Überzeugende Lebensbejahung

17.03.2011
Der Wiener Philosophieprofessor Robert Pfaller hat mit "Wofür es sich zu leben lohnt" eine wegweisende Schrift emphatischer Lebensbejahung verfasst. Psychoanalytisch fundiert wendet er sich gegen den Lustverzicht unserer Zeit.
Robert Pfaller, Professor für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst in Wien, ist ein Verfechter des Genießens. Dieses ist für den Philosophen aber keineswegs einfach eine bourgeoise Kulturtechnik, deren Sinn sich darin erschöpft, den passenden Wein zum Gänsebraten zu kredenzen, sondern der Genuss ist nicht weniger als das, "wofür es sich zu leben lohnt". Hätte der Mensch nicht jene Momente des Überschusses, die ihn über seine nackte Existenz erheben, wäre sein Dasein ein tierisches, oder, noch schlimmer, gar dem Tode ähnlich.

Eine solche rein dem Überleben geschuldete und also tödliche Lebenspraxis, meint Pfaller, ist kennzeichnend für die Existenzweise des Menschen in Zeiten des Neoliberalismus. Weil unsere Gesellschaft nur auf Gesundheit, Sicherheit und Effizienz setzt, ist das Leben ein "Sparguthaben" (Pfaller), das nicht vergeudet werden darf. Was früher glamourös war, wie zum Beispiel feierliches Rauchen an der Theke einer Bar, gilt heute nur noch als gefährlich.

Auch in schöpferischen Berufen wie Kunst und Philosophie sind an die Stelle einer experimentell-riskanten, anti-ökonomischen Selbstverausgabung längst verschulte Studiengänge und profane Selbstvermarktung getreten. Dabei ist es gerade die Erlaubnis zum Genuss, die den Menschen mit all seinen Neigungen und Triebregungen fest in die Gesellschaft einbindet. Nur wenn der Mensch genießen darf, verkommt er nicht kümmerlich in der Neurose:

"Die Individuen brauchen das kulturelle Gebot, um Zugang zu ihrer Lust zu finden. Gehemmt sind sie selber."

Der gegenwärtige Lustverzicht, so Pfaller, gehorcht einer religiös-weltabgewandten Logik: Gesundheitsapostel opfern ihr Leben einem Heilsversprechen, das sie zu ewiger Entsagung aufruft. Der heidnische Materialist hingegen hat nur dieses eine, irdische Leben. Anstatt auf das Glück des Danach zu spekulieren, will er den Genuss im Hier und Jetzt. Dieser Genuss, das zeigt Pfaller einleuchtend, ist nicht narzisstisch, keine egoistische Lustmaximierung, sondern er ist die Voraussetzung dafür, dass der Mensch seine Selbstbezüglichkeit überwindet. Nur wenn ihm die Gesellschaft Räume bereitstellt, in denen er verschwenden darf und sich gemeinsam mit Anderen in Form eines spielerischen Als-ob für einen unsichtbaren Beobachter inszenieren kann, kommt er aus der zerstörerischen Beschäftigung mit sich selbst heraus und wendet sich lustvoll dem Außen zu.

"Wofür es sich zu leben lohnt" ist eine psychoanalytisch fundierte, ab- und ausschweifende, wegweisende Schrift emphatischer Lebensbejahung. Sie ist gerade deshalb so überzeugend, weil sie den Tod mitdenkt. Allerdings gelingt es Pfaller nicht immer, lustvolles, ekstatisches Genießen klar von zwanghafter, exzessiver Sucht abzugrenzen. Die Herren in Ferreris Film "Das große Fressen" etwa riskieren den Tod nicht nur, wie Pfaller meint, sondern ihr Fressen ist ein Programm der Selbstauslöschung. Auch die Verausgabung in der Arbeit, die Pfaller treffend als "Liebesgabe" bezeichnet, ist eine Kippfigur zwischen Lust und Neurose, zwischen grandioser Selbstvergeudung und ruinöser Selbstausbeutung. Und es wäre gerade vor dem Hintergrund der grassierenden Burn-out-Problematik spannend gewesen, Genaueres über ihren Umschlagpunkt zu erfahren.

Besprochen von Svenja Flaßpöhler

Robert Pfaller: Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2011
314 Seiten, 19,95 Euro