"Typisch deutsch?"

Zuverlässigkeit

Termineintrag "Abendessen" in einem Kalender
Zuverlässig auch im Privaten: Termineintrag "Abendessen" in einem Kalender. © imago / blickwinkel
Von Matthias Baxmann und Matthias Eckoldt · 19.01.2017
Die Zuverlässigkeit der Deutschen ist sprichwörtlich. Von anderen wird sie geschätzt und bewundert, aber auch als anstrengend empfunden: Wenn zum Beispiel alle deutschen Gäste pünktlich zu einer privaten Essenseinladung erscheinen, findet etwa ein Mexikaner.
Der Iraner
Oliver Towfigh Nia aus dem Iran lobt, dass man sich auf Zusagen von Geschäftspartnern aus Deutschland verlassen kann. Deshalb wundert er sich allerdings über das Terminchaos beim neuen Flughafen Berlin Brandenburg:
"Eines der großen Probleme der Iraner ist, dass sie sehr viel versprechen, aber nichts halten. Da sind die Deutschen völlig anders. Da ist ein Wort ein Wort. Die sind da ganz realistisch. Die wissen, kann ich helfen oder nicht. Wenn ja, dann helfen sie, wenn nein, dann sagen sie es und versprechen nicht irgendwas, was sie gar nicht leisten können. Wenn mir ein Deutscher etwas verspricht, nehme ich das ernst und verlasse mich darauf; wenn mir ein Iraner etwas verspricht, lache ich nur darüber. Deswegen sind im Iran auch deutsche Geschäftspartner so begehrt. Da weiß man, wenn die einen Bautermin vereinbaren, dann ist der Bau auch genau zu diesem Termin fertig. Wenn Iraner sagen: Das Kraftwerk ist in zwei Jahren fertig, dann kann man da auch mal noch eine Null dranhängen.
Ich weiß noch, als ich die ersten Meldungen in den Iran abgesetzt habe, dass die Deutschen nicht mit ihrem Flughafen Berlin Brandenburg fertig werden, wollte das im Iran keiner glauben. Die haben das nicht gedruckt, weil sie dachten, ich hätte falsch recherchiert."
Die Italienerin
Flaminia Bussotti aus Italien erkennt in der mangelnden Flexibilität eine Kehrseite der deutschen Zuverlässigkeit:
"Auf die Deutschen ist Verlass. Das finde ich wunderbar. In Deutschland ist alles durchorganisiert. Da werden Termine gemacht und die stehen dann auch. Wir Italiener setzen da mehr auf Improvisation. Das hat Vor- und Nachteile. Wenn in Italien etwas nicht klappt, wird einfach weiterimprovisiert. Wenn in Deutschland etwas nicht klappt, bricht gleich das ganze System zusammen, weil sich alle darauf verlassen haben, dass es klappt. Das ist die Kehrseite der deutschen Zuverlässigkeit: mangelnde Flexibilität. Die Deutschen sind mit der Ausnahme nicht vertraut. Wir Italiener dagegen leben in der Ausnahme."
Der Mexikaner
Yaotzin Botello aus Mexiko findet es eher anstrengend, wenn deutsche Gäste alle zuverlässig pünktlich zu einer privaten Einladung erscheinen:
"Die Zuverlässigkeit der Deutschen ist beeindruckend. Alles läuft genau so, wie man es verabredet hat. Selbst im Privaten. Ich habe mal ein Abendessen gegeben. Und dann waren die Leute alle zu der Zeit da, die ich angegeben hatte. Ich hatte noch gar nicht alles vorbereitet. Das war sehr stressig für mich."
Die Ungarin
Edith Oltay aus Ungarn findet, dass die Zuverlässigkeit der Deutschen allmählich abnimmt:
"Wenn ich wieder mal eine Skala von eins bis zehn wähle, würde ich den Deutschen aktuell bei diesem Thema nur noch eine Sieben geben. Die Deutschen sind zuverlässig, aber das hat etwas abgenommen. Wenn ich heutzutage einen Termin mit einem Freund oder Bekannten mache, rufe ich – nach einigen schlechten Erfahrungen – einen Tag vorher noch mal an, um zu fragen, ob es dabei bleibt. Das musste ich früher nicht.
Auch bei den Handwerkern hat die Zuverlässigkeit abgenommen. Mittlerweile haben wir sogar schon Probleme, überhaupt Handwerker zu finden. Wenn sie dann kommen, entspricht die Qualität ihrer Arbeit nur noch in zwei von fünf Fällen den Erwartungen.
Sogar bei Mercedes, dem weltweiten Synonym für Zuverlässigkeit, haben die letztens bei einer Durchsicht mehrere Dinge vergessen. Da musste ich dann den Wagen noch einmal hinbringen."

Unsere Serie "Typisch deutsch" wird vom 10.11.2016 an jeden Donnerstagnachmittag um 17.50 Uhr in der Sendung Studio 9 ausgestrahlt. Die Autoren Matthias Baxmann und Matthias Eckoldt haben Korrespondenten aus rund 30 Ländern zu ihren Erfahrungen befragt. Dazu ist auch das Buch "Typisch deutsch" im Holiday Verlag erschienen.

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