Ukraine

Die Oligarchen haben Kiew fest im Griff

Petro Poroschenko
Man nennt ihn den "Schokoladenbaron": Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko © dpa/Daniel Naupold
Von Aleksandr Nowikow · 17.02.2015
Auch ein Jahr nach der Revolte auf dem Maidan geben in der Ukraine Männer mit gigantischem Vermögen den Ton an. Doch immer mehr Bürger haben genug von Oligarchtentum, Korruption und Gesetzlosigkeit, meint der Jurist Aleksandr Nowiko.
Das Geschehen in der Ukraine hat zwei Gesichter. Das eine, das weltweit bekannte, zeigt den Maidan, den Platz im Zentrum Kiews, auf dem die Revolution der Würde stattfand, wie sie Romantiker nennen. Das zweite findet sich auf der Kehrseite, im Halbschatten öffentlicher Wahrnehmung. Es ist das Gesicht des Oligarchentums, in dessen Händen sich Macht und Kapital vereinen.
Außer dem berüchtigten Reichtum verbindet die Oligarchen die Herkunft ihres Geldes. Reich wurden sie in der Regel in den 1990er-Jahren, als sie staatliche Betriebe zu Spottpreisen kauften oder gar feindlich übernahmen. Und es war die Politik, die ihnen geholfen hat, weitverzweigte Konzerne aufzubauen. So erhielten sie umgekehrt Einfluss auf die Politik.
Viktor Janukowitsch, den der Maidan vor einem Jahr aus dem Amt des Präsidenten jagte, entschied sich bald selber ein Oligarch zu werden. Erst änderte er die Verfassung, dann drängte er die Wirtschaftsbosse zurück und am Ende kontrollierte seine Familie die gesamte Brotproduktion.
Poroschenko hat sich von seinen Beteiligungen noch nicht getrennt
Denn Oligarchen ist in der Ukraine alles erlaubt. Rinat Achmetow beispielsweise gründete zunächst eine Bank, später übernahm der Bergmannssohn die ostukrainische Stahl- und Kohleindustrie und mittlerweile produziert sein Firmengeflecht ein Drittel des Stroms. Er saß aber auch sechs Jahre lang im Parlament, finanzierte die Wahlkämpfe seiner politischen Freunde und verschaffte sich Mehrheiten, wenn Gesetze zu verabschieden waren, die das Big-Business betrafen.
Heute sitzt er nicht mehr im Parlament. Der Präsident und die Abgeordneten wurden neu gewählt, andere Menschen bezogen die höchsten Positionen des Staates. Aber heißt das auch, dass die Epoche des Oligarchentums vorbei ist?
Nein. Die Politologen haben gewissenhaft nachgezählt, wie viele Parlamentarier von bekannten Milliardären unterstützt werden. Es finden sich die alten Namen wieder: "Achmetow-Gruppe", "Kolomojski-Gruppe", "Firtasch-Gruppe", "Jeremeew-Gruppe" und die "Poroschenko-Gruppe".
Ja, auch Petro Poroschenko, der neue Staatspräsident, ist als Unternehmer groß geworden. Der Schokoladenbaron aber muss sein Versprechen erst noch einlösen, sich von seinen Firmenbeteiligungen zu trennen. Problematisch ist vor allem, dass er immer noch einen Fernsehsender besitzt.
Kampfansage an die Wirtschaftselite
Deswegen wird das Treiben der Oligarchen misstrauisch verfolgt - vom Mittelstand, von Landwirten, Intellektuellen, Studenten, von all denen, die zwei friedliche Revolutionen 2004 und 2014 durchgeführt haben, die jüngst Spenden mobilisiert haben, um eine völlig heruntergewirtschaftete Armee kampffähig zu machen, weil es ja auch ihre eigenen Söhne und Brüder sind, die seit Monaten im Osten des Landes Militärdienst leisten.
Auch diese anderen Ukrainer haben ihre Volksvertreter ins Parlament bringen können. Und nun erwarten sie, dass die Versprechen, die auf dem Maidan gegeben wurden, erfüllt werden. Die Höhe dieser Erwartungen ist verschieden.
Die meisten sind nicht so resolut wie die Einwohner des Donbass, die eine Nationalisierung der Industriebetriebe fordern, weil die Milliardäre sie verarmen ließen.
Aber überall im Lande verbinden die Bürger das Oligarchentum mit Gesetzlosigkeit und einer alles durchdringenden Korruption. In einer solchen Gesellschaft wollen sie nicht länger leben. Deswegen haben sie der mächtigen Wirtschaftselite noch vor kurzem auf den Plätzen die Kampfansage zugerufen: "Europa! Europa! Europa!"
Aleksandr Nowikow, Jahrgang 1982, ist Völkerrechtler und Dozent an der Nationalen Juristischen Akademie "Jaroslaw Mudry" in Charkiw. Sein Forschungsschwerpunkt sind Verfassungsänderungen in den postsozialistischen Staaten, so schrieb er seine Doktorarbeit über den "Rechtlichen Status des Präsidenten von Polen".
Aleksandr Nowikow, ukrainischer Rechtswissenschaftler, Professor an der Nationalen Juristischen Universität "Jaroslaw Mudry" in Charkiw
Aleksandr Nowikow© privat
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