Typografie

"Zeige mir deine Zeichen, und ich sage dir, wer du bist"

Eine alte Frakturschrift im Leipziger Druckkunst-Museum, aufgenommen am 12.11.1999
Eine alte Frakturschrift im Leipziger Druckkunst-Museum © picture-alliance / dpa / Wolfgang Kluge
Von Susanne Billig und Petra Geist · 21.05.2014
Schriften und ihre Typografie demonstrieren Machtansprüche und erzeugen Identitäten. Das zeigt sich immer wieder. Etwa am Beispiel der gebrochenen Fraktur, die 400 Jahre lang die wichtigste Buch- und Verkehrsschrift der Deutschen war.
Wer deutsch war, schrieb in Fraktur. Alles andere war lange Zeit indiskutabel. Oder die Koreanische Hangeul-Schrift: Sie war so einfach, dass man sie innerhalb von einer Woche lernen konnte. Doch die koreanische Elite mied genau deshalb diese "Volksschrift".
Heute ist die Fraktur verschwunden
Ruhig, sachlich, unaufgeregt - so präsentiert sich die deutsche Regierung heute in ihren Publikationen. Auch ein klares, zurückhaltendes Schriftbild gehört dazu. Wohin sind sie verschwunden, die ausdrucksstarken, gebrochenen Schriften, landläufig meist Fraktur genannt? Im deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik prangten die kräftigen Buchstaben mit ihren abrupten Richtungswechseln ganz selbstverständlich auf allen offiziellen Dokumenten. Über Jahrhunderte hinweg galt die Fraktur als die deutsche Schrift im In- und Ausland.
Ihren Aufschwung nahmen die gebrochenen Schriften im sechzehnten Jahrhundert. 1534 veröffentlicht der Reformator Martin Luther seine berühmte Bibelübersetzung in deutscher Sprache - ein wortgewaltiges Werk, das Luther bewusst in einer kräftigen, gebrochenen Schrift setzen lässt. Sie bringt seine Stimme auch optisch voll zur Geltung - und unterscheidet sein Werk auf den ersten Blick von den Büchern der katholischen Kirche. Auch von den Schriften der gelehrten Humanisten setzt er sich ab, die auf Lateinisch schreiben und in der Typografie der Römer drucken - der Antiqua-Schrift mit ihre klaren, runden Bögen.
Unterscheidung zwischen Gut und Böse
In dieser Zeit deutet sich die weltanschauliche Aufladung der Schrift bereits an: Eine Luther-Bibel-Ausgabe von 1545 unterscheidet sogar zwischen Gut und Böse mit den Mitteln der Typografie: Wörter wie Gnade, Trost, Gott und Engel sind in Fraktur gedruckt; Wörter wie Zorn, Strafe, Tod und Pest tauchen im Antiqua-Schriftbild auf.
Andreas Koop, Grafikdesigner und Autor des Buches "Schrift und Macht":
"Und das ist natürlich schon interessant und unglaublich manipulativ, wenn man mit einer Schrift das Negative konnotiert und verbindet."

Alte Lettern aus Holz für den Buchdruck - Setzkasten mit einer Frakturschrift
Alte Lettern aus Holz für den Buchdruck - Setzkasten mit einer Frakturschrift© picture alliance / Bildagentur-online
Größte Verbreitung im 19.Jahrhundert
Als im neunzehnten Jahrhundert der Nationalismus in Europa um sich greift, erlebt die Fraktur die Zeit ihrer größten Verbreitung. 1861, zehn Jahre vor Gründung des Deutschen Reiches, erscheinen achtzig Prozent der Bücher in gebrochener Schrift. Reichskanzler Otto von Bismarck erkennt sehr genau, dass die gebrochene Schrift helfen kann, die Identität der deutschen Nation zu formen.
Andreas Koop: "Die Bildung der Nation war ja seine große Mission gewissermaßen. Für ihn war natürlich wichtig, dass er alles in diese Waagschale wirft. Und dazu gehörte ja auch Schrift. Er hatte ja mal behauptet, er lese kein Buch, das in welscher Schrift, also in Antiqua gesetzt sei."
Korea - ein Königreich ohne Schrift
Das eindrücklichste Beispiel dafür, wie der Umgang mit einer Schrift dabei hilft, gesellschaftliche Differenzen zu zementieren - und schließlich aufzusprengen - liefert Korea. Wer hier im Mittelalter einen Text verfassen wollte, musste dies auf Chinesisch tun, denn Jahrhunderte lang stand das Königreich unter dem Einfluss seines mächtigen Nachbarn. Schon 1230 erfand man auf der koreanischen Halbinsel den Buchdruck mit beweglichen Bronzelettern - zweihundert Jahre früher als in Europa. Doch eine eigene Schrift gab es nicht.
Holmer Brochlos, Lehrbeauftragter und Sprachlektor am Institut für Koreastudien der Freien Universität Berlin:
"Ein normaler Bauer, der jeden Tag arbeiten muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, der konnte sich nicht hinsetzen und tausend chinesische Zeichen lernen."
Die legendäre Schöpfung der Hangeul-Schrift
Bis zum Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts bleibt das koreanische Königreich ohne eigene Schrift, bis ein großer Reformer den Thron einnimmt: der berühmte König Sejong.
Er ruft eine "Akademie der Weisen" zusammen und es wird - das erste und einzige Mal in der Geschichte - eine Schrift am Reißbrett völlig neu konzipiert. Was dabei herauskommt, ist kein steriles Konstrukt, sondern ein Entwurf voller Intelligenz, Schönheit und Leben. Legenden ranken sich um die neue Hangeul-Schrift.
Ausländische Studenten üben am 8.10.2013 in Seoul die Hangeul-Schrift anlässlich des Tags des koreanischen Alphabets am folgenden Tag.
Ausländische Studenten üben in Seoul die Hangeul-Schrift anlässlich des Tags des koreanischen Alphabets.© picture-alliance / dpa
Ist sie inspiriert vom Gitterwerk auf traditionellen koreanischen Türen? Oder von den Mustern, welche Seidenraupen in Maulbeerblätter fressen?
Holmer Brochlos: "Es ist eigentlich eine geniale Schrift. Da haben sich offensichtlich wirklich Sprachwissenschaftler, Linguisten, die auch wirklich Bescheid wissen, eine Schrift entwickelt, die genau der koreanischen Sprache angepasst ist."
Komplettes Sendungsmanuskript als PDF-Dokument
Komplettes Sendungsmanuskript im barrierefreien Textformat
Mehr zum Thema