Tunesien

Demokratie durch wirtschaftliche Entwicklung absichern

Gegen die Arbeitslosigkeit in Tunesien demonstrierende Menschen in der tunesischen Hauptstadt Tunis am 22.01.2016. Aufgrund von Krawallen und Angriffen auf öffentliche und private Einrichtungen verhängte die tunesische Regierung den Ausnahmezustand und ein nächtliches Ausgangsverbot. EPA/MOHAMED MESSARA
Die schlechte Wirtschaftslage im Mutterland des Arabischen Frühlings treibt immer wieder Menschen auf die Straße, wie hier am 22.01.2016 in der Hauptstadt Tunis. © picture alliance / dpa / EPA/MOHAMED MESSARA
Alexander Vogel im Gespräch mit Ute Welty · 14.01.2017
Deutsche Politiker wollen die Mittel für Entwicklungshilfe kürzen, um eine kooperativere Haltung Tunesiens bei der Rücknahme abgelehnter Asylbewerber zu erzwingen. Alexander Vogel von der Westerwelle-Foundation warnt, dadurch werde das Problem nur vergrößert.
Alexander Vogel, Generalsekretär der Westerwelle-Foundation, warnt davor, die Mittel zur Entwicklungszusammenarbeit für Tunesien zu kürzen, um eine kooperativere Haltung des Landes bei der Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern und islamistischen Gefährdern zu erzwingen.

Wie kann man Tunesien helfen?

Dadurch würde das Problem nur vergrößert, sagte Vogel im Deutschlandradio Kultur. "Wir müssen aufpassen, dass Tunesien keine Rückschritte macht, sondern wir müssen alles dafür tun, dass Tunesien sich weiter positiv entwickelt", mahnte er. Deshalb solle man, anstatt über Sanktionen nachzudenken, eher fragen, wie man Tunesien und Nordafrika noch mehr helfen könne, so der Generalsekretär der Westerwelle-Foundation, die seit einem knappen Jahr ein Gründerzentrum in der tunesischen Hauptstadt betreibt.
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Alexander Vogel, Generalsekretär der "Westerwelle Foundation"© Foto: Westerwelle Foundation
Essenziell für eine demokratische Entwicklung Tunesiens seien kleine und mittelständische Unternehmen, so Vogel. Denn diese lebten von Rechtsstaatlichkeit und transparenten Prozessen. "Deswegen müssen wir diesen demokratischen Wandel, den demokratischen Fortschritt in Tunesien absichern durch eine gute wirtschaftliche Entwicklung." (uko)

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Viele Hoffnungen waren verbunden mit dem, was häufig der Arabische Frühling genannt wird. Viele Hoffnungen sind enttäuscht worden, aber einige haben sich auch erfüllt, wenn man auf die Spielart Jasmin-Revolution in Tunesien schaut. Heute vor sechs Jahren musste Machthaber Ben Ali das Land verlassen. Seitdem ist viel passiert. Unter anderem wurde eine neue Verfassung verabschiedet, für die sich die deutsche Juristin und SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin engagiert hat. Auch der frühere Außenminister Guido Westerwelle war jemand, der Tunesien intensiv im Blick hatte. Nach dessen Tod setzt die "Westerwelle Foundation" diese Arbeit fort, unter anderem in Gestalt von Generalsekretär Alexander Vogel. Guten Morgen und herzlich willkommen in "Studio 9"!
Alexander Vogel: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Die Foundation unterhält in Tunis ein Gründerzentrum. Was muss ich mir darunter genau vorstellen?
Vogel: Wir haben in der Innenstadt von Tunis ein Zentrum eröffnet für junge Tunesier, die sich überlegen, ob sie sich selbstständig machen wollen, ob sie sich eine eigene Existenz aufbauen wollen. Dazu bekommen sie von uns verschiedene Angebote. Sie können beraten werden, wie mache ich eigentlich die ersten Schritte hin zu einer Gründung. Sie können aber auch die Infrastruktur nutzen, das heißt, sie kriegen da einen Internetzugang, sie haben Druckermöglichkeiten. Also, alles das, was sie vielleicht zu Hause nicht haben, bekommen sie da. Und das Wichtigste, der Austausch mit anderen, mit Gleichgesinnten. Also, es ist ein Zentrum für junge Leute, die gründen wollen, die sich eine Perspektive aufbauen.

Guido Westerwelle lag Tunesien am Herzen

Welty: Was sind das für Menschen, die zu Ihnen kommen? Was bringen die mit, und was brauchen die an Unterstützung?
Vogel: Das sind ganz unterschiedliche junge Leute, die willens sind, aus eigener Kraft heraus etwas aufzubauen. Wir haben junge Leute dabei, die eine Internet-App entwickeln. Wir haben junge Leute dabei, die Webseiten programmieren. Also es ist schon sehr viel auch im Digitalbereich. Die bringen vor allen Dingen mit die Lust, etwas aufzubauen, und sie brauchen Unterstützung, wie sie aus ihren Ideen Realität werden lassen können, denn daran mangelt es, an der Unterstützung. Das sind Hilfestellungen, aber es ist am Ende des Tages natürlich auch die Frage, wie finanziere ich eigentlich meine Idee.
Welty: Warum waren Tunis und Tunesien ein geeigneter Ort für dieses Gründerzentrum? Was klappt dort womöglich besser als anderswo?
Vogel: Zunächst einmal ist die Entscheidung für uns als Stiftung, mit unserem ersten sehr großen Projekt nach Tunesien zu gehen, natürlich auch Ausdruck dessen, was Sie eben in Ihrer Einleitung gesagt haben, dass für Guido Westerwelle die Entwicklung Tunesiens einfach wahnsinnig wichtig war und ihm auch sehr am Herzen lag.
Deswegen war es für uns als Stiftung sehr früh klar, da wollen wir hin. Und für so ein Gründerzentrum, wenn wir junge Menschen dabei unterstützen wollen, sich selbstständig zu machen, braucht man natürlich eine bestimmte Infrastruktur. Es muss irgendwie einen guten Internetzugang geben, es muss auch für uns als Stiftung natürlich die Möglichkeit geben, überhaupt als deutsche Stiftung im Land aktiv zu sein. Es muss eine gewisse stabile Gesellschaft da sein, auch eine Sicherheitsstruktur. Und das war für uns ausschlaggebend, dass wir sagen, wir gehen nach Tunesien. Tunesien ist so wichtig für die gesamte Region auch Nordafrikas. Da wollen wir ein Zeichen setzen und die Entwicklung Tunesiens unterstützen.
Ein kleines Mädchen sitzt auf den Schultern eines Mannes und hat in beiden Händen kleine tunesische Flaggen. Im Hintergrund ist an einer Hauswand ein großes Porträt von Mohamed Bouazizi zu sehen.
Bouazizi ist immer noch präsent im Stadtbild von Sidi Bouzid - doch vom Arabischen Frühling sind die Menschen im Land enttäuscht. (Archivbild: 2012)© dpa/picture alliance/epa
Welty: Können Sie sich noch daran erinnern, wie Sie den Machtwechsel vor sechs Jahren erlebt haben, was Ihnen da durch den Kopf gegangen ist?
Vogel: Wir waren ja alle sehr aufgewühlt, was passiert da eigentlich? Das war ja eine sehr rasante Entwicklung von der Verbrennung damals des Gemüsehändlers, bis es dann zu den Protesten in Tunis in der Hauptstadt kam und es dann ja aus Tunesien heraus diese ganze Welle des Arabischen Frühlings gab. Also, man hat natürlich sehr viele Hoffnungen damit verbunden, Hoffnungen auf einen demokratischen Wandel, aber natürlich auch immer die Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Wandel, auf eine wirtschaftliche Entwicklung, denn das war ja im Grunde genommen der Auslöser für den Arabischen Frühling, weil der junge Mann, Mohamed Bouazizi, nicht mehr sah, wie er sich eine wirtschaftliche Perspektive aufbauen konnte, weil er so restriktiv vom Staat behandelt worden war.

Beratung steht jedermann offen

Welty: Sie haben eben gesagt, es sind viele Jobideen, Unternehmensideen aus dem digitalen Bereich. Auslöser für die Jasmin-Revolution war aber eben ein Gemüsehändler. Das ist ja eine gewisse Diskrepanz. Ist das eine Mischung in diesem Gründerzentrum, die Ihnen gefällt, die Ihnen optimal erscheint, oder würden Sie sich wünschen, dass dann auch mehr beispielsweise Handwerk stattfindet in dem Gründerzentrum?
Vogel: Absolut. Als Stiftung insgesamt sind wir in zwei Themenbereichen unterwegs. Das eine ist das Thema eben, dass wir Existenzgründungen fördern wollen, Menschen dabei helfen, sich selbstständig zu machen. Das andere Thema ist das Thema berufliche Bildung, weil wir wissen, dass wir gerade im Ausland sehr hoch angesehen sind auch für das Thema duale Ausbildung. Deswegen ist uns auch wichtig, dass das Grundangebot unseres Gründerzentrums – es heißt Startup House – für alle zugänglich ist.
Also auch jemand, der sagt, ich möchte einen Gemüseladen aufmachen, ich möchte eine Bäckerei aufmachen, kann zunächst einmal die Angebote im Zentrum nutzen, sich beraten zu lassen. Nur wird er irgendwann natürlich nicht wie ein App-Entwickler oder wie jemand, der im digitalen Bereich arbeitet, dann auch die Infrastruktur nutzen wollen, weil er wird natürlich dann sein eigenes Geschäft aufmachen. Aber die Beratungsleistungen sind für jedermann offen.

Aufpassen, dass Tunesien keine Rückschritte macht

Welty: Eine solche Rückschau, eine solche Bestandsaufnahme kann nicht erfolgen, ohne etwas Wasser in den Wein zu kippen. Die aktuellen Schlagzeilen berichten ja eher von Problemen mit Tunesien, Stichwort Anschlag in Berlin, Stichwort Anis Amri, Stichwort Abschiebung. Wie erleben Sie diese Zuspitzung zurzeit?
Vogel: Wir erleben sie natürlich insofern, als dass auf einmal die Aufmerksamkeit für Tunesien jetzt wieder sehr stark gewachsen ist. Und ich glaube, wir müssen in der Debatte aufpassen, dass wir aus diesen schrecklichen Ereignissen in Berlin und den Schwierigkeiten, was die Frage von Rückführung und Abschiebung angeht, eines nicht machen: Ich halte in der Debatte von den Forderungen nach Kürzungen der Entwicklungszusammenarbeit relativ wenig, weil es vergrößert das Problem eher, als es das Problem lösen würde. Wir müssen aufpassen, dass Tunesien keine Rückschritte macht, sondern wir müssen alles dafür tun, dass Tunesien sich weiter positiv entwickelt.
Der Fahndungsaufruf des BKA zeigt Fotos des Tunesiers Anis Amri, der am 19.12.2016 den Anschlag mit einem Lastwagen auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin verübt haben soll.
Der Fahndungsaufruf des BKA zeigt Fotos des Tunesiers Anis Amri, der am 19.12.2016 den Anschlag mit einem Lastwagen auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin verübt haben soll.© dpa-news / Bundeskriminalamt
Tunesien ist ja die engste Nachbarschaft Europas. Von der tunesischen Grenze zur nächsten italienischen Insel sind es gerade mal etwas mehr als 70 Kilometer. Das ist für mich als Rheinländer die Verbindung von Bonn nach Düsseldorf. Und deswegen ist Tunesien ganz zentral für Nordafrika, für die afrikanische Entwicklung insgesamt, und deswegen sollten wir, anstatt darüber nachzudenken, wie wir sanktionieren können, stärker darüber nachdenken, was können wir noch mehr tun, um Tunesien und Nordafrika zu helfen.

Fokus auf Förderung der Selbständigkeit

Welty: Was möchten Sie denn für Tunesien erreichen als Westerwelle-Foundation und auch als Alexander Vogel?
Vogel: Wir müssen, glaube ich, sehr stark daran arbeiten, dass sich eben kleine und mittelständische Unternehmen, also Selbstständigkeit wirklich entwickelt, weil wir wissen, es gab im Sommer eine Studie zum Beispiel vom Zentrum für Demokratie Aarau in der Schweiz, die noch mal sehr schön herausgearbeitet hat, dass es gerade kleine und mittelständische Unternehmen, gerade die Selbstständigen sind, die Demokratie einfordern, weil sie von transparenten Prozessen leben, weil sie von einer Rechtsstaatlichkeit leben. Und deswegen müssen wir diesen demokratischen Wandel, den demokratischen Fortschritt in Tunesien absichern durch eine gute wirtschaftliche Entwicklung, und wir wollen unseren Beitrag in dem Bereich leisten, dass wir sagen, wir setzen den Fokus auf die Förderung von Selbständigkeit.
Welty: Es ist ein mühsamer Weg, den Tunesien vor sechs Jahren eingeschlagen hat und den Alexander Vogel von der Westerwelle Foundation begleitet. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch und für den Besuch in "Studio 9"!
Vogel: Ich danke Ihnen!
Welty: Aus Termingründen haben wir das Gespräch aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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