Überwältigendes Hörerlebnis

28.01.2011
Die Hörbuchreihe "Europa erhören" knüpft nun an die Erfolgsstory "Europa erlesen" an. 10 CDs mit und jeweils einem Begleitheft, das Auskunft über die Autoren, Komponisten und Interpreten gibt. Ein überwältigendes Hörerlebnis, das uns in Länder führt, die wir alle zu kennen glauben und doch neu entdecken können.
In der griechischen Mythologie ist Europa eine Frau. Zeus soll die phönizische Königstochter in Gestalt eines Stiers auf die Insel Kreta entführt haben. Kein Wort von nationalen und sprachlichen Konfusionen – aber von Europas Schönheit und Liebenswürdigkeit. Lange bevor es ein Europäisches Parlament und die Europäische Zentralbank gab, waren Schriftsteller, Künstler und Philosophen von Europa fasziniert. Bis heute bereisen sie den Kontinent, der ja eigentlich ein Subkontinent ist – eine Halbinsel, westlich von Asien. Ihr Interesse gilt dabei den Völkern und ihren Sprachen, den Traditionen, Landschaften und Lebensformen. Und so entsteht – jenseits realer Grenzen – eine Topographie, die in keinem Atlas zu finden ist.

Steiermark
"Dass es eine Grenze gibt. Was gesagt ist, ist eine Grenze. Das Stück aus Worten nenne ich nicht bis zum Ende mein."
Bukarest
"Rumänien liegt am Kreuzweg zwischen West und Ost und Nord und Süd."

Die Edition "Europa Erhören", die auf eine Idee des österreichischen Verlegers Lojze Wieser und der Schauspielerin Mercedes Echerer zurückgeht, knüpft an die Faszination dieser poetischen Topographie an. Gemeinsam mit einer Schar von Künstlern – unter ihnen Andreas Vitasek, Tania Golden, Florian Scheuba und Wolfgang Böck – durchstreifen sie lustvoll den Kontinent. Die Klangvielfalt des gesprochenen und vertonten Wortes bestimmt das Schrittmaß, mit dem Budapest und Dalmatien, Südtirol oder Wien erkundet werden.

Mit ihrer Textauswahl, die von Aristophanes und Milo Dor über Hugo von Hofmannsthal, Adalbert Stifter bis zu Herta Müller reicht, betreiben sie ganz nebenbei eine charmante Geschichtsnachhilfe. Wie auf einem verblichenen Diapositiv breitet sich eine wunderbare Landschaft aus, die sich seit der Antike mit jedem Wimpernschlag verändert hat. Ob slawisch oder germanisch, griechisch oder albanisch - das Wort Heimat schwingt in jeder Silbe mit. Bei dem in Prag geborenen Peter Demetz erfüllt es als vertrautes Gefühl die Erinnerungen.

Mähren
"In gehe durch die Brünner Straßen und bin meinem jüngeren Selbst, dem Sechzehnjährigen von 1938 immer voraus. Denn ich kenne seine Zukunft. Ich folge aber seinen Schritten. Mir ist klar, wohin er geht und wohin nicht, denn seine Wege haben sich meinem Gedächtnis so eingeprägt, dass ich sie im Jahre 1990 ohne zu denken wiederhole. Wie Gedichte in alten Büchern, die ich vom Regal nehme und lese, obwohl ich sie doch auswendig kenne."

Wie Demetz ist auch der aus Kärnten stammende Peter Handke ein moderner Flaneur. Unter seinen Fußsohlen wird die kroatische Stadt Split, die heimliche "Hauptstadt Dalmatiens", zu einer betörenden Melodie, die noch in den Bewegungen des Schuhputzers widerhallt.

Dalmatien
"Als er mit den beiden Glanzbürsten kam und abwechselnd über den Schuh fuhr, verwandelte sich sein Tätigsein in ein Werk. Und das Streichen der Bürsten drang durch den Tumult der Hafenpromenade als eine sehr leise, rauschende, begeisternde Musik."

Mit jedem Track der zehn Teile umfassenden 1. Staffel von "Europa Erhören" wächst der Kontinent. Jenseits politischer Konventionen vollzieht sich zwischen dem Nordkap und der Punta de Tarifa im Süden eine Entgrenzung, die bewusst macht, dass Europa nicht in seiner Geographie aufgeht. Und was die Geschichtsbücher verschweigen, steht ohnehin im Telefonbuch

Bukarest
"Auf kaum einer Seite fehlen Namen von Menschen, deren Vorfahren aus West und Osteuropa, aus dem gesamten Balkan und Vorderasien stammen. Feintuch, Goldstein, Rosenzweig und Morgenstern."

Oder lässt sich in einer Wiener Speisekarte entdecken.

Wien
"Sagen sie mal, was ist denn das ‚Jungfernbraten’? Des is a Schweinzelbraten." "Und Palatschinken? Dis is so ä Steak...mit hätschäbätschful."

Europa spaltet und versöhnt. Und so schwingt im Titel "Europa Erhören" ein Imperativ mit, der zum Zuhören auffordert. Er macht diese vielstimmige Liebeserklärung an eine multikulturelle Landschaft, die gleich um die nächste Hausecke beginnt, zum eindringlichen Plädoyer: für Toleranz, Offenheit und Neugier.

Besprochen von Carola Wiemers

Mercedes Echerer u.a. (Hg.): Europa erhören. Die 1. Staffel, Mähren, Bukarest, Budapest, Linz, Athen, Südtirol, Steiermark, Dalmatien und Wien
Wieser Verlag, Wien 2010
10 CDs, 145,00 Euro