Übersetzer Moshe Kahn

Der Reichtum der Tonfärbungen

Der Übersetzer Moshe Kahn in seiner Wohnung in Berlin
Der Übersetzer Moshe Kahn in seiner Wohnung in Berlin © Foto: Benjamin Geissler
Moshe Kahn im Gespräch mit Ulrike Timm · 01.12.2016
Der Roman "Horcynus Orca" des Italieners Stefan d'Arrigo galt als unübersetzbar. Doch dann fiel dem Berliner Übersetzer Moshe Kahn das 1500-Seiten-Werk in die Hände. Acht Jahre brauchte er für die Übertragung ins Deutsche, zwischendurch fühlte er die "totale Kopfleere". Im Gespräch erzählt er von seiner jüdischen Herkunft, Rom und Ingeborg Bachmann.
Wie die Übersetzung von "Horcynus Orca" sein Leben veränderte, warum er sämtliche Stimmen der Oper "Don Giovanni" mitsingen kann und welche besondere Beziehung ihn mit Ingeborg Bachmann verband − darüber hat sich Ulrike Timm mit Moshe Kahn unterhalten.

Symphonie vor offenem Meer

Der Roman "Horcynus Orca" des Italieners Stefan d'Arrigo galt als unübersetzbar. Doch dann fiel Moshe Kahn das 1500 Seiten-Werk in die Hände. Acht Jahre brauchte er für die Übersetzung:
"Vom ersten Satz an war mir bewusst, dass die Übersetzung so klingen muss, als wenn man eine Mahler-Symphonie vor offenem Meer spielt. Iim Hintergrund eben dieses Rauschen des Meeres und davor diese reichhaltigen Tonfärbungen, diese Rhythmen und das sollte dann sein, wie wenn man eine Mahler-Symphonie in Worte fassen müsste."
Er verlegte seinen Wohnsitz sogar nach Marrakesch und Temeswar, um seine Lebenshaltungskosten zu senken:
"Dann gibt es noch etwas, dass ich eigentlich nie ermüdet bin über die Jahre der Arbeit. Nur an einer Stelle und zwar ziemlich am Ende des Buches – sagen wir, so auf die letzten 200 Seiten des Buches trat die totale Leere, Kopfleere ein und das hat mich ziemlich zur Verzweiflung gebracht, weil ich wusste nicht mehr, wie es weiter gehen sollte."
Als das Buch 2014 herauskam, hagelte es Preise für Moshe Kahn, darunter auch der Paul-Celan-Preis. Mit Gedichten des Lyrikers hatte seine Karriere als Übersetzer angefangen.

Ein Geheimnis und ein Zufall

Moshe Kahn wurde 1942 als Kind jüdischer Eltern, die sich in Düsseldorf versteckt hatten, geboren. Der Familie gelang die Flucht in die Schweiz. Da die Eltern ihn zu Schutz protestantisch hatten taufen lassen, wusste er lange nicht dass er eigentlich Jude war. Nur durch einen Zufall erfuhr er davon:
"Einmal war meine Mutter nicht zu Hause und da habe ich ein bisschen in ihren Sachen gekramt, wie man das tut, wenn man 12, 13, 14 ist, dann ist man sehr neugierig. Das gehört zum Entdecken der eigenen Welt, und da habe ich Dokumente gefunden, die ich mir so nicht erklären konnte, was das zu besagen hatte, die Konsequenzen, die die mit sich gebracht haben. Und daraus war klar, dass wir also nicht zu einem längeren Aufenthalt in die Schweiz gefahren sind, um uns zu erholen vom Krieg oder so, sondern dass dahinter eben etwas ganz anderes steckte. Und als ich meine Mutter dann darauf ansprach, hat sie vollkommen barsch reagiert und sich geweigert, mir die Antwort zu geben. Die habe ich später dann erhalten, aber in dem Augenblick war ihr das nicht möglich, mir mitzuteilen."

Freundschaft mit Ingeborg Bachmann

Die längste Zeit seines Lebens, nämlich fast 30 Jahre, verbrachte Moshe Kahn in Rom, wo er als Regisseur arbeitete, bis er sich ganz aufs Übersetzen von Autoren wie Andrea Camillieri, Pier Pasolini und Primo Levi verlegte. Während seiner Zeit in Rom lernte er auch Ingeborg Bachmann kennen, die eine sehr enge Freundin für ihn war:
"Bei Ingeborg Bachmann war das so, dass ich mich mit Ingeborg Bachmann nie über Lyrik unterhalten habe, auch nicht über die Situation der Schriftsteller in unserer Zeit und so weiter. Wir haben eine Freundschaft gehabt, die ganz auf dem Augenblick basierte und wir haben eine sehr ,unintellektuelle‘ Freundschaft in diesem Sinne gehabt."