Übersetzerverband begrüßt BGH-Urteil

Terezia Mora und Hinrich Schmidt-Henkel im Gespräch mit Katrin Heise · 07.10.2009
Der Verband deutschsprachiger Übersetzer sieht das heutige BGH-Urteil zu Erfolgsbeteiligungen von Übersetzern "grundsätzlich positiv". Die Schwelle von 5000 verkauften Exemplaren sei zwar "relativ hoch", meint der Verbandsvorsitzende Hinrich Schmidt-Henkel, doch stelle es "im Vergleich zur gegenwärtigen Vertragspraxis durchaus eine Verbesserung dar".
Katrin Heise: Der Streit um die Bezahlung von Literaturübersetzern, der zieht sich wirklich schon ewig hin. Heute nun hat der Bundesgerichtshof geurteilt, nämlich, dass den Übersetzern neben dem Seitenhonorar auch eine Erfolgsbeteiligung zusteht.
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Jetzt begrüße ich Terezia Mora, Schriftstellerin und selbst Übersetzerin, schönen guten Tag, Frau Mora, ...

Terezia Mora: Guten Tag!

Heise: ... und den Vorsitzenden des Verbandes deutschsprachiger Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel, schönen guten Tag, Herr Schmidt-Henkel!

Hinrich Schmidt-Henkel: Guten Morgen!

Heise: Von Ihnen möchte ich, Herr Schmidt-Henkel, gerne sofort eine Einschätzung: Wie haben Sie heute morgen reagiert, als Sie das Urteil hörten?

Schmidt-Henkel: Grundsätzlich positiv, da der BGH von einer zusätzlichen Beteiligung spricht. Das deckt sich mit unserer Einschätzung, dass die Nutzung der Übersetzung etwas ist, was gesondert honorarpflichtig wird. Nun setzt er diese Schwelle von 5000 an, aber der eine Erfolgsbeteiligung am Verkauf zu zahlen ist.

Heise: Die ist sehr hoch, nicht?

Schmidt-Henkel: Die schmerzt uns. Die Schwelle ist relativ hoch. Viele belletristische Übersetzungen erreichen sie nicht, gerade im Bereich anspruchsvollere Literatur. Auf der anderen Seite schreibt er dadurch das auch fest, dass es gegeben werden muss, das stellt im Vergleich zur gegenwärtigen Vertragspraxis durchaus eine Verbesserung dar. Und sehr gerne sehen wir, dass der BGH uns 50 Prozent am Verlagsanteil bei Nebenrechtsvergaben - übrigens ja auch bei Taschenbuchvergaben - zugesteht.

Ich glaube, dass unter dem Strich gesehen dieses Urteil, auch wenn es eine Zurückverweisung an die Vorinstanz ist, aber es gibt ja einen Rahmen, dass dieser Rahmen der Branche sozusagen sagt: Einigt euch, schafft eine Vergütungsregel. Und ich kann dazu nur das sagen, was ich die ganze Zeit sage: Es ist unsere Aufgabe - Verlage und wir, Übersetzerverband -, diesen Rahmen des BGH in eine Vergütungsregel umzusetzen, der für beide Seiten gedeihlich ist.

Heise: Schildern Sie uns doch mal die Situation der Übersetzer - jetzt vielleicht nicht namhafte Übersetzer, sondern überhaupt der allgemeine Übersetzer -, in welchem Rahmen der wirtschaftlich sich bewegt. Vielleicht ein Zitat der Schriftstellerin Jenny Erpenbeck vorausgeschickt, deren Mutter ist nämlich die Übersetzerin des Literaturnobelpreisträgers Nagib Machfus, und da heißt es: "Von da an sitzt sie" - also ihre Mutter - "Tag für Tag acht Stunden an ihrem Schreibtisch, höchstens zwei, drei Seiten schafft sie pro Tag und bekommt dafür so viel wie ein Klempner für eine Anfahrt." Ist das tatsächlich so?

Schmidt-Henkel: Das trifft es, ganz genau. Dem bräuchten wir eigentlich nichts hinzuzufügen. Man muss auch, wenn man über die wirtschaftliche Situation spricht, gar nicht zwischen namhaften und anderen Übersetzern differenzieren, im Gegenteil: Es trifft für die gesamte Branche zu, dass es sehr, sehr schwer ist, ein gedeihliches Auskommen zu finden. Wir haben Umfragen gemacht, wir haben errechnet, dass das Gros der Literaturübersetzenden bei uns kaum auf ein Einkommen über 1000 Euro pro Monat kommt. Bei Freiberuflern - das weiß jeder Kaufmann - ist es so, dass der Umsatz ungefähr doppelt so viel ist wie das, was als Einkommen vor Steuern rauskommt. Und bei den gegenwärtigen Honoraren einen monatlichen Umsatz von 2000 Euro zu erwirtschaften, ist schwierig bis unmöglich, und auch ein Umsatz von 2000 Euro heißt nur ein Einkommen von gegen 1000 vor Steuern.

Und das ist natürlich, wenn man an die wirtschaftliche Rolle der Literaturübersetzer denkt - Sie haben das eingangs ja sehr schön plastisch geschildert -, ist das vollkommen unprofessionell. Es wird aber professionelle Arbeit von uns verlangt - zu Recht, nur werden wir auf der wirtschaftlichen Seite behandelt wie Hobbytätige.

Heise: Ja, Übersetzer, die es halt gerne machen.

Schmidt-Henkel: Ja, das muss sich ja nicht ausschließen, es gibt ja auch viele Leute, die es gerne machen und es ist auch ein wunderbarer Beruf. Aber man kann von ihm nicht leben. Das muss sich ändern.

Heise: Terezia Mora, Sie sind Autorin und Übersetzerin, Ihr Buch "Alle Tage" beispielsweise wurde in elf Sprachen übersetzt und Sie selber haben die ungarischen Schriftsteller Esterházy und István übersetzt, können das also sicherlich ganz gut beurteilen. Wie kreativ ist eigentlich die Arbeit der Übersetzer?

Mora: Nun, dass die Frage überhaupt gestellt wird, zeigt ja schon, dass man wenig weiß über die Arbeit von Übersetzern. Ich habe sogar mal einen Satz gehört wie: "Wie? Das ist ja nur tippen in einer anderen Sprache!" Was kann ich darauf erwidern? Na, dann mach's doch selber, wenn das so einfach ist.

Dass man seine eigenen Talente dafür haben muss - und das beschränkt sich nicht nur auf Sprachkenntnis, ... Ein mancher kann eine andere Sprache gut, aber um übersetzen zu können, muss man sie schon a) sehr, sehr gut können und b) muss man doch selber im Grunde schreiben können, um es nachvollziehen zu können, was da ein anderer, der ein anerkannter Schriftsteller ist, produziert. Und man sieht auch schon daran, dass das talentgebunden ist, dass nicht jeder Übersetzer jeden Autor übersetzen kann. Ich kann Esterházy übersetzen, aber ich kann nicht Nadaś übersetzen, weil ich es einfach nicht nachvollziehen kann, was er da in seinen Sätzen tut.

Heise: Sie können sich also nicht einfühlen in ihn?

Mora: Ich kann nicht einfach wie ein Chamäleon nachvollziehen, wie er mit Sprache umgeht. Es gibt vielleicht andere Übersetzer, die etwas vielseitiger sind, aber worauf ich hinweisen will, ist, dass Talent ja häufig dieses Moment hat, dass es sehr gerichtet ist, also dass man eine gewisse Sache kann.

Heise: Frau Mora, wie tief steigen Sie ein, wenn Sie übersetzen, in das Werk oder auch in das ganze Umfeld? Das heißt, reisen Sie, na gut, Ungarn ist Ihnen jetzt nicht fremd, aber reisen Sie in die Gegend noch mal oder wie nähern Sie sich dem?

Mora: Das könnte ich gar nicht leisten, auch von der Zeit her nicht. Ich bin so eine reine Schreibtischübersetzerin, eine Schreibtischtäterin. Aber ich tausche mich mit dem Autor aus, wenn er noch lebt. István zum Beispiel lebt nicht mehr, aber Péter Esterházy noch sehr gut, und da gibt es einen intensiven Austausch. Reisen war bei mir bislang noch nicht drin, muss ich sagen, aber ich weiß, dass es Übersetzer gibt, die das tun, ...

Heise: Da sind wir wieder bei der wirtschaftlichen Lage.

Mora: ... dass sie einen großen Aufwand treiben. Es gibt ja auch teilweise Stipendien, die man dazu in Anspruch nehmen kann, bekommt ja aber auch nicht jeder.

Heise: Wie eng arbeiten Sie jetzt wiederum als Autorin mit Ihren Übersetzern eigentlich zusammen, also wie versuchen Sie da, auch Einfluss zu nehmen? Das klingt jetzt so negativ, aber wie können Sie den Übersetzern auch helfen?

Mora: Nun ja, ich arbeite so eng mit dem Übersetzer zusammen, wie er es möchte. Es ist so, dass zum Beispiel meine holländische Übersetzerin keine einzige Frage gestellt hat, während der spanische Übersetzer einen langen, langen Katalog an Fragen hatte, die - was mich sehr erfreut hat - alle ...

Heise: Was fragt er denn da zum Beispiel?

Mora: Na, die machten alle einen Sinn. Ja, was fragt er denn da? Im Grunde fragt er mich, was ich genau meine in dem Satz. Es sind Verständnisfragen, was mir dann zum Beispiel zeigt, dass er den Satz in all seinen Nuancen verstehen kann. Vielleicht hat er aber in der Zielsprache nicht die Möglichkeit, alle diese Nuancen rüberzubringen, also muss er mich fragen, welche dieser Nuancen für mich am wichtigsten ist. Und dann übersetzt er den Satz in diese Richtung. Und es gibt auch manchmal so kleine Rätsel in dem Text, wo man nicht dahinterkommen kann, wenn man nicht fragt. Man braucht Insiderwissen. Und der Spanier hat so tolle Fragen gestellt, dass ich dann diesen Katalog mit Fragen und Antworten einfach weitergereicht habe an alle anderen: Bevor ihr mich irgendwas fragt, guckt mal, was er gefragt hat, und wenn dann noch Fragen übrig sind, könnt ihr die gerne stellen.

Heise: Im Grunde nehme ich aber auch an, dass man als Autor doch auch ganz schönes Vertrauen braucht in den Übersetzer, oder?

Mora: Es bleibt einem gar nichts anderes übrig, die einzige andere Sprache, die ich genügend gut kann, ist Ungarisch, und deswegen arbeite ich mit der ungarischen Übersetzerin natürlich ganz anders zusammen. Bei den anderen muss ich davon ausgehen, dass sie es können.

Heise: Wie erleben Sie eigentlich die Verlage in Bezug auf Übersetzungen? Wie verhalten die sich?

Mora: Ich muss sagen, ziemlich bürokratisch. Soweit ich das beobachtet habe, ist es so: Es werden die Bücher an Agenturen gegeben in den entsprechenden... sprachigen Ländern, und die machen dann etwas oder machen auch gar nichts, also sitzen da und warten, dass Interessierte dann anrufen, dass sie Lizenzen kaufen und der Übersetzer spielt dabei von Verlagsseite aus im Grunde gar keine Rolle. Aber es ist so, dass es die Übersetzer sind, die sich am meisten engagieren für diese Bücher. Mein erstes Buch, "Seltsame Materie", wäre nie, niemals ins Französische übersetzt worden, wenn es nicht eine Übersetzerin gegeben hätte, die sowohl meinem deutschen Verlag auf die Nerven gegangen ist, als auch dem französischen Verlag, sie mögen doch dieses Buch machen. So, und das ist das, was man Übersetzern im Grunde überhaupt nicht bezahlen kann, ...

Heise: Dieses Engagement.

Mora: ... genau, und dass es nicht wenige Bücher gibt, die überhaupt erst so in die andere Sprache kommen, dass sich ein Übersetzer gefunden hat, der angefangen hat, Klinken zu putzen.

Heise: Herr Schmidt-Henkel, haben Sie die Hoffnung, dass dieses Engagement, überhaupt arbeiten zu dürfen, jetzt ein bisschen in den Hintergrund treten kann wieder der Arbeit gegenüber, weil das Urteil einfach ein positives ist, was heute gefällt wurde?

Schmidt-Henkel: Ich glaube, dass das Urteil eine gewisse Chance bietet, diese Urheberrechtsnovelle von 2002 endlich auch umzusetzen. Das hieß ja Stärkungsgesetz, vom Gesetzgeber, und diese Stärkung hat bislang noch nicht stattgefunden. Und ich glaube, dass dieses Urteil uns auch eine ganz gute Chance eröffnet, mit den Verlagen da zu einer solchen Stärkung zu kommen und die Signale, die ich in den vergangenen Wochen von Verlagen bekam, sind auch durchaus so, dass der Dialog nicht abgebrochen ist, sondern dass wir ihn weiterführen können.

Heise: Der Dialog wird weitergeführt und dann ist uns weiter Weltliteratur in deutscher Sprache auf jeden Fall sicher. Vielen Dank der Schriftstellerin und Übersetzerin Terezia Mora und dem Vorsitzenden des Verbandes deutschsprachiger Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel. Ich bedanke mich recht herzlich für den Besuch!