Über Verfolgungsjagden und bedrohliche Mächte

Rezensiert von Andrea Fischer · 09.06.2006
Den Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz interessiert, welche politische Realität hinter den Thrillern steckt. Sein Buch "Phantastische Wirklichkeit - Das 20. Jahrhundert im Spiegel des Polit-Thrillers" bietet auch Porträts von Autoren dieses Genres. Schwarz gelingt ein ungekannter Zugang zur Zeitgeschichte, der überraschende Informationen enthält.
Phantastische Wirklichkeit – das ist eine wirklich gelungene Zusammenfassung dessen, was in dem Buch untersucht wird: Es geht nämlich darum, welche politische Realität von Thriller-Autoren zu einer phantastischen und damit unterhaltsamen Realität entwickelt wird: Welche tatsächlichen oder wahrscheinlichen Bedrohungen sind das Szenario, das den Spannungsromanen zugrunde liegt? Welche Sicht auf die Welt, wie sie sich entwickelt, liegt dem zugrunde? Und welche politischen Überzeugungen haben die Autoren und welche Botschaft möchte sie ihren Lesern vermitteln?

Schwarz bettet in seine allgemeinen Beobachtungen über die Rolle des Politthrillers 14 Porträts von Autoren und ihrem Werk ein, um an diesen exemplarisch zu zeigen, wie sich in ihren Romanen die oft dramatischen Entwicklungen des vergangenen Jahrhunderts widergespiegelt haben, oder auch nicht. Er geht davon aus, dass die Autoren jeweils politisch eine Haltung, eine Position haben, entsprechend haben sie ihre Geschichten konstruiert. Auch wenn es ihnen natürlich vor allem darum ging, ihre Leser gut zu unterhalten. Sonst wären sie ja auch nicht so erfolgreich gewesen. Das arbeitet er sehr überzeugend heraus: Er erzählt jeweils den Hintergrund des Autors und zieht die Verbindungen zu dessen Themen. Und wir erfahren eine Menge über die durchaus schillernden Personen, die manches Mal selber in den Diensten von den beschriebenen Geheimdiensten standen.

Hans-Peter Schwarz ist einer der bekanntesten und anerkanntesten Zeithistoriker Deutschlands, herausragend und als Standardwerk anerkannt ist seine Adenauer-Biografie. Er ist durch seine Beschäftigung mit Adenauer, der ein großer Krimi-Fan war, selber darauf gekommen, Krimis und Polit-Thriller zu lesen und merkte so, dass diese Bücher politischen Gehalt und ihre Autoren eine politische Botschaft haben. Seine Analyse ist, dass das tiefere Bewegungsgesetz des Genres Polit-Thrillers die Zeitgeschichte selber ist. So hat er sein professionelles Interesse an der Zeitgeschichte mit seinem privaten an Polit-Thrillern verbunden.

Schwarz’ Buch ist auch einfachen Krimi-Fans zu empfehlen. Es ist wirklich gut geschrieben, mit feinem Humor, viel Kenntnis und nie von Herablassung gegenüber dem Genre geprägt – auch wenn es natürlich nie so spannend ist wie ein Polit-Thriller. Sondern im Gegenteil sucht Schwarz nach dem, was hinter den mehr oder weniger heldenhaften Akteuren, den wüsten Verfolgungsjagden, den furchterregenden Schurken und den bedrohlichen Mächten steckt, die den Leser über einige hundert Seiten in Atem halten.

Damit ermöglicht er dem Leser Einblicke und Erkenntnisse, die ihm oft beim raschen Lesen des spannenden Thrillers gar nicht gekommen sind. Außerdem ist es ein ungekannter Zugang zur Zeitgeschichte, der überraschende Informationen enthält, zum Beispiel, dass das schlechte Bild von den Deutschen der Briten viel älter ist als der Zweite Weltkrieg, so war schon der Klassiker "Das Rätsel auf der Sandbank" von Erskine Childers davon geprägt.

Und er weist auf starke fremdenfeindliche und rassistische Tendenzen in den Thrillern hin, weswegen vermutlich die originalen James-Bond-Thriller heute nur noch mit starken Korrekturen veröffentlicht werden könnten. Oder von ihm erfahren wir, dass der Anschlag auf die New Yorker Hochhäuser schon Jahre vorher von Tom Clancy beschrieben wurde.

Hans-Peter Schwarz: Phantastische Wirklichkeit
Das 20. Jahrhundert im Spiegel des Polit-Thrillers
Deutsche Verlagsanstalt, München 2006, 343 Seiten, 22,90 Euro