Tupperpartys im Netz

Von Ralf Bei der Kellen · 08.08.2007
Werbung ist etwas, das viele Menschen als lästig empfinden. Mit der Entwicklung von sozialen Netzwerken innerhalb des Internets entstand vor ein paar Jahren die Möglichkeit, Werbung gezielter an den Mann oder an die Frau zu bringen. Diese neue Form der Werbung nennt sich virales Marketing.
Das Schlagwort "virales Marketing" weckt bei vielen Menschen zunächst negative Assoziationen. Wird da Werbung mit Viren gemacht? Dann nein danke, ein Virus ist weder im eigenen Immunsystem noch auf dem heimischen PC ein gern gesehener Gast. Und doch holen sich gerade Internet-Benutzer viele dieser "Werbe-Viren" ganz freiwillig ins Haus:

"Ein Beispiel für einen viralen Effekt, der aber so gar nicht geplant war, war das Spiel Moorhuhn, das den Begriff virales Marketing in Deutschland auch bekannt gemacht hat."

Michael Zerr ist Mitinhaber der Berliner Werbeagentur VM People, die sich als erste in Deutschland um diese neue Form des Marketings gekümmert hat.

1999 erschien quasi über Nacht jenes simple Computerspiel, in dem es um nichts anderes geht, als friedlichen Moorhühnern den Garaus zu machen. Innerhalb kürzester Zeit nahm seine Verbreitung geradezu epidemische Züge an, jeder wollte es spielen. Betriebe sahen sich genötigt, ihren Mitarbeitern das Spiel zu untersagen, Tierschutzverbände protestierten. Schließlich griffen die auch die Medien das Thema auf, wodurch sich das Moorhuhn nur noch weiter verbreitete. Zerr:

"Aus solchen Effekten haben dann einige wenige gelernt und versucht, diese Effekte auch bewusst herbeizuführen, und so herbeizuführen, dass sie dem Auftraggeber auch wirklich etwas bringen. Denn das war beim Moorhuhn durchaus zweischneidig. Das Moorhuhn stand für einen Whiskey und am Schluss haben es auch Kinder gespielt – also nicht wirklich die Zielgruppe."

Was modern klingt, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als ein alter Hut. Denn das Prinzip des "viralen Marketings" ist alles andere als neu, wie Michael Zerr erklärt:

"Virales Marketing ist ein Begriff, den es seit zehn Jahren gibt. Aber das Phänomen gibt es schon viel, viel länger. Es geht nämlich um Mundpropaganda. Menschen, die von einer Botschaft, von einem Produkt erfahren und davon begeistert sind, es anderen Menschen weitererzählen. Und wenn sich das lawinenartig ausbreitet, dann reden wir von viralem Marketing. Das gab es schon immer, aber es hat natürlich in den letzten Jahren mit den Möglichkeiten des Internets und der massenhaften Verbreitung von Botschaften sehr stark zugenommen."

Früher waren Marktplätze, Stammtische oder Frisiersalons Knotenpunkte solcher Informationsnetzwerke. Dort erfuhr man, welcher Schlachter die beste Wurst anbietet, welcher Klempner am zuverlässigsten arbeitet oder wo man ausgefallene Schuhe bekommt. Im Zeitalter des Internets läuft vieles dieser Kommunikation von E-Mail zu E-Mail oder von Weblog zu Weblog.

"Das virale Marketing setzt auf die direkte Begegnung von Menschen und zwar in deren sozialem Netzwerk. Das heißt, irgendjemand hat eine gute Erfahrung mit einem Produkt gemacht, weiß, dass jemand anderes sich genau dafür im Moment interessiert und empfiehlt es weiter. Das heißt, die Botschaft kommt sehr zielgenau an und nur bei dem, der sich auch wirklich dafür interessiert."

Für die Werbenden kann dies von großem Vorteil sein, da sie so ihre potentiellen Kunden gezielter ansprechen können, statt wie früher über die Kanäle der klassischen Massenmedien wie Fernsehen und Hörfunk ihre Botschaft an alle zu richten. Heutzutage setzten viele Unternehmen lustige Werbeclips ins Internet, in der Hoffnung, dass Freunde sich diese in E-Mails und Weblogs weiterempfehlen. Die "Süddeutsche Zeitung" schaltete zur Bundestagswahl eine Seite "bundesdance.de", auf der man Schröder, Merkel und Stoiber mittels Mausklick zum Tanzen bringen konnte. Ein anderes Beispiel: der Clip einer Biermarke, in dem ein Mann seine Freundin verlässt. Die Betrogene rächt sich mit Voodoo, traktiert mit Nadeln eine leere Bierdose - und trifft damit nicht ihren Ex, sondern alle, die in dem Moment gerade Bier trinken.

Mit dem Spaßfaktor wird so auch eine Werbebotschaft transportiert – mal mehr, mal weniger augenfällig. Virales Marketing lädt aber auch zum Missbrauch ein. Vor einiger Zeit haben Mitarbeiter einer britischen PR-Agentur ein von ihnen beworbenes Computerspiel unter Vorspiegelung falscher Identitäten in Benutzerforen nicht nur gegen Kritik verteidigt, sondern auch dessen Vorzüge ausgiebig gepriesen. Irgendwann wurden sie anhand ihrer Protokoll-Adressen identifiziert, der Schwindel flog auf und die Mitglieder des Forums waren sauer. Solche Aktionen nehmen nicht nur den Nutzerforen ihre Glaubwürdigkeit, sondern beschädigen auch das Image des viralen Marketings.

"Und in einer Situation, in der genau jemand das versucht hat, hat mein Partner Thomas Zorrbach in seiner Wut gesagt: Das hat mit viralem Marketing gar nichts zu tun, das ist ‚bullshit marketing’. Der Begriff ‚bullshit marketing’ hat mittlerweile auch Karriere gemacht, ging um die Welt und ist seinerseits ein Beispiel für eine exponentielle und damit virale Verbreitung einer Botschaft."

Je mehr Menschen im Internet unterwegs sind, desto größer sind die möglichen viralen Effekte. Die Angst, dass virales Marketing durch das Benutzen sozialer Netzwerke das Internet zu einer virtuellen Tupperparty gigantischen Ausmaßes werden lässt, scheint jedoch unbegründet – dazu sind die Botschaften zu zielgerichtet. Dass man im Internet nicht zu sehr mit Werbung beschossen wird, darauf kann und muss allerdings jeder selbst Acht geben.