Twombly total

Von Günter Kaindlstorfer · 03.06.2009
Der Großmeister des abstrakten Expressionismus', Cy Twombly, ist eigens nach Wien gereist, um der Eröffnung beizuwohnen: "Sensations of the Moment" heißt die im Museum moderner Kunst gezeigte Werkschau, die rund 200 Arbeiten aus allen Schaffensphasen Twomblys zeigt.
Großer Bahnhof für Cy Twombly in Wien: Zur Eröffnung der Retrospektive im Museum moderner Kunst in Wien war der Meister eigens aus Süditalien angereist, um einer ihm gewidmeten Performance des Künstlers Franz West und des Komponisten Michael Mautner zu lauschen.

Cy Twombly, ein braungebrannter, älterer Herr in weißer Hose und blauem Sommerjackett, wirkt äußerst zurückhaltend. Er nimmt in der letzten Reihe Platz, lauscht der musikalischen Darbietung, scheint zufrieden mit dem, was sich die Wiener da zu seinen Ehren haben einfallen lassen - auch, was die Ausstellung selbst betrifft.

Kurator Achim Hochdörfer hat 200 Arbeiten aus allen Schaffensphasen des Künstlers zusammengetragen, kleinere Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen, aber auch großformatige Hauptwerke wie "Hero und Leander" oder "Wilder Shores of Love". Kurator Hochdörfer hält Cy Twombly für eine singuläre Erscheinung in der heutigen Kunstszene.

"Ich denke, dass er die Direktheit und Härte des abstrakten Expressionismus amerikanischer Prägung verknüpft mit der Distinguiertheit und Sensibilität der europäischen Tradition."

Cy Twombly lebt abwechselnd in seiner Geburtsstadt Lexington/Virginia und in Gaeta, einem malerischen Städtchen, auf halbem Wege zwischen Rom und Neapel gelegen. In den Hügeln über Gaeta hat sich der Künstler einen Renaissance-Palazzo nach eigenem Gusto umbauen lassen. Das Haus ist labyrinthisch angelegt, mit endlosen Gängen voller Bücher, Kunstwerke und Fundstücken, die Twombly auf dem Strand oder weiß Gott wo zusammengetragen hat. Hier arbeitet der Maestro, wie sich der Künstler in Italien gern nennen lässt, zurückgezogen an seinen einzigartigen Bildern, die zwischen Malerei, Grafik und Kalligrafie oszillieren. In der Regel, erklärt Twombly, beschäftige er sich mit mehreren Arbeiten gleichzeitig. Er gehe von einem Bild zum anderen und nehme die Energie jeweils mit.

Cy Twombly und Italien - das ist die Geschichte einer großen Liebe. In den 50ern kam der Künstler zum ersten Mal auf die Apenninhalbinsel, wie Kurator Achim Hochdörfer erklärt: Und Twombly kam, um zu bleiben.

"Er hat schon ganz früh, 1952/53, gemeinsam mit seinem Freund Robert Rauschenberg eine Reise nach Europa und Nordafrika unternommen. Schon damals hat Twombly eine starke Zuneigung zu Europa, vor allem zu Italien entwickelt. Und dann ist er 1957, eigentlich um eine Freundin zu besuchen, wieder nach Italien gekommen, hat dort dann seine spätere Frau kennengelernt und ist in die römische Szene jener Jahre hineingekommen, das war die Zeit von Pasolini und Fellini - 'La dolce Vita', wenn man so will. Er hat sich in Rom sehr wohlgefühlt, auch persönlich. Dazu kam die Zuneigung zur europäischen Geschichte und zu diesem durchaus auch ein bisschen dreckigen Rom, mit den schmutzigen Häuserfassaden, und zu dieser sehr spezifischen palimpsestartigen Struktur der Stadt mit ihren antiken Denkmälern."

Der Grundriss von Rom - ein Chaos aus Dutzenden übereinander liegenden archäologischen Schichten - erinnert stark an die Arbeiten Cy Twomblys, der sich immer wieder von der italienischen Kapitale hat inspirieren lassen. Auch Twomblys Bilder sind ein Labyrinth aus Spuren und Überlagerungen und halbversteckten Botschaften. Graffitis auf den verdreckten Hauswänden der römischen Arbeitervorstädte hat Twombly ebenso in seine Arbeiten einfließen lassen, wie mythische Erzählungen aus der römischen und griechischen Antike. Dabei kombiniert der Künstler Malerei mit enigmatischen schriftlichen Strukturen, was zu seinem Markenzeichen geworden ist, wenn man so will.

Heute, mit 80, könne er nicht mehr auf Leitern steigen, erzählt Cy Twombly. Der Maestro kann mithin auch keine drei mal fünf Meter großen Leinwände mehr bearbeiten wie früher. Heute arbeitet Twombly viel an Skizzen und kleinformatigeren Arbeiten. Oft aber sitze er auch einfach da und schaue, sagt Twombly.

Die letzte große Cy-Twombly-Retrospektive 2008 in der Tate Modern in London zeigte vor allem die monumentale Seite des Künstlers. In der Wiener Schau ist ein intimerer, aber nicht minder spannender Twombly zu entdecken.

Großformatige Werke führen die kalligrafische Formensprache des Künstlers noch einmal beispielhaft vor Augen, der Fokus der Wiener Ausstellung liegt aber nicht zuletzt auf Serien kleinerer Formate, die bisher noch nirgendwo zu sehen waren, und auf Twomblys bisher unbekanntem fotografischem Werk. Wien dürfte für Twombly-Fans bis in den Herbst hinein eine Reise wert sein.