Tuvia Tenenbom

"Die deutsche Toleranz ist nur eine Fassade"

Tuvia Tenenbom
Nach ein paar Bier falle regelmäßig die Fassade der Judenfreundlichkeit, beklagt Tuvia Tenenbom. © picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Von Evelyn Bartolmai · 22.08.2014
Aus dem Originaltitel "I sleep in Hitler's Room" wurde in der Übersetzung "Allein unter Deutschen". Der Bericht von Tuvia Tenenbom über den hierzulande wabernden Antisemitismus ist inzwischen auch in Israel ein Bestseller.
Wenn Bücher in unterschiedlichen Sprachen erscheinen, sind sie normalerweise inhaltlich identisch. Nicht jedoch im vorliegenden Fall. Der Titel "Allein unter Deutschen" suggeriert Schwäche und Ausgeliefertsein, während die englische und die hebräische Ausgabe schon im Titel "Ich schlafe in Hitlers Zimmer" den Triumph über die Vergangenheit ausdrücken, denn Tuvia Tenenbom nächtigte tatsächlich in jenem Hotelzimmer in Weimar, in dem Hitler einst von der Vernichtung der Juden geträumt hatte.
Und es gibt weitere Differenzen. Denn die hebräische Ausgabe enthält wieder Passagen und Informationen, die man vergeblich in der deutschen Edition sucht. Etwa die Gespräche, die Tenenbom mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Tillich geführt hatte, oder mit der für Integration in Nordrhein-Westfalen zuständigen Staatssekretärin Kaykin, oder auch mit dem Direktor der Gedenkstätte Buchenwald, um nur die prominentesten Gesprächspartner zu nennen, die ihre Äußerungen nicht mehr zitiert sehen wollten. Oder die einfach gestrichen wurden, weil sie so gar nicht ins Bild passten, das ein deutscher Verlag seiner Leserschaft von einer jüdischen Feder geschrieben zumuten mochte. Und was sogar dazu führte, dass der Bericht über sechs Monate Aufenthalt inmitten der deutschen Gesellschaft, den ursprünglich Rowohlt in Auftrag gegeben hatte, am Ende bei Suhrkamp erschien.
Fassade der Judenfreundlichkeit
Dies sei symptomatisch für sein "Gesamterlebnis Deutschland", sagt Tuvia Tenenbom, er habe sich so lange wohlgefühlt, bis nach ein paar Bier regelmäßig die ganze schöne Fassade der Toleranz und Judenfreundlichkeit zusammengebrochen sei.
Tuvia Tenenbom: "'Wir sind sehr tolerant', sagen alle, aber dann erzählen sie hinter vorgehaltener Hand, 'aber die Juden, weißt du, was sie in Israel machen? Sie töten die Palästinenser!'. Sie betrachten sich selbst als tolerant, 'Frieden und Liebe', sie zeigen die Symbole mit den Fingern, aber tief innen sind sie nicht wirklich tolerant.
Und ich finde, in Deutschland ist das besonders traurig. Sie bauen tolle jüdische Zentren, in München, in Köln, überall gibt es schöne Synagogen, nur eben kaum Juden, die dort hingehen! Die Deutschen haben viele Millionen Euro dafür ausgegeben und es sieht so herrlich aus. Aber es ist nur eine Fassade. Ja, die deutsche Toleranz heute ist nur eine Fassade."
Er wünschte, dass es anders und vielleicht auch nur an Stammtischen und auf der Straße anzutreffen wäre, sagt Tuvia Tenenbom, doch hat er mehrfach anderes erlebt und erzählt von seinen jüngsten Erlebnissen in zwei Pressekonferenzen der deutschen Botschaft in Tel Aviv:
"Ich hatte es gewagt, Westerwelle irgendwas zu fragen. Und ich habe mir auch erlaubt, Gregor Gysi eine Frage zu stellen - und jetzt werde ich boykottiert und bekomme keine Emails mehr von denen und erfahre auch nichts mehr, nur weil ich gewagt habe, deutschen Politikern Fragen zu stellen! Aber sie haben all diese Stiftungen hier und wollen die Juden und die Araber 'demokratische Werte' lehren Hallo, die Deutschen kommen nach Jerusalem und Ramallah, um demokratische Werte zu lehren? Vielleicht sollten die Juden und die Araber den Deutschen beibringen, was Demokratie ist, denn vielleicht haben wir hier mehr davon als die dort! Und das genau ist die Fassade!"
Zu der Tuvia Tenenbom übrigens auch alle deutschen Gesetze gegen Neonazis zählt, die nur auf dem Papier stünden und so gut wie nie Anwendung fänden. Wahre Demokratie und Toleranz, meint er, vertrügen sich ohnehin nicht mit Verboten:
"Wenn es in Deutschland Nazis gibt, ja dann lasst sie doch ihre Clubs haben! Ganz legal, das ist Demokratie, jeder darf seine Meinung haben. Du hast nicht das Recht, jemanden zu töten, aber du darfst ihn hassen, das ist auch Demokratie."
Rotem Sela, der Herausgeber der israelischen Ausgabe, steht in Tel Aviv und wundert sich, warum Deutsche bis heute mit wahrer Obsession auf die Themen "Juden" und mittlerweile auch "Israel" fixiert seien. Daher sei es kein Wunder, dass das Buch "Ich schlafe in Hitlers Zimmer" auch hier sofort zum Bestseller wurde:
"Tuvia stellt die Frage, warum in Deutschland ein solches Nichts aus Österreich wie Hitler erfolgreich sein und tun konnte, was er getan hat. Tuvia nennt ihn 'Klumnik – ein Nichts', und er bringt viele Belege dafür, dass ein solcher Mensch, der so ein Verbrechen zu inszenieren vermochte, dies nicht im luftleeren Raum tat, sondern ein Werkzeug der Geschichte und ein Produkt seiner Zeit war. Und Tuvia ist der Meinung, dass der Geist dieser Zeit bis heute fortbesteht. Er zeigt ihn in seinen heutigen Erscheinungsformen, und so bekommen wir einen Einblick in die Realität und erkennen, dass die Welt noch immer in den alten Mustern über uns denkt."
Die Gefahr, Klischees zu bedienen oder gar Vorurteile zu zementieren, sieht Rotem Sela nicht. Ganz im Gegenteil, sagt er, man brauche sich doch nur anzuschauen, wie viele Israelis heute in Deutschland leben:
"Während einer Buchpräsentation hat mir ein Mann gesagt, dass er kein Mitleid mit den Deutschen hat, denn wir Israelis haben immerhin unser Trauma der Schoa bearbeitet, während sie das offenkundig nicht getan haben und immer noch damit leben müssen. Und ich meine nicht, dass da Vorurteile bedient werden, sondern es ist ein interessantes Buch, dass eine für Israelis sehr verstörende Wirklichkeit beschreibt. Und die meisten lesen dieses Buch weniger mit Wut oder gar Komplexen, sondern um besser zu verstehen, was dort bis heute abgeht."
Ambivalentes Verhältnis zu den Deutschen
Als ambivalent beschreibt Tuvia Tenenbom sein Verhältnis zu Deutschland, denn neben den vielen Dingen, die er kritisiert, gibt es auch einiges, was er mag an deutschen Landen und Leuten:
"Oh, ja! Ich bin so neurotisch wie die Deutschen, in Sachen Sauberkeit und Funktionalität ist es der einzige Platz auf der Welt – ich liebe es! Ich liebe es, wie sich die Deutschen über die Bahn aufregen, denn sie wissen wirklich nicht, in welchem Paradies sie leben. Ist die israelische Eisenbahn etwa pünktlicher oder die amerikanische? Es ist ja ein Witz, sie sind dort wirklich wie im Himmel. Und das System funktioniert, jeder weiß, wo sein Platz ist, also das ist doch wirklich gut. Und ich mag auch deutsche Museen, die Leute lesen sehr viel auch Zeitungen, also große Zeitungen wie 'Die Zeit' oder 'Süddeutsche Zeitung' – ich hasse die 'Süddeutsche Zeitung', aber wenigstens lesen die Leute Zeitung, und ich mag das. Okay, es gibt auch zu viele Leser der 'Bild'-Zeitung, aber immerhin, wohin man kommt, da gibt es Foren und Diskussionen, oft über dumme Sachen wie 'Juden und Palästinenser', aber es ist eine Menge los, und das gefällt mir, also es gibt schon auch viel Gutes in Deutschland. Und ich mag Frikadellen, oder Buletten, wie man in Berlin sagt, sie schlagen McDonalds um Längen!"
Und so lässt eben auch allem Ärger über die zensierte deutsche Ausgabe zum Trotz Tuvia Tenenbom keinen Zweifel daran, dass sein Buch doch aus Zuneigung zu den Deutschen geschrieben ist:
"Wenn ich auf die Deutschen zeige, dann denunziere ich nicht, sondern ich sage, hey, du bist krank. Und wenn ich was über oder zu den Deutschen sage, dann mache ich das nicht mit Hass. Ich schreibe für Deutsche, und man kann nicht für jemanden schreiben, den man hasst. Aber doch sage ich zu ihnen, dass sie krank sind, im Kopf. Und ich bitte sie, das zu kurieren. Ja, kuriert es! Nicht meinetwegen, sondern euretwegen."
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