Überlebender Edward Whymper

Tragische Erstbesteigung des Matterhorns

Ein Traumziel für Bergsteiger: das Matterhorn in der Schweiz.
Ein Traumziel für Bergsteiger: das Matterhorn in der Schweiz. © dpa / picture alliance / Valentin Flauraud
Von Mathias Schulenburg · 14.07.2015
Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Schweizer Alpen von sportlichen Engländern als Wettkampfstätte für Erstbesteigungen entdeckt. Das endete vor 150 Jahren mit einem spektakulären Unglück: Vier Bergsteiger stürzten nach der Erstbesteigung des Matterhorns in den Tod.
Die Alpen verdanken ihre Existenz dem Zusammenstoß zweier Kontinentalplatten, der afrikanischen und der europäischen. An der Kollisionsnaht falteten sich die Alpen auf, an besonders fotogener Stelle: das Matterhorn.
Mitte des 19. Jahrhunderts zog es Briten in großer Zahl in die Alpen, die dort das Abenteuer in der Gestalt von Erstbesteigungen suchten. Der letzte unbestiegene Berg über 4000 Metern Höhe war das Matterhorn, das in der Tat einen unbezwingbaren Eindruck machte, indessen: Der Engländer Edward Whymper, gerade 25 Jahre alt, glaubte einen gangbaren Weg gefunden zu haben, dem er am 13. Juli 1865 mit einer vom Zufall gefügten Seilschaft von Zermatt aus entgegen ging.
Dabei: Der Schweizer Bergführer Taugwalder mit seinen beiden Söhnen als Träger, der Franzose Michel Croz, die Engländer Douglas Hadow und Charles Hudson und der junge Adlige Lord Francis Douglas. Gegen Mittag erreichten sie auf dem Matterhorn in 3.350 Metern Höhe einen guten Platz zum Übernachten. Sie hatten - damals offenbar Brauch - Wein in Schläuchen dabei: "Noch lange widerhallten die Felsen von unserem Gelächter und von dem Gesang der Führer, denn wir waren in unserem Nachtlager glücklich und dachten an keine Gefahr."
Am nächsten Morgen übernahm Peter Taugwalder jr. die Rolle eines Führers, sein Bruder kehrte nach Zermatt zurück. Der Rest machte sich in Richtung Gipfel auf, sobald das Licht das zuließ, es war der 14. Juli. Um Viertel vor zwei waren sie nur noch 60 Meter vom Gipfel entfernt; der Zugang war von da an so bequem, dass Croz und Whymper einen Wettlauf veranstalten konnten. Es war geschafft.
Der Abstieg und die Katastrophe
Es gab am Ende einen guten Grund zur Eile, denn von der anderen Seite des Berges her strebte eine zweite Gruppe Bergsteiger auf den Gipfel, zum Ruhme Italiens. Whymper konnte die Verfolger unter sich ausmachen und rollte tatsächlich Steine in deren Richtung, um seinen Erstbesteigerstatus zu sichern. Die Konkurrenten kehrten um.
Dann der Abstieg und die Katastrophe: Michel Croz hatte Douglas Hadow geholfen, in seinen abgetretenen Schuhen halbwegs sicheren Halt zu finden, als Hadow ausrutschte und Croz in den Abgrund stieß. Alle waren aneinander geseilt. Whymper notierte:
"Sowie wir Croz aufschreien hörten, pflanzten der alte Peter und ich uns so fest auf, wie das Gestein uns gestattete. Das Seil zwischen uns war straff angezogen, und der Ruck traf uns, als wenn wir bloß einer wären."
Aber zwischen Whymper und den Taugwalders und den vier talwärts folgenden Mitgliedern der Seilschaft riss das viel zu schwache Seil. Die vier fanden den Tod. Whymper berichtete später von Albträumen:
"In jeder Nacht sehe ich meine Kameraden vom Matterhorn auf ihren Rücken rutschend, ihre Arme ausgestreckt, einer nach dem anderen, in perfekter Anordnung mit gleichen Abständen."
Wild, weiß, unzugänglich
Das Publikum nahm sich der Geschichte mit Leidenschaft an. Verständlich, schrieb der Autor Fergus Fleming. Denn die Geschichte "enthielt sämtliche Elemente einer guten viktorianischen Romanze: Rivalität, Verrat, Mühsal, eine Niederlage im Moment des Sieges und natürlich den Tod eines Adligen."
Der Seilbruch wurde von wilden Gerüchten begleitet: War das Seil manipuliert worden? Durchtrennt? Eher nicht. Selbst das intakte Seil hätte die Männer nicht halten können, es war wenig mehr als eine Wäscheleine.
Wie war Whymper in die Alpen gekommen? Sein Vater betrieb in London eine Holzdruckerei, Edward trat als Lehrling in den veraltenden Familienbetrieb ein. 1860, bat ihn einer der letzten Kunden der Firma, ein Buch über die Alpen zu illustrieren. Whymper, dort angekommen, war perplex:
"Da standen die Berge: wild, weiß, unzugänglich und mehr oder weniger unerforscht - genau wie die Arktis. Sein Instinkt befahl ihm, sie zu besteigen."
Die alpine Dominanz der Engländer war kein Zufall: Die Eisenbahn hatte die Alpen für sie nahe gerückt und in ihren Bildungseinrichtungen wurde - für Männer - das Ideal einer "muscular christianity" gepflegt, das neben Frömmigkeit und Fairness auf soldatische Ausdauer setzte. Whymper starb 1911 in einem Hotelzimmer in Chamonix, in der Schweiz.
Mehr zum Thema