UBS-Insider fordert Trennung der Geschäftsbanken vom Investmentbanking

28.09.2011
Der Wertpapier-Experte Wieslaw Jurczenko fordert eine grundlegende Finanzmarktreform. Jedes Land müsse für sich die Frage beantworten, was sein Finanzsektor innerhalb der Gesellschaft leisten müsse. Eine solche Diskussion finde in Deutschland nicht statt.
Joachim Scholl: Vor drei Jahren, im September 2008, stand das Weltfinanzsystem kurz vor dem Kollaps. Schuld waren die hochspekulativen, riskanten Geschäfte der Investmentbanken, und mit ebensolchen Deals hat jetzt der britische Wertpapierhändler Kweku Adoboli in Diensten der Schweizer Großbank UBS über zwei Milliarden Dollar in den Sand gesetzt – an allen Kontrollsystemen vorbei. Jetzt sitzt er in Haft.

In einem Studio in Frankfurt ist uns jetzt Wieslaw Jurczenko zugeschaltet, er ist Anwalt für Wertpapierrecht, in diesem Fall zudem ein besonderer Kenner, denn er hat in seiner früheren Tätigkeit acht Jahre lang das Risikomanagement der UBS in Deutschland geleitet. Guten Tag, Herr Jurczenko!

Wieslaw Jurczenko: Guten Tag, Herr Scholl!

Scholl: Hätten Sie aus Ihrer eigenen Erfahrung, Herr Jurczenko, mit der UBS einen solchen Betrugsfall für möglich gehalten?

Jurczenko: Nicht in dieser Größenordnung, schon gar nicht, nachdem der Fall Société Générale – man erinnert sich an den Namen Jérôme Kerviel – bekannt wurde, in 2008 hat er fünf Milliarden Euro auf wahrscheinlich ähnliche Weise verspielt.

Scholl: Wie hat er denn das Geld verzockt, dieser Kweku Adoboli?

Jurczenko: Nun, bekannt ist noch nicht allzu viel im Detail, aber im Wesentlichen wohl dadurch, dass er Handelsgeschäfte nicht abgesichert hat, was üblicherweise gemacht wird, der Bank aber suggerieren konnte, dass dies der Fall war. So wie es aussieht, scheint der Fall große Parallelen zu dem Fall Société Générale aufzuweisen. Der Bericht bleibt halt abzuwarten, wir werden die Details noch erfahren.

Bei solchen Verlusten ist meiner Erfahrung nach der größte Einflussfaktor eigentlich Zeit, er muss eigentlich Zeit gehabt haben, diese Verluste aufzuhäufen, das macht man nicht in einem Tag. Auch diese Frage muss man eigentlich noch genau anschauen, und insbesondere die Frage, wie viel Geld insgesamt tatsächlich im Feuer stand. Man darf davon ausgehen, dass die Gesamtsumme erheblich höher lag, wahrscheinlich bei mindestens zehn Milliarden Dollar oder mehr. Damit hätte er die ganze Bank wahrscheinlich verzocken können.

Scholl: Es gab ja auch den Fall Nick Leeson, der die britische Barings Bank in den Abgrund spekuliert hat, Sie haben jetzt schon den Fall Jérôme Kerviel erwähnt, fünf Milliarden Verlust hier vor drei Jahren für die Société Général, jetzt dieser Fall Adoboli. Haben die Banken aus diesen früheren Betrugsfällen keine Konsequenzen gezogen, das heißt, nichts gelernt?

Jurczenko: Anscheinend nicht. Es wird vom Bericht der britischen Finanzaufsicht noch abhängen, wie weit hier Parallelen zur Société Général existieren. Damals hatte die britische Aufsicht ein Empfehlungspapier veröffentlicht, das den Banken auch zur Verfügung gestellt wurde, um entsprechende Maßnahmen zu treffen. Hier wird auch zu sehen sein, inwieweit UBS diese Empfehlungen umgesetzt hat. Sollte das nicht der Fall sein, dürfte die Bank wahrscheinlich noch erheblich belastet werden, denn die Bußgelder im Vereinigten Königreich sind ein Vielfaches höher als in Deutschland.

Scholl: Es heißt ja, alle Kontrollsysteme hätten mal wieder versagt. Es war ja auch Ihr Job, Herr Jurczenko, so was zu verhindern in Ihrer aktiven Zeit bei der UBS. Wie ist das eigentlich, wenn man im Risikomanagement arbeitet als Kontrolleur? Hören die Banker denn zu, wenn man auf mögliche Risiken, Gefahren aufmerksam macht?

Jurczenko: Ja, man sitzt so ein bisschen zwischen den Stühlen in dieser Funktion: Einerseits muss man natürlich jedweden Unfall verhindern, andererseits darf man dem Geschäft, wie Sie schon richtig erkennen, nicht zu sehr im Wege stehen. Insoweit hört man ungerne zu, man muss halt zuhören, aber es ist auch wiederum so, dass die Leistung von Risikomanagern nicht so einfach zu quantifizieren ist, denn was machen Sie mit so einem, wenn ein ganzes Jahr lang nichts passiert? War der gut oder waren die anderen gut? Ganz schwer zu sagen. Insoweit haben Sie da immer so ein bisschen eine Zwitterfunktion, es ist nicht ganz einfach.

Scholl: Zwei Milliarden verspielt, über den Fall und die Ursachen des Betrugs im Handel der Schweizer Bank UBS sind wir im Gespräch mit dem Anwalt Wieslaw Jurczenko, er hat früher das Risikomanagement der Schweizer Bank UBS in Deutschland geleitet. der Chef der UBS, der deutsche, Oswald Grübel, ist am Wochenende wegen des Skandals zurückgetreten. Er war es, der dem Investmentbanking der UBS ein Renditeziel von 20 Prozent verordnet hat, also eine hohe Marge. Ist es nicht auch dann doch die direkte Aufforderung an die Händler, möglichst aggressiv, möglichst riskant zu handeln, zu wetten?

Jurczenko: Na, wahrscheinlich nicht so, wie es Herr Adoboli getan hat, aber es ist auch eine altbekannte Tatsache, dass aggressive Geschäftsziele die Ursache Nummer eins für kriminelles Verhalten in Unternehmen sind. Das ist definitiv ein aggressives Geschäftsziel. Dazu kommen noch eine Vielfalt von Einzelheiten wie Anreizsysteme, zum Beispiel in den letzten Jahren sehr stark geworden, die die individuellen Leistungen sehr in den Vordergrund stellen und damit die Teamleistung auch zurückdrängen. So was fördert auch letzten Endes einzelnes Verhalten, was nicht so im Rahmen dessen sich abspielt, was man erwarten würde.

Scholl: Jetzt hören wir ja seit der Finanzkrise, die ja durch solch aggressives Investmentbanking ausgelöst wurde, dass das nicht wieder passieren darf. In diesem Zusammenhang wurde immer wieder die Trennung zwischen Investmentbanken und Geschäftsbanken angesprochen.

Jurczenko: Ja, das ist ein wichtiger Punkt, der eigentlich noch vertieft werden sollte und intensiv diskutiert werden sollte. Es ist ja so, dass Geschäftsbanken die Banken sind, die Sie und ich kennen, das sind die Banken, wo Sie Ihr Geld hinbringen, Ihre Konten haben, Ihre Kredite beziehen, meinetwegen auch ein paar Wertpapiere oder Sparpläne haben.

Investmentbanken haben eine Fülle von Aktivitäten, und die gefährlichste davon ist eigentlich der sogenannte Eigenhandel, das ist der Handel mit dem eigenen Geld, das heißt, Sie setzen letzten Endes Ihr eigenes Kapital auf den Spieltisch und versuchen damit, Ihre Gewinne zu steigern. Und das macht sie so gefährlich, in dem Fall, wo Sie zum Beispiel sehr viel Geld verlieren, ist die ganze Bank im Feuer, und das ist die Frage, ob man das nicht mehr abschotten sollte.

Scholl: Wäre denn eine solche Trennung dann sinnvoll? Liegt ja auf der Hand.

Jurczenko: Ja, ich denke absolut. Die Investmentbanken könnten dann zum Beispiel mit dem Geld, das sie von Investoren haben, wetten, und im Fall der Pleite wären eben die Einlagen und Spargelder nicht betroffen und müssten insoweit auch nicht gerettet werden. Das gab es übrigens schon mal in den USA von 1932 bis in die 1990er-Jahre, eine Zeit, in der solche Krisen jedenfalls unbekannt waren. Investmentbanken haben in den letzten 20 Jahren in den meisten Fällen eigentlich auch wenig bis kein Geld verdient, wenn Sie es in der Summe betrachten, sie sind auch die Ursache der Finanzkrise und nur der Tatsache, dass sie mit Geschäftsbanken verbunden sind, ist es zu verdanken, dass verschiedene Staaten ihre Banken retten mussten und immer noch müssen.

Es gibt eine sehr, sehr beeindruckende Zahl, die allerdings eine Bruttozahl ist, die so natürlich nicht verwendet wurde: In den USA wurden insgesamt brutto – das heißt alle Leistungen, die irgendwie Garantien und Kapitalisierung und alles Mögliche zusammengenommen –, wurden insgesamt über 23 Billionen Dollar aufgewendet, um dieses Banksystem zu retten.

Scholl: Wie weit ist man denn da mit einer solchen Trennung oder zumindest dem Gedanken daran? Wer diskutiert das und wie?

Jurczenko: Also diskutiert wird es derzeit in der Schweiz, da gibt es die sogenannte "Too-big-to-fail-Kommission", die Schweiz war ja sehr betroffen durch die Verluste der UBS. Die USA diskutieren es immer noch, sie gehen auch ein bisschen stärker in diese Richtung, wenn nicht ganz so radikal wie das früher der Fall war. Und die Briten diskutieren das, da gibt es eine Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Chefökonoms der Bank of England, Sir John Vickers, die gerade in der Woche, in der der Verlust der UBS bekannt wurde, ihren Bericht veröffentlich hat und auch sich für eine stärkere Trennung eingesetzt hat.

Scholl: Wie sieht es in Deutschland aus?

Jurczenko: Mir ist in Deutschland nicht bekannt, dass es da eine wirklich sichtbare und wahrnehmbare Diskussion gäbe. Es gibt vereinzelte Forderungen, aber nicht wirklich ein sichtbares Thema.

Scholl: Moment, das ist kein Thema? Ich meine, wir erinnern uns ja noch gut an die starken Worte eines Peer Steinbrück, das darf alles nicht wieder vorkommen, wir müssen die Banken an die Kandare nehmen, die Finanzaufsicht wurde verstärkt – aber an diesem Kern, diesem wesentlichen Kern, da rührt man nicht?

Jurczenko: Man spricht in Deutschland immer nur von Regulierung und verschleift sich sehr in Einzelthemen, etwa Finanztransaktionssteuer, die ganz sicher sinnvoll ist. Notwendig aber wäre eigentlich eine grundlegende Finanzmarktreform, bei der jedes Land für sich die zentrale Frage beantworten müsste, was ihr Finanzsektor innerhalb der Gesellschaft leisten muss und was nicht. Und eine solche Diskussion findet in dieser Größenordnung, in dieser Dimension nicht statt in Deutschland.

Scholl: Aber die Banken argumentieren ja immer, ohne Investmentbanking und dessen Eigenhandel eben seien sie international nicht konkurrenzfähig. Stimmt das?

Jurczenko: Halte ich nicht für sehr stichhaltig, weil viele Geschäfte im Investmentbanking ohnehin nicht von einer Bank gemacht werden. Denken Sie an große Börsengänge, Platzierungen von Staatsanleihen – das machen immer Konsortien, machen immer mehrere Banken, das heißt, sie kaufen solche Leistungen mitunter auch zu oder geben sie halt raus. Eine einzelne Bank hat da sowieso kein Monopolgeschäft.

Scholl: Wem hat dieser Eigenhandel von Banken eigentlich je genutzt?

Jurczenko: Ja, das ist eine gute Frage, eigentlich nur einer Gruppe, nämlich der Gruppe der Bonusempfänger, denn wenn in diesen Investmentbanken Gewinne anfielen, dann wurde der Großteil an Boni ausgeschüttet, nämlich an die Bonusempfänger, für den Aktionär blieb nicht viel, für die normalen Mitarbeiter auch nicht, und wenn Verluste auftauchten, wurden sie mit Arbeitsplätzen und Steuern bezahlt. Und das ist eigentlich keine sinnvolle Struktur für die Zukunft.

Scholl: Noch mal zu dieser Trennung: So, wie Sie es uns erklärt haben, Herr Jurczenko, ist es eigentlich auf der Hand, dass es selbst für die Bank ja auch sinnvoll ist, wenn sie denn diese Trennung vollzieht, dass sie sozusagen nicht irgendwie das ganze System ihrer Bank mit in den Abgrund reißt und natürlich auch die Steuerzahler verprellt. Warum ist es anscheinend aber so schwer in der internationalen Bankenwelt, diese Trennung durchzuführen?

Jurczenko: Ich vermute, weil man einfach … In dem Moment, indem man diese Trennung zieht, weiß man genau, dass man sich von jedweder Aussicht auf riesige Boni verabschieden kann, und ich vermute mal, dass das ein Faktor ist, der die Betroffenen daran hindert, sich dieser Diskussion offen zu stellen.

Scholl: Das heißt, es ist wieder die Gier von einzelnen Personen, die sagen, ich will da auf diesen ordentlichen Batzen nicht verzichten?

Jurczenko: Die Macht der Gewohnheit. Wenn Sie in den letzten zehn Jahren immer wieder Boni bekommen haben, die sind Ihnen ja auch nie weggenommen worden, selbst wenn Sie Verluste gemacht haben, dann werden Sie sich doch weiterhin dafür einsetzen, ist doch klar.

Scholl: Der Betrug im Handel der UBS und die Grundsatzfrage nach dem Sinn solcher Geschäfte – das war Wieslaw Jurczenko, acht Jahre lang hat er das Risikomanagement der Bank in Deutschland geleitet, heute arbeitet er als Anwalt für Wertpapierrecht und als Journalist. Danke, Herr Jurczenko, für das Gespräch!

Jurczenko: Ich danke auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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