Über Glauben, Wissen und Wissenschaft

Von Susanne Mack · 07.03.2009
"Entweder Vernunft und Wissenschaft oder Gottesglauben", war das nicht ein Topos der Aufklärung? Oder kann das doch zusammenpassen, auch für aufgeklärte Zeitgenossen - hatte Immanuel Kant da nicht einen Vorschlag gemacht?
"Nichts kann schöner sein als das Wunderbare. Wer da ohne Empfindung bleibt, wer sich nicht versenken kann und das tiefe Erzittern der verzauberten Seele kennt, der könnte auch tot sein.

Das Wissen um die Existenz des Undurchdringlichen, der Manifestation tiefster Vernunft und leuchtender Schönheit – dies Wissen macht wahre Religiosität aus."

Eine poetische Betrachtung des Kosmos - von Albert Einstein. Auf die Frage eines Rabbiners "Glauben Sie an Gott?" entgegnet der Nobelpreisträger für Physik, er sei zumindest kein Atheist.
Wissenschaft und Gottesglauben, wie passt das zusammen? Der Philosoph Herbert Schnädelbach sieht die Dinge so:

"Wenn große Naturwissenschaftler vielleicht so etwas andeuten wie religiöse Erfahrungen, muss man sich fragen: Hat das irgend eine Bedeutung für ihre Wissenschaft selber? Und das glaub’ ich eben nicht. Es kann nicht heißen, dass die Wissenschaft selber in ihrem Wissensbestand religiös wird, dass sie irgendwelche Glaubenssätze integrieren kann."
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"Gott ist eine überflüssige Hypothese."

Das hat auch ein Nobelpreisträger geschrieben. Bertrand Russel, Philosoph und Mathematiker. Und er hat recht – zumindest mit Blick auf die Naturforschung, denn für eine wissenschaftliche Erklärung weltlicher Zusammenhänge ist die Idee eines Schöpfergottes zumindest nicht notwendig, manchmal ist sie sogar störend, betont Manfred Lütz, Naturwissenschaftler, Schriftsteller – und katholischer Christ:

"Ich bin Chefarzt eines Psychiatrischen Krankenhauses, und wenn bei uns ein kranker Patient kommt, da wird nicht gebetet, sondern da wird therapiert! Und dann wird nicht, wenn wir irgendwie nicht weiterwissen, wir diagnostisch unklar sind, gesagt, da ist der liebe Gott irgendwie zuständig. Wir therapieren so, als gäbe es Gott nicht. Und ich habe natürlich Physik studiert und Biologie studiert, als gäbe es Gott nicht, und auch Chemie studiert, als gäbe es Gott nicht.

Aber das hindert mich doch nicht daran, in den vielen Erfahrungen von Natur, von Pflanzen, von Tieren, von Sinn-Erleben, wie das Kinder und Künstler zum Beispiel haben, unmittelbares, ganzheitliches Erleben von Sinn, das als eine Ahnung Gottes zu erleben. Das hindert mich überhaupt nicht!"

Auch Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, betont, der Gottesgedanke solle nicht als "Lückenbüßer" herhalten für die ungelösten Probleme der Naturwissenschaften.

Huber: "Nein, Gott als ein Teil der Wirklichkeit, in der wir leben! Wir unterschätzen den Menschen, wenn wir vergessen, dass er über sich selber hinaus will. Dass der aufrechte Gang des Menschen damit zusammenhängt, dass es etwas Höheres gibt, vor dem er sich beugt, und deswegen beugt er sich vor keinem anderen Menschen. Das müssen wir wiedergewinnen, das ist die große Thematik des 21. Jahrhunderts. Deswegen ist es ja kein Rückfall vor die Aufklärung, wenn wir im 21. Jahrhundert Religion als ein ganz großes Thema wieder ernst nehmen."

Wenn wir die Entstehung unseres Universums mit wissenschaftlichen Mittel erklären können – wozu brauchen wir dann noch Gott? Eine oft gestellte Frage, sagt Manfred Lütz. Aber eine, die eigentlich nur ein Atheist stellen kann.

Lütz: "Ich finde, einen Gott, den man braucht, braucht man nicht. Also, entweder existiert Gott, oder er existiert nicht! Und wenn er ein Gebrauchsgegenstand wird, damit ich da egoistisch vor mich hin leben kann und dann irgendwann beichten, und dann geht’s irgendwie doch noch in Ordnung - das wäre eine Karikatur Gottes, das würde ich auch ablehnen."

Gott lässt sich nicht brauchen, Gott war immer schon da. Das ist Gewissheit gläubiger Menschen. Dieses Wissen ist freilich subjektiver Natur, ein tiefes Gefühl eben, von dem Atheisten sagen, dass sie es nicht kennen.

Schnädelbach: "Ich möchte mich selber sehen und gesehen werden als jemand, der ohne Gott lebt. Und zwar, weil er den Glauben nicht hat. Was nicht bedeutet, dass er deswegen besonders stolz wäre oder das als eine intellektuelle Leistung ansieht. Aber es ist mir einfach nicht begegnet, es sind mir sozusagen keine Erfahrungen zugefallen, die mich dazu gebracht hätten, mich als Gläubigen bezeichnen zu können."

Herbert Schnädelbach, Professor emeritus für Philosophie. Er ist bekannt geworden durch zahlreiche Bücher und Schriften zum Thema "Religion und kritische Vernunft".

Es gab’ Zeiten, da war der Gottesglauben für Philosophen ziemlich selbstverständlich. Im Mittelalter, da diente die Philosophie als "Magd" am Hofe der Königin "Theologie". Philosophen wie Anselm von Canterbury oder Thomas von Aquin haben keine Mühe gescheut, um die Existenz Gottes mit logischen Mitteln unter Beweis zu stellen.

Irgendwann aber hat die Philosophie dann den Dienst bei der Theologie quittiert. Wann genau, ist schwer zu ermitteln, das Ganze war ein schleichender Prozess.

Herbert Schnädelbach: "Ganz wichtig war wohl die Erfahrung dieser konfessionellen Bürgerkriege, ganz schrecklich natürlich im dreißigjährigen Krieg, wo sich die Menschen der Ideologie zufolge die Schädel eingeschlagen haben, weil der eine evangelisch und der andere katholisch war.

Und irgendwie hat sich dann doch die praktische Vernunft durchgesetzt, und man hat gesagt, wenn wir überhaupt Frieden haben wollen, dann müssen wir auf konfessionelle Streitigkeiten verzichten und müssen uns so einigen. Das hat dann dazu geführt, dass letztlich, natürlich auf eine längere Zeit hin, dass die Legitimation der politischen Herrschaft von der Religion unabhängig wurde."

Mitte des 18. Jahrhunderts hat es noch ein entscheidendes Ereignis gegeben, dass den Gottesglauben der Philosophen in den Grundfesten erschüttert hat: das große Erdbeben von Lissabon am ersten November 1755. Da wurde die prächtige Hauptstadt des Königreichs Portugal fast vollständig zerstört. In einer einzigen Nacht.

Der alte Goethe erinnert sich noch über 50 Jahre später an die Schreckensmeldungen aus seiner Kinderzeit:

Zitat J. W. Goethe: "Häuser stürzen ein. Kirchen und Türme darüber her. Der königliche Palast wird vom Meere verschlungen. Die geborstene Erde scheint Flammen zu spei’n. Überall meldet sich Rauch und Brand in den Ruinen. 60.000 Menschen gehen mit einander zugrunde. Und der Glücklichste darunter ist der zu nennen, dem keine Empfindung, keine Besinnung über das Unglück mehr gestattet ist. Die Flammen wüten fort, und mit ihnen wütet eine Schar durch dieses Ereignis in Freiheit gesetzter Verbrecher. Die unglücklichen Übriggebliebenen sind dem Raube, dem Morde, allen Misshandlungen bloßgestellt. Und so behauptet von allen Seiten die Natur ihre schrankenlose Willkür."

Die reale Katastrophe von Lissabon führt im Schlepptau eine Katastrophe des Geistes. Goethe schreibt in seinen Memoiren:

"Der Knabe war nicht wenig betroffen. Gott, der Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erden, den die Erklärung des ersten Glaubensartikels so weise und gnädig vorstellte, hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen."

An genau diesem Umstand entzündet sich in den folgenden Jahren eine vielstimmige Kontroverse über die europäischen Grenzen hinweg. Alle großen Geister des 18. Jahrhunderts sind beteiligt, das Zeitalter der Aufklärung ist eingeläutet.

Zur Diskussion steht ein Thema, das uns bis heute erhalten geblieben ist, die Gretchenfrage der Philosophen an die christliche Theologie, die da lautet: Wenn es einen Gott gibt, und dieser Gott ist allmächtig, gütig und gerecht: Hat er die Schreie von Lissabon nicht gehört? Die gefalteten Hände nicht gesehen?

Warum duldet ein angeblich gütiger Gott massenhaftes und sinnloses Leiden?

Enskat: "Das erste unmittelbare Zeugnis stammte aus der Feder des vermutlich berühmtesten, das ganze Jahrhundert überstrahlenden Autors: von Voltaire."

Rainer Enskat, Philosophieprofessor an der Universität in Halle.

Enskat: "Wenige Wochen nach dem Erdbeben im November hatte Voltaire bereits sein berühmtes Gedicht über das Erdbeben von Lissabon, und, wie es im Titel heißt: "Über den Optimismus" verfasst:"
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"O unglückselige Menschen, bejammernswerte Erde!
Unsinniger Leiden unaufhörliche Qual!
Betrogene Philosophen. Ihr schreit: "Alles ist gut !"
Kommt her! Und seht die grässlichen Ruinen,
verstreute Glieder unter Marmortrümmern.
Wie einen Gott sich denken, der, die Güte selbst,
den Kindern , die er liebt, die Gaben spendet,
und doch mit vollen Händen Übel auf sie gießt?"

Voltaire bringt den Zeitgeist auf den Punkt - und zieht für sich selbst die Konsequenz aus den schrecklichen Ereignissen von Lissabon. Er gibt seinen christlichen Glauben auf und wird ein Wegbereiter des modernen Atheismus.

Enskat: "Weil es nur noch um die Frage ging, ob die Welt im Ganzen von einem gerechten Schöpfer eingerichtet worden ist oder nicht. Und diese Frage wurde zunehmend im 18. Jahrhundert negativ beantwortet. Voltaires Schriften sind besonders drastische, symbolische Formen der Distanzierung von allen diesen Überlegungen und stellen es dem Einzelnen anheim, sich völlig auf eigene Faust einen Reim auf diese Erscheinungen zu machen und sich nicht mehr an tradierte Dogmen zu halten, nicht mehr an den Diskussionen der Gelehrten teilzunehmen."
Kann man sich einen Gott der Liebe denken angesichts des massenhaften Leidens in der Welt? Unmöglich, meint auch Henry Stendhal rund 50 Jahre nach Voltaire. Von Stendhal stammt auch das Lieblings-Bonmot eines fröhlichen Atheismus:

"Die einzige Entschuldigung für Gott ist - dass es ihn nicht gibt."

Aber bei weitem nicht alle Philosophen des 18. Jahrhunderts haben angesichts der Schreckensbotschaften aus Lissabon ihr Gottvertrauen verloren. Im Gegenteil. Jean-Jacques Rousseau zum Beispiel schreibt, allein sein Glaube habe ihn trösten können, und er überwirft sich mit Voltaire wegen dessen gotteslästerlicher Rede.

Auch Immanuel Kant im fernen Königsberg hat von der Katastrophe in Portugal erfahren, empfindet sie als grauenvoll - und sieht dennoch keinen Grund, seinen Glauben aufzugeben. Er schreibt:

"Die Betrachtung solcher schrecklichen Zufälle ist lehrreich. Sie demütigt den Menschen dadurch, dass sie ihn sehen lässt, er habe kein Recht, von den Naturgesetzen, die Gott angeordnet hat, lauter bequemliche Folgen zu erwarten. Der Mensch ist nicht geboren, um auf der irdischen Schaubühne der Eitelkeit ewige Hütten zu erbauen. Alle diese Verheerungen scheinen uns zu erinnern, dass die Güter der Erde unserem Triebe zur Glückseligkeit keine Genugtuung verschaffen können."

Ein Text aus dem Jahre 1755. Später wird Kant die Idee von einem "Gott, der die Naturgesetze angeordnet hat" nur noch metaphorisch gebrauchen. 1781 erscheint seine "Kritik der reinen Vernunft" und markiert den Höhepunkt der philosophischen Aufklärung.

Mit Kants Hauptwerk ist klar geworden - die Existenz Gottes lässt sich durch reine Vernunft, sprich logisches Denken, nicht sinnvoll begründen. Aber auch nicht sinnvoll widerlegen.

Kant selbst ist ein gläubiger Mensch geblieben, der das menschliche Gewissen als einen "inwendigen Richterstuhl Gottes" betrachtet. Aber nach seiner Auffassung gibt es weder eine wissenschaftliche Theologie noch einen wissenschaftlichen Atheismus, Gott ist kein Thema für die Wissenschaft. Gott ist und bleibt eine Glaubensfrage. Und ein Thema für das praktisch-moralische Handeln.

Ein Konzept der Aufklärung, das sich auf der Höhe der Kantschen Philosophie bewegt, bejaht grundsätzlich die Möglichkeit einer Koexistenz von Wissenschaft und Gottesglauben.

Manfred Lütz: "Der Glaube muss der Vernunft gegenüber sich rechtfertigen können, das sagt auch der jetzige Papst, Benedikt der XVI."

Eine solche Auffassung von Religion hat Konsequenzen für die Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und Naturwissenschaft, sagt Bischof Wolfgang Huber:

Huber: "Die Theologie ist schlecht beraten, wenn sie naturwissenschaftliche Einsichten wider besseres Wissen negiert, weil sie sich einbildet, dass die biblischen Aussagen mit diesen naturwissenschaftlichen Einsichten unvereinbar sind. Dabei ist es doch so: die biblischen Texte sind auf der Grundlage der weltbildbeprägten Vorstellungen ihrer Zeit formuliert, sie bringen eine Glaubensüberzeugung zur Sprache im Rahmen des Weltbildes der eigenen Gegenwart.

Und bei aller kritischen Prüfung, die auch die moderne Wissenschaft verdient hat, ist es doch natürlich vernünftig, diesen Glauben heute in Bezug auf die Weltbildvorstellungen zu formulieren, die sich für uns heute dadurch ergeben haben, dass uns wissenschaftliche Einsichten zugänglich sind, die es vor 3000 Jahren noch nicht hat geben können. Und das Weltbild vor dreitausend Jahren gegen Darwin ins Feld zu führen, ist ein in sich selbst widersprüchliches Vorhaben, es verwechselt den Schöpfungsglauben mit einer wissenschaftlichen Darstellung, und das soll man nie tun."

Ein zeitgemäßer Glauben sollte die Feuerprobe der kantschen Aufklärung bestanden haben. Das bedeutet auch, zu akzeptieren, dass wir kein objektives Wissen darüber haben können, ob es einen Gott gibt oder nicht, noch nicht einmal darüber, was das Wort "Gott" in Wahrheit bedeutet. Gott. Das sind vier Buchstaben, und die sind erklärungsbedürftig. Viele Deutungen sind möglich und darum auch viele Formen von Religion.

Andererseits, gibt Bischof Wolfgang Huber zu bedenken:

"Das Wissen, um Kant zu zitieren, bekommt überhaupt nur dann seinen Platz, wenn man einen größeren Horizont hat, innerhalb dessen man dem Wissen seinen Ort zuweist. Das bedeutet, dass wir zwar Religion nach der Aufklärung verstehen, aber zugleich eine Aufklärung über die Aufklärung brauchen! Nämlich eine Kritik derjenigen Fassung der Aufklärung, nach der man sich vorstellt, wer durch die Aufklärung durchgegangen ist, der hat die Religion hinter sich gelassen. Also eine Vorstellung von der Religion als den Eierschalen vormodernen Bewusstseins, die wir endlich abschütteln, wenn wir in die Moderne eintreten. Wir alle wissen: von dieser Denkweise gibt’s ein paar Spielarten, auch eine marxistische darunter, aber auch andere. Und da muss man kritischer sein, man braucht eine Aufklärung über die Aufklärung!"
Lütz: "Viele Atheisten glauben ja, nur die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse seien Erkenntnisse. Aber sie sind verliebt in eine Frau, sie sind ihr treu ein Leben lang, und das ist etwas, was eigentlich uns sozusagen ganzheitlich trägt. Und diese Erkenntnisse des Herzens sind Erkenntnisse, die eigentlich dem Leben viel mehr Geschmack geben als die Erkenntnis 2+2=4, das ist auch eine wichtige Erkenntnis, aber diese existentiellen Erkenntnisse, und ich glaube, dass ich davon etwas im Erlebnis von Musik berühren kann …"

Lütz: "… man kann dann nicht diese Erkenntnisse selbst hintreiben zu Gott, absichtlich, mit viel Anstrengung, sondern es ist letztlich eine Gnade, das glauben wir Christen auch. aber man muss zunächst einmal, klar machen, dass man zumindest keine Argumente der Vernunft gegen diesen Glauben hat."

Schnädelbach: "Das war auch die Schwäche der naturwissenschaftlichen und der marxistischen Religionskritik, dass man Glauben für irgendwie ne fehlerhafte Form des Wissens gehalten hat. Dass man die besondere Dimension, die der religiöse Glaube hat, der ihn auch unterscheidet von irgendwelchem wissenschaftlichen Wissen, dass man die übersieht. Und das hat sehr viel zutun mit Erfahrungen des Angenommenseins, vielleicht sind’s auch Transzendenz-Erfahrungen, Erfahrungen, geliebt zu werden. In diese Richtung muss man da sehen, wenn man versucht, das Spezifische des religiösen Glaubens festzuhalten."

Herbert Schnädelbach, der Philosoph.

Aber es gibt Menschen, die nach eigener Angabe nie religiöse Erfahrungen gemacht haben und diese Erfahrungen auch nicht suchen, weil sie sie nicht vermissen. Wissenschaftler wie der deutsche Soziologe Max Weber zum Beispiel, der offen bekannt hat: "Ich bin religiös unmusikalisch."

Schnädelbach: "Ich möchte eigentlich dafür plädieren, dass man zunächst einmal demjenigen, der sagt: "Nein, ich bin nicht gegen Gott, aber ich habe den Glauben nicht." Dass man ihm das zunächst einmal lässt. Und dass man dann nicht hergeht: So, nun rechtfertige dass mal angesichts des großen religiösen Angebots, das in der Welt existiert."

Das Konzept der Aufklärung, wie es Immanuel Kant formuliert hat, ernst zu nehmen, bedeutet, Toleranz zu üben. Toleranz in der Gottesfrage. Zu akzeptieren, es gibt vernünftig argumentierende und human gesinnte Menschen, die bestens ohne den Gottesglauben auskommen - wie der Philosoph Herbert Schnädelbach. Und es gibt andere, ebenso vernünftig argumentierende und human gesinnte Menschen, die auf ihren Glauben nicht verzichten können und auch nicht verzichten wollen – wie der Arzt Manfred Lütz und Bischof Wolfgang Huber:

Lütz: "Mein Gott, oder Gott, es ist ja nicht nur mein Gott, begegnet mir in der Begegnung mit Menschen, in der Begegnung mit Freunden, ich hab’ so eine Behindertengruppe in Bonn gegründet, mit behinderten und nicht behinderten Jugendlichen, wenn die gemeinsam Feste feiern, da hab’ ich den Eindruck, da ist Gott mitten unter uns, und wenn wir Gottesdienst gemeinsam feiern, und bei den Fürbitte die Behinderten sich bedanken und die nicht Behinderten sich bedanken für das Gefühl, dass Gott ganz intensiv anwesend ist, oder auch bei Musik,

da habe ich eine Ahnung von Ewigkeit, und ich glaube, an das ewige Leben - nicht an das unendliche Leben, das wär’ ja schrecklich, wenn’s nie mehr aufhören würde - was man ahnungsvoll in Kunst erleben kann."

Huber: "Ein platter Wissenschaftsglaube, der bleibt unter seinen Möglichkeiten. Wir würden von der Welt, in der wir leben, und von dem Leben, das uns selber anvertraut ist, zu klein denken, wenn wir nicht mit der Möglichkeit rechnen würden, dass Gott in all dem wirkt. Und deswegen glaube ich, dass auch derjenige von der Welt mehr versteht, der mit der Wirklichkeit Gottes rechnet."