"Überlegt einfach genau, was ihr selber von euch preisgebt"

Christian Schertz im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 14.09.2011
Ob über Internet oder in Fernsehtalkshows - die Menschen geben immer mehr von sich der Öffentlichkeit preis. Für Buchautor Christian Schertz hat das Züge einer "Sucht, stattzufinden" - und mahnt Eltern, bei der Mediennutzung ihrer Kinder mitzureden.
Jörg Degenhardt: Er vertritt große und kleine Namen, Thomas Gottschalk und Lieschen Müller. Er zählt zu den bekanntesten Medienanwälten in Deutschland und er schreibt auch noch Bücher, deren Titel für sich sprechen. "Rufmord und Medienopfer", "Die Verletzung der persönlichen Ehre", das aktuelle ist überschrieben "Privat war gestern – Wie Medien und Internet unsere Werte zerstören", und über das wollen wir reden und über ihn. Zu Gast im Studio von Deutschlandradio Kultur war der Anwalt Christian Schertz. Meine erste Frage an ihn, um gleich mit einem tatsächlichen oder scheinbaren Widerspruch zu beginnen: Sie beklagen den Verfall des Privaten. Aber verdienen Sie nicht auch gut daran?

Christian Schertz: Dass Anwälte verdienen, ist genauso normal wie, dass Ärzte, wenn sie heilen, dafür auch Geld bekommen. Aber das Argument, dass ich mich eigentlich über Verletzungen von Persönlichkeitsrechten freuen könnte, geht fehl, weil es ist im Augenblick so viel zu tun, wissen Sie, dass ich auch gern mal ein freies Wochenende hätte und auch vielleicht ein bisschen weniger Geld verdienen würde. Also das ist nicht mein Hauptproblem.

Degenhardt: Wo hört denn für Sie der Spaß auf, wo fängt die Verletzung von Persönlichkeitsrechten an?

Schertz: Eigentlich ist das relativ einfach. Man kann es in drei Sätze zusammenfassen. Niemand muss es dulden, dass über einen Unwahres geschrieben wird. Also ich kann gegen unwahre Behauptungen, die über einen verbreitet werden, vorgehen. Weiterhin ist die Privat- und Intimsphäre – damit beschäftigt sich eben das Buch, das ist der eine Ausschnitt – grundsätzlich Tabu für die Öffentlichkeit, es sei denn, die Beteiligten haben die Tür aufgemacht, oder es gibt ein besonderes überragendes Informationsinteresse. Und drittens darf man den anderen nicht schmähen, also man darf ihn nicht beleidigen. Und diese drei Schutzrichtungen sind eigentlich das Dreigestirn des Persönlichkeitsschutzes in Deutschland: keine Unwahrheit, keine Schmähung und der Schutz vor Indiskretion.

Degenhardt: Heute müssen Menschen ausdrücklich sagen, das ist privat, wenn sie meinen, dies oder jenes ginge andere nichts an. Was hat sich da verändert? Ist unsere Neugier gewachsen, oder sind nur die technischen Möglichkeiten ausgefeilter geworden, siehe Internet, um eben diese Neugier zu befriedigen?

Schertz: Also ich glaube, da kommen mehrere Punkte zusammen. Wir haben seit den 80er-Jahren, wo ja das Privatfernsehen kam in Deutschland, in der Tat eine Tendenz, dass der Begriff der Privatsphäre sich verändert hat und die Privatsphäre auch verfügbares Gut geworden ist. Sie erinnern sich wahrscheinlich an die Nachmittags-Talkshows auf RTL und Sat1, da ging das damals los, wo sich normale Menschen über private Dinge unterhielten und teilweise anschrien. Das hat die Sehgewohnheiten verändert und auch das Verhalten von Menschen. Vor 20 Jahren haben wir noch dagegen gekämpft, dass der Staat unsere Daten erhebt. Da gab es das Volkszählungsurteil, informationelles Selbstbestimmungsrecht, dass man nicht ohne Weiteres die Quadratmeterzahl seiner Wohnung herausgeben muss. Heute stellen die Menschen unaufgefordert initiativ etwa bei Facebook privateste Dinge ins Netz, Fotos, Informationen, wo sie leben, mit wem sie leben, et cetera. Das heißt, man muss wohl feststellen, dass die Auffassung der Gesellschaft sich in der sogenannten Post-Privacy-Gesellschaft, die Mark Zuckerberg, der Gründer von Facebook, ja ausgerufen hat, schon geändert hat. Und das Einzige, was ich mit dem Buch versuche, ist, noch mal innezuhalten und zu sagen, überlegt euch doch wirklich alle noch mal, ob wir uns wirklich dieses Schutzes, den wir grundsätzlich haben, begeben wollen.

Degenhardt: Viel Platz räumen Sie ja in Ihrem Buch eben Facebook ein. Sie schreiben da, eine geniale Idee mit 600 Millionen Freunden. Das erinnert so ein bisschen, diese Schelte von Facebook oder an Facebook, an die Kritik, die es früher am Fernsehen, zumal am Privatfernsehen gab. Sie haben das ja schon kurz eingeräumt. Haben Sie denn eine Erklärung dafür, dass die Leute so sorglos mit ihren Daten umgehen?

Schertz: Na ja, ich glaube sicherlich, dass natürlich das Internet das Verhalten von Menschen verändert hat. Das Internet ermöglicht es jedem Einzelnen, stattzufinden, und die Sucht, stattzufinden, ist sicherlich größer geworden. Das hat auch mit der Medialisierung der Gesellschaft zu tun. Andy Warhol hat schon in den 60er-Jahren gesagt, jeder sollte mal für 15 Minuten ein Star werden, und ich glaube, die Menschen nutzen eben jetzt das Internet, sich zu positionieren und irgendwie irgendwas, Dinge von sich preiszugeben, um auch Gehör zu finden. Und Facebook? – Es ist auch kein Facebook-Bashing, oder keine Facebook-Schelte, die ich ausschließlich mache. Das Internet hat extrem wichtige Momente: Sozialisierung des Wissens, Revolutionen wurden dadurch ausgelöst, Diktaturen kommen nicht mehr weiter mit ihrer Zensur, weil das Internet dort überall diese Fesseln bricht und zerschlägt. Aber wir haben eben auch das Problem, dass die Menschen teilweise auch uninformiert und auch unbedarft ihre Sachen von sich geben und nicht wissen, dass es sehr schwer ist, das, was man von sich mal ins Netz gegeben hat, wieder zurückzuholen.

Degenhardt: Sie sagen "unbedarft". Daraus könnte man schlussfolgern, gerade für junge Leute bräuchte es so etwas wie Medienerziehung?

Schertz: Ich sage mal so: Ich glaube, die Eltern müssten Medien- und Internetkompetenz lernen, um dabei zu sein, wenn ihre Kinder ins Netz gehen. Ich stelle immer häufiger fest, in vielen Gesprächen auch, mit Studenten, aber auch mit Schülern, die Schüler sind eigentlich gar nicht so unerfahren, was diese Themen angeht, die wissen auch ziemlich genau, mit den Dingen umzugehen. Nur muss man ihnen eigentlich zur Seite stehen und sie fragen, was sie von sich preisgeben wollen und was praktisch Teil der Internet-Community auch unter Jugendlichen sein soll. Und da fordere ich eher von den Eltern Medienkompetenz, weil die jüngeren Leute beherrschen das eigentlich inzwischen ganz gut.

Degenhardt: Letztlich geht es ja um den Punkt, dass ich allein entscheiden kann, was über mich bekannt wird. Sind unsere Gesetze denn so beschaffen, dass mir das von Gesetzeswegen her garantiert werden kann?

Schertz: Das ist genau der Punkt, was auch Teil meiner Message in dem Buch ist. Es liegt eigentlich am Individuum. Es liegt an uns selber zu bestimmen, was von uns rausgeht. Der deutsche Rechtsstaat schützt das Individuum davor, dass die Privatsphäre öffentlich gemacht wird. Mach ich die Tür aber auf, begebe ich mich dieses Schutzes, verliere ich auch zumeist zugleich den Rechtsschutz. Die deutschen Richter sagen, derjenige, der praktisch sagt, kommt rein, schaut euch hier meine Wohnung an, Home Storys macht zum Beispiel bei Politikern et cetera, die verlieren in dem Moment, wo sie sagen, diese Sphäre gebe ich preis für eine gute Publicity et cetera, damit verliert man auch den Privatsphärenschutz. Deswegen, ich sage auch: Gerade weil es inzwischen sehr schwierig ist, mit Gesetzen allein das Internet zu regeln – das wird nicht möglich sein; da wird vor allen Dingen nicht mehr möglich sein, weil es einfach ein weltweites Kommunikationsorgan ist -, liegt es nicht mehr so sehr am Gesetzgeber und an den Gerichten, den Schutz herzustellen, sondern - das ist wie gesagt mein Zwischenruf – ich fordere das Individuum, uns alle auf und auch die Gesellschaft zu diskutieren, überlegt einfach genau, was ihr selber von euch preisgebt, weil damit bestimmt ihr im wesentlichen eueren eigenen Schutz.

Degenhardt: Das war im Gespräch der Medienanwalt Christian Schertz. Gemeinsam mit Dominik Höch hat er das Buch geschrieben "Privat war gestern – Wie Medien und Internet unsere Werte zerstören".

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.