Ukraine

"Der Krieg hat letztlich mehr mit der russischen Innenpolitik zu tun"

Panzer fahren anlässlich des 23. Unabhängigkeitstages der Ukraine über den Maidan in Kiew
Keine weiteren Gebietsabtretungen an Russland © dpa/picture-alliance/Tatjana Zenkovitsch
Andreas Umland im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 26.08.2014
Heute treffen sich Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Petro Poroschenko. Ob die Gespräche ein Erfolg werden, hänge vor allem von der innenpolitischen Situation in Russland ab, meint der Politologe Andreas Umland.
Liane von Billerbeck: Heute soll es ja nun seit Monaten das erste direkte Gespräch geben zwischen dem russischen und dem ukrainischen Präsidenten, zwischen Putin und Poroschenko, wenn sich in Minsk die von Russland geführten Mitglieder der Eurasischen Zollunion versammeln. Diesmal sind auch drei EU-Kommissare dabei, die Außenbeauftragte Ashton, der Energiekommissar Oettinger und der Handelskommissar De Gucht. Ein Bericht von Andreas Meyer-Feist.
Der Politologe Andreas Umland kennt sich mit der postsowjetischen Politik aus, er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Ukraine und Russland. Derzeit ist er am Institut für Euro-Atlantische Kooperation, einem Thinktank in Kiew, und jetzt am Telefon. Herr Umland, ich grüße Sie!
Andreas Umland: Guten Morgen
von Billerbeck: Welche Hoffnungen verbindet die Ukraine mit diesem Treffen heute zwischen Poroschenko und Putin?
Umland: Es geht sicherlich in erster Linie um die Beilegung dieser militärischen Kampfhandlungen in der Ostukraine, die das Land sehr belasten und auch das Geschäfts- und Investitionsklima der Ukraine zerstören.
von Billerbeck: Wie sehen Sie die Chancen für die Beilegung der Konflikte durch und nach diesem Gespräch?
Moskauer Führung hat Einfluss auf Separatisten
Umland: Das wird man sehen, im Wesentlichen hängt das davon ab, wie sich die Interessenlage im Kreml gestaltet, wie die Moskauer Führung die Lage betrachtet, denn sie hat Einfluss auf diese Separatisten in der Ostukraine. Diese werden offenbar unterstützt aus Russland. Und man kann nur hoffen, dass sich die Interessenlage in Moskau inzwischen so weit geändert hat, dass auch Russland bereit ist, zu einer friedlichen Einigung zu kommen.
von Billerbeck: Sie kennen sich ja damit aus. Was sind das für Kräfte in der russischen Regierung neben und hinter Putin, die da agieren?
Umland: Es gibt, glaube ich, zwei Motivationen für dieses, wie ich es nennen würde, außenpolitische Abenteuer. Das eine ist der angestiegene Nationalismus, ein imperialer Nationalismus, irredentistischer Nationalismus, der auf eine Teilwiederherstellung des alten Reiches drängt, obwohl Russland ohnehin schon das territorial mit Abstand größte Land der Welt ist.
Aber die zweite und wichtiger Motivation scheint mir zu sein, dass das System Putin, das jetzige sozialpolitische Modell, das entstanden ist in Russland, nicht mehr so funktioniert, wie das noch im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts war, als nämlich aufgrund der hohen Preise für Energieträger das System Putin scheinbar gut funktioniert hat. Jetzt stockt die Wirtschaft und dieses ganze Regierungssystem verliert Legitimität und versucht, das jetzt zu kompensieren durch solche außenpolitische Aktionen wie eben die Krim-Annexion oder jetzt dieser Kleinkrieg in der Ostukraine.
von Billerbeck: Das heißt, der Krieg findet so lange statt, wie es für Putin praktisch und nützlich ist?
Umland: Ja, das muss man leider vermuten. Ich denke, der Krieg hat letztlich mehr mit der russischen Innenpolitik als mit der ukrainischen Innenpolitik zu tun, eben als Ablenkungsmanöver von den Problemen in Russland. Allerdings gibt es jetzt eben den zweiten Aspekt für Putin auch, dass durch die westlichen Sanktionen auch das System gefährdet und destabilisiert wird. Und da kann man eben nur hoffen, dass sich die Interessenlage, wie ich schon sagte, so weit verändert hat, dass nun auch der Kreml zu einer friedlichen Beilegung des Konfliktes bereit ist.
von Billerbeck: Das Treffen findet ja in Minsk statt, der Hauptstadt Weißrusslands. Wieso ausgerechnet dort, beim angeblich letzten Diktator Europas?
Minsk ist ein neutraler Boden
Umland: Das hat damit zu tun, dass es sich hier auch um ein Gipfeltreffen der Zollunion handelt, die dann in eine Eurasische Union umgewandelt werden soll. Dadurch wird dem Ganzen noch mal so ein internationaler, geopolitischer Aspekt verliehen.
Es kommen ja gleichzeitig auch noch drei hohe Vertreter der Europäischen Union, zwei Kommissare und die Außenbeauftragte der Europäischen Union nach Minsk, dadurch wird es also eine sehr hochkarätige Veranstaltung. Und Minsk ist jetzt vielleicht einfach sozusagen ein neutraler Boden, auf dem man sich treffen kann, weder Russland, noch die Europäische Union, noch die Ukraine. Und hoffentlich wird das dann dazu beitragen, dass es zu einer Einigung kommt.
von Billerbeck: Kann denn Lukaschenko dort auch tatsächlich eine positive Vermittlerrolle spielen?
Umland: Nein, ich glaube, Lukaschenko wird da keine Rolle spielen. Das ist, denke ich, einfach nur gewählt worden, dieser Ort Minsk, um es eben auf neutralem Boden stattfinden zu lassen. Lukaschenko wird da keine Rolle spielen. Er ist da selber in einer Zwickmühle, dass er einerseits eben Teil dieser Zollunion und Eurasischen Union Russlands ist, aber auch die eigene Souveränität wahrt.
von Billerbeck: Wenn man sich aber ansieht, was in den vergangenen Monaten und vor allen Dingen in den letzten Tagen geschehen ist, da haben prorussische Separatisten in der Ostukraine ukrainische Soldaten gedemütigt, indem sie sie öffentlich vorgeführt haben und danach die Straßen mit Wasser gesäubert haben, da hat Poroschenko eine auch in Kiew nicht unumstrittene Parade abhalten lassen. Das klang ja wie eine Drohgebärde Richtung Moskau. Sind das die richtigen Signale für ein Einlenken vor so einem Gespräch gewesen?
Es gibt jeden Tag Tote und Verletzte
Umland: Diese Aktion in Donezk, das war also diese Präsentation der ukrainischen Kriegsgefangenen durch die russischen Separatisten, war eine quasi Wiederaufführung einer Szene vom Juli 1944, als deutsche Soldaten durch Moskau geführt wurden und dann hinter ihnen auch solche Räumfahrzeuge, Reinigungsfahrzeuge gefahren sind. Das war also eine Wiederholung der Szene in kleinerem Maßstab.
Die Militärparade in Kiew ist sicherlich auch ein Zeichen an die Bevölkerung, an Moskau, dass die Ukraine nun bereit ist, die territoriale Integrität zumindest der Festlandukraine zu verteidigen und dass es nicht noch mal zu einer Gebietsübergabe kommen wird, wie das schon im Fall der Krim gewesen ist. Das ist auch, denke ich, für keinen Politiker der Ukraine möglich, nun noch einmal Gebiete abzutreten, ein Gebiet abzutreten an Russland.
von Billerbeck: Sie arbeiten in Kiew bei einem Thinktank. Was erwartet die ukrainische Bevölkerung von ihrer Führung? Härte gegen oder Dialog mit Russland?
Umland: Ich denke, die Haupthoffnung ist Frieden. Es gibt ja jeden Tag Tote und jeden Tag Verletzte. Ich kenne auch inzwischen viele in Kiew, die Bekannte haben, die in der Ostukraine verletzt oder getötet wurden. Sicherlich die Haupthoffnung: Frieden. Aber es gibt eben auch die, denke ich, inzwischen einhellige Meinung unter vielen Ukrainern, dass ein weiterer Gebietsabtritt unakzeptabel ist, dass im Grunde schon bei der Krim der falsche Weg eingeschlagen worden ist, dass man das kampflos übergeben hat.
von Billerbeck: Einschätzungen des Politologen Andreas Umland vor den heute geplanten Gesprächen zwischen Putin und Poroschenko.
Ich danke Ihnen!
Umland: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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