Überfällige Aufarbeitung

Von Christiane Wirtz · 30.03.2011
Die Ausstellung "Ordnung und Vernichtung" im Deutschen Historischen Museum in Berlin untersucht die Rolle der Polizei im NS-Staat und stellt dar: Unbeteiligt an den Verbrechen der Diktatur waren auch bei der Polizei nur die wenigsten, entgegen der lange gepflegten Legenden.
Es hat lange gedauert, bis die Polizei bereit war, die Geschichte der Polizei im NS-Staat umfassend und für das ganze ehemalige Reichsgebiet aufzuarbeiten. Von einigen lokalen und regionalen Initiativen einzelner Polizisten abgesehen.

Immerhin hat sich die Institution jetzt selbst daran gemacht: 2008 gab es einen Innenministerbeschluss, das Projekt anzugehen. 2009 ein Symposium in Münster, das den Sachstand zusammenfasste. Nun die Ausstellung. Kurator Andreas Mix will vor allem eines vermitteln:

"Es ist der Öffentlichkeit meines Erachtens nach nicht hinreichend bekannt, dass auch die Kriminalpolizei und auch die uniformierte Polizei an den Verbrechen des Regimes beteiligt war, und diese Verbrechen exekutierte. Also verkürzt gesagt, der Schutzpolizist, der in den 30er-Jahren den Verkehr regelte, in Berlin oder in einer Kleinstadt, stand ab 1941 an den Erschießungsgruben in der Sowjetunion. Und diese Zusammenhänge sind der Öffentlichkeit noch nicht hinreichend bekannt."

Historiker Michael Wildt, im wissenschaftlichen Beirat der Ausstellung, war es wichtig, dass auch die Doppelköpfigkeit der Polizei herausgearbeitet wird:

"Zu den Polizeiaufgaben in Nazi-Deutschland gehörte sowohl das Regeln des Verkehrs als auch die Deportation der deutschen Juden, die dann eben nicht mehr von deutschen Polizisten beschützt wurden, also diese Erfahrung, diese Ambivalenz, diese Doppelköpfigkeit des Bilds des Polizisten, das ist schon etwas, das sicher auch, das Bild der Polizei nach 1945 geprägt hat. Also was dazu beigetragen hat, dass die Polizei eben nicht gleich in das Blickfeld einer verbrecherischen Organisation im Dritten Reich, die sie war, in den Blick geraten ist"

Die Ausstellung zeigt den Alltag der Polizeiarbeit, sie zeigt etwa das Tätigkeitsbuch der Polizeiwache Bockum-Hövel.

Die Gestapo war häufig mit einem schwarzen Ford im Einsatz. Das bedrohlich wirkende Fahrzeug ist in der Ausstellung vor grünem Hintergrund zu sehen, der Farbe der Polizei im NS-Staat. Schreibmaschinenlettern auf den Begleittafeln symbolisieren die Bürokratie.

Für eine scheinbar unverfängliche Aufgabe ab 1942 steht eine Bunkertür. Der Luftschutz. Denn überall ist sie zu finden: die eben erwähnte Doppelköpfigkeit.

Andreas Mix: "Zu den Schutzräumen hatten die Ausgeschlossenen aus der Volksgemeinschaft keinen Zugang, also Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Juden. Die konnten nicht nur nicht in die Schutzräume, sie mussten sogar gefährliche und schwere Arbeiten nach den Luftangriffen ausführen. Leichen bergen, Blindgänger entschärfen, Trümmer beseitigen. Und das zeigen wir. Wie auch an einem scheinbar positiven Tätigkeitsfeld der Polizei in der NS-Zeit sich das Brutale und das Rassistische offenbar."

Die Ausstellung hat dem sogenannten "auswärtigen Einsatz" eines von zwei Stockwerken reserviert, also etwa die Hälfte der rund 1000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Bei diesem "auswärtigen Einsatz" sind Polizisten beteiligt an den Verbrechen an den europäischen Juden und vor allem der osteuropäischen Bevölkerung. Dies wird angemessen dargestellt, klar genug, aber auch in allen schwierigen Schattierungen.

Klar und typisch ist hier etwa die Karriere von Georg Heuser. Er arbeitet bei der Gestapo in Minsk. Was er da genau gemacht hat, beschreibt er nach dem Krieg gegenüber der Staatsanwaltschaft. Nachzulesen in den Vernehmungsprotokollen:

"Dieser Anblick bedeutete einen Schock für mich. Die Grube war 25 Meter lang, mindestens zwei Meter tief. Später hatten wir tiefere Gruben. Als ich an die Grube herantrat und meine Pistole entsicherte, wurde bereits von anderen geschossen. Ich schoss mit, zunächst aber auf solche in der Grube liegenden Juden, die noch lebten, dann direkt als Schütze mit Genickschuss. Die Zahl der von mir erschossenen Juden ist mir nicht bekannt. Ich habe geschossen. Frauen waren dabei. Kinder nicht."

Andreas Mix: "In diesen Hochvitrinen präsentieren wir Biografien von Polizisten, Führungspersonal, aber auch einfache Polizisten, in diesem Fall ist es die Biografie von Georg Heuser, die wir präsentieren. Der Besucher sieht jedes Mal ein großes Foto von dieser Person. Auf der anderen Seite der Hochvitrine kann man die Biografie nachlesen und in der Vitrine selbst liegen persönliche Gegenstände. Georg Heuser war nach 1945 wieder im bundesdeutschen Polizeidienst, er stieg auf bis zum Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz und wurde im Dienst verhaftet wegen seiner NS-Vergangenheit und auch verurteilt."

Die Verurteilung – sie ist nicht unbedingt typisch. Auch das macht die Ausstellung deutlich. 1945 war nur bedingt ein Neuanfang, kaum personell.

Unter einer sogenannten Hördusche – einer von rund zwanzig Medienstationen – kann man verfolgen, wie die Richter ihre Angeklagten mit Samthandschuhen anfassen. Viele, die vor Gericht stehen, werden laufen gelassen. Anschaulich sind diese Medienstationen, leider fehlen Zeitzeugenberichte.

Insgesamt ist die Ausstellung aber auf alle Fälle sehenswert, denn sie vermittelt eindrucksvoll und in einer Gesamtschau, dass sich das verbrecherische NS-Regime in jeder Hinsicht auf seine Polizei verlassen konnte.

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Service:
Die Ausstellung Ordnung und Vernichtung - die Polizei im NS-Staat ist bis zum 31. Juli 2011 im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.

Zum Thema sendet die ARD eine zweiteilige Dokumentation "Hitlers Polizei", am 30.3. um 23.30 Uhr, der zweite Teil läuft am 6. April um 23.30 Uhr.
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