Über Ferdinand von Schirachs "Terror"

Menschenwürde oder Menschenrettung?

Der Schauspieler Timo Weisschnur (Lars Koch, Pilot eines Kampfjets der Bundeswehr) sitzt bei einer Fotoprobe zum Stück "Terror" von Ferdinand von Schirach im Deutschen Theater in Berlin auf der Bühne.
Der Schauspieler Timo Weisschnur (Lars Koch, Pilot eines Kampfjets der Bundeswehr) sitzt bei einer Fotoprobe zum Stück "Terror" von Ferdinand von Schirach im Deutschen Theater in Berlin auf der Bühne. © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Von André Mumot · 25.11.2015
In Ferdinand von Schirachs Stück "Terror" geht es im Kern um die Frage, ob man Menschenleben gegeneinander aufwiegen kann. Ex-Verfassungsrichter Dieter Grimm beantwortet sie in einer Diskussion mit Hauptstadtstudio-Leiter Stephan Detjen anders als die meisten Theaterzuschauer.
Dass dies kein Abend wie jeder andere ist, merkt man spätestens, als die Schauspielerin Aylin Esener kurz vor Schluss in Tränen ausbricht und fast nicht weiterspielen kann. Als Anwältin in Ferdinand von Schirachs Stück "Terror" muss sie auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin für den Freispruch ihres Mandanten plädieren.
"Wir sind im Krieg", sagt sie, und die Stimme bricht ihr Weg. Das alles ist jetzt eingeholt worden von der Realität, ist nach den Pariser Anschlägen kein bloßes, akademisches Gedankenspiel mehr, sondern erschreckende Realität.
"Terror" schien ohnehin das Stück der Stunde: Uraufgeführt am 3. Oktober in Frankfurt am Main und am Deutschen Theater Berlin, wird es inzwischen auch an vier anderen Häusern gespielt, elf weitere werden in dieser Spielzeit noch folgen. Ein Hype, der sich leicht erklärt: Auf die Bühne gebracht wird hier, ganz nüchtern und neutral, der fiktive Prozess gegen den Kampfpiloten Lars Koch, der gegen seine Anweisung beschließt, ein Passagierflugzeug abzuschießen, das von Terroristen gekapert wurde, die es in ein vollbesetztes Fußballstadion stürzen lassen wollen.
Am Ende sind die Zuschauer die Schöffen
Von Schirach geht es um juristische Fragen, darum, ob man Menschenleben gegeneinander aufwiegen kann, nicht zuletzt auch darum, wie Staat und Gesellschaft sich der akuten Bedrohung durch Selbstmordattentäter stellen müssen. Am Ende sind die Zuschauer die Schöffen. An diesem Abend entscheiden sie, wie fast jedes Mal, für den Freispruch.
Der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm würde, wie er nach der Vorstellung sagt, ein anderes Urteil fällen. Im Gespräch mit Stephan Detjen, dem Leiter der Hauptstadtstudios des Deutschlandradios, nimmt er an diesem Abend Stellung zum Stück und den darin angesprochenen Problemen.
Dabei ist für ihn klar, die Entscheidung des Verfassungsgerichts, das nach dem elften September eingesetzte Luftsicherheitsgesetz zu kippen, sei richtig gewesen. Der Staat müsse sich, wenn irgend möglich, an das Tötungsverbot halten. Die Frage, mit welch milder Bestrafung ein einzelner Kampfpilot zu rechen habe, der ein Flugzeug gegen seinen Befehl dennoch aus eigener Gewissensentscheidung heraus abschießt, sei jedoch eine völlig andere.
Der weitere Erfolg seiner juristischen Lehrstunde ist gewiss
Vor allem, so Grimm, sei die derzeit aufgenommene Kriegsrhetorik gefährlich, die die Terroristen in den Stand von Kriegern erhebe und gleichzeitig suggeriere, man müsse die ethischen und juristischen Maßstäbe, auf die sich eine Gesellschaft geeinigt hat, womöglich außer Kraft setzen.
All das liegt in von Schirachs Stück greifbar unter der Oberfläche, und auch der weitere Erfolg seiner juristischen Lehrstunde ist gewiss. Zugleich aber bleibt, auch nach dieser Aufführung, ein gewisser Zweifel.
Zu didaktisch glatt läuft diese Versuchsanordnung ab, zu wenig der existentiellen Bedrohung, mit der wir heute leben, wird differenziert untersucht oder auf eine künstlerisch überzeugende Ebene transportiert. Und doch, mag dies auch kein großer Theatertext sein, so ist er eine Ermahnung zur sachlichen, verbindlichen Auseinandersetzung, auf die wir wohl in Zukunft verstärkt zurückgreifen müssen.
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