieses Staates sind, die Flüchtlinge es nur gerade viel schwerer haben als die anderen."
Dass das extra betont werden muss, sagt viel aus über die angespannte Stimmung in Lemberg.
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