Überleben in der inneren Emigration

Von Bernd Sobolla · 24.02.2013
Über acht Jahre lang war Natascha Kampusch in der Gewalt ihres Entführers Wolfgang Priklopil - bis ihr im August 2006 die Flucht gelang. Der inzwischen verstorbene Filmproduzent Bernd Eichinger und die Regisseurin Sherry Hormann haben ihre Erlebnisse verfilmt.
Mäuschen, es tut mir leid. Jetzt sei doch nicht so!

Am Beginn des Films steht ein banaler Streit zwischen Mutter und Tochter. Natascha wirft die Wohnungstür hinter sich zu und läuft zur Schule. Die Mutter geht auf den Balkon, um sie noch mal zu sehen, ihr etwas Versöhnliches hinterher zu rufen. Doch Natascha ist schon weg. Wenige Minuten später läuft das Mädchen an einem kleinen Transporter vorbei, in dem Wolfgang Priklopil sitzt.

Doch die Entführung selbst steht nur am Anfang der Geschichte. Für Antonia Campbell-Hughes, die die ältere Natascha Kampusch spielt, war die Rolle vor allem in emotionaler Hinsicht eine große Herausforderung:

"Ich sah jemanden, der mit großer Willenskraft und starkem Lebensmut überlebte. Natürlich ist es eine erschütternde Geschichte. Es geht um starke Emotionen, und ich war manchmal ziemlich deprimiert und musste mit meinen eigenen Gefühlen kämpfen, weil alles so komplex war."

Aber in ihrem Verlies entwickelt das Mädchen intuitiv eine Überlebensstrategie: Sie schafft zwischen sich und den Ereignissen eine Distanz, in dem sie in die innere Emigration geht. Auch wenn die Realität immer wieder zuschlägt.

Frau Kampusch, wie ist es ihnen gelungen, ihrem Entführer zu entkommen?

Ich habe den Mann einfach überwältigt.

Wie konnten sie das überhaupt schaffen? Er war doch viel größer als sie, oder?

Ja, äh… ich habe ihn einfach überwältigt.

Hast du dir die Zähne geputzt, bevor oder nachdem du ihn überwältigt hast?


Natascha Kampusch war von vorneherein klar, dass man ihre Geschichte nicht eins zu eins umsetzen konnte. Wichtig war ihr vor allem, dass der Film ihre innere Stimmung vermittelt.

Natascha Kampusch: "Und das hat mich auch daran erinnert, wie ich an die Situation in der Gefangenschaft herangegangen bin. Da ich ja auch versucht habe, mir so ein kleines Zuhause zu schaffen, in dem ich die Kommode an die Wand gemalt habe, oder eine Türschnalle oder einen Briefkasten, damit ich mich wieder wie Zuhause fühle kann."

So brutal und obsessiv sich Wolfgang Priklopil verhielt, Thure Lindhardt, der den Entführer spielt, sieht in ihm auch einen Mann, der zugleich Opfer seiner eigenen Lebensumstände ist.

Thure Lindhardt: "Er hat eine sehr besitzergreifende Mutter und ist kein normaler Mensch. Für mich geht es um Macht und um Liebe. Wenn es nur um Macht ginge, wäre das zu eindimensional. ‚Oh, du gehörst mir!‘ Aber es geht um Liebe und um fehlende Liebe. Wenn ich keine Liebe bekomme, dann nutze ich meine Macht, um sie zu bekommen."

Und so wird bald klar, dass Priklopil der Mächtigere ist, aber Natascha die Stärke.

Du bist genau so an mich gefesselt wie ich an dich.
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