Türkei

"Nicht zu allem Ja und Amen sagen"

Selahattin Demirtas, der Vorsitzende der kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), spricht vor der Präsidentenwahl auf einer Kundgebung in Istanbul. SEDAT SUNA
Selahattin Demirtas, der Vorsitzende der kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), spricht vor der Präsidentenwahl auf einer Kundgebung in Istanbul. © picture alliance / dpa / EPA Sedat Suna
Imran Ayata im Gespräch mit Nana Brink · 07.08.2014
Per Zeitungsanzeige fordern der Präsidenschaftskandidat Selahattin Demirtas und einige Intellektuelle mehr Demokratie in der Türkei. Der Schriftsteller Imran Ayata beschreibt den kurdischen Politiker, der für viele ein Hoffnungsträger ist, und erklärt die Ziele der Kampagne.
Nana Brink: Am Sonntag wird in der Türkei ein neuer Präsident gewählt, und nicht nur in der Türkei, auch in Deutschland wehren sich viele deutsch-türkische Künstler und Intellektuelle gegen das scheinbar allmächtige restriktive Regime Erdogan und unterstützen dessen kurdischen Gegenkandidaten Selahattin Demirtas. Sie nennen ihn den Obama der Türkei. Heute ist in vielen türkischen Zeitungen eine Anzeige erschienen mit folgendem Inhalt, den mir jetzt Imran Ayata netterweise übersetzt. Er ist zu mir ins Studio gekommen, Schriftsteller, Musiker und Leiter einer Kommunikationsagentur. Schönen guten Morgen!
Imran Ayata: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Also was steht in der Anzeige?
Ayata: Na, in der Anzeige steht im Wesentlichen drin, dass wir die Überschrift der Kandidatur von Herrn Demirtas, die im Wesentlichen darin bestand, in der Formel zusammenzufassen ist: neues Leben, demokratische Veränderung und friedliche Türkei. Das war, wenn Sie so wollen, die Überschrift seiner Kandidatur, und darin kommen eben neue Nuancen und eine neue Tonalität, die wir auch infolge von den Gezi-Protesten einen richtigen politischen Approach finden.
Brink: Was wollen Sie mit der Anzeige erreichen?
Ayata: Na ja, wir sind jetzt nicht so naiv, dass wir glauben, dass man mit so einer symbolischen Anzeige viel bewirken kann. Es geht auf der einen Seite natürlich darum, dass die Überschrift, von der ich sprach, es deutlich zu machen, dass man das unterstützt, dass es auch im Ausland wahrgenommen wird, auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite geht's natürlich darum, wenn's auch nur symbolisch ist, das Feld Herrn Erdogan nicht ganz zu überlassen, wohl wissend, dass man nicht wirklich sehr viel politisch konkret bewirken kann. Aber wir glauben, es gibt so einen kleinen zusätzlichen Wind auf den letzten Metern.
Sorge um die Menschenrechte
Brink: Wer hat sich denn da zusammengefunden und wie haben Sie sich zusammengefunden? Verbindet die Unterzeichner was?
Ayata: Ich denke, es verbindet sie auf der einen Seite eben die Sorge darüber, wie sich vor allem die Situation der Menschenrechte, die Fragen der Demokratie in der Türkei entwickeln, auch die Fragen der Minderheiten, auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite verbindet sie, denke ich, auch eine Skepsis und die Sorge darüber, wie sich die Türkei unter Herrn Erdogan zunehmend putinisiert, und wie findet man sich zusammen. Diese Netzwerke gibt es ja, loses ...
Brink: Wer macht mit, können wir das ein bisschen präzisieren?
Ayata: Ach, das sind Akademiker, Leute aus dem Theater wie Shermin Langhoff, Filmemacher wie Miraz Bezar, ich würde sagen: eine künstlerisch-intellektuelle Gruppe.
Brink: Wäre das zu salopp gesagt, wenn ich sage, das ist so ein Ausrufezeichen, das man setzen möchte?
Ayata: Es kommt drauf an, in welchem Fonds Sie das sehen, also so ein ganz großes Ausrufezeichen ist es nicht. Es gibt ja sehr viel und sehr vielschichtigen Protest in der Türkei und auch außerhalb der Türkei gegen die politischen Entwicklungen in der Türkei, das ist ein mini-mini-kleiner Mosaikstein davon.
"Neues Leben, demokratische Veränderung, friedliche Türkei"
Brink: Sie haben es erwähnt, der Slogan "neues Leben, demokratische Veränderung, friedliche Türkei", so zitieren Sie ja Erdogans Gegenkandidaten Selahattin Demirtas – was ist er für Sie? Ist er so was wie ein türkischer Obama, so wurde er ja oftmals bezeichnet in der Presse?
Ayata: Erstens ist der Mann Kurde, meines Wissen, aber es spielt jetzt gar nicht so eine Rolle. Na ja, dieser Vergleich von Obama, diese Formel, das sind natürlich oftmals Erfindungen von Medien und Kommunikatoren, deren Job das ist. Der Vergleich hinkt aus vielerlei Gründen, der wichtigste vielleicht: Bei Obama gab's ja auch eine Machtoption, und die ist ja auch tatsächlich erfolgt. Herr Demirtas unterstreicht nahezu in jedem Auftritt, dass er weiß, dass er nicht der nächste Präsident der Türkei wird, das scheint mir doch ein ganz grundlegender Unterschied zu sein. Und ich wäre mit solchen Vergleichen sehr, sehr vorsichtig.
Brink: Aber trotzdem haben Sie gesagt, Sie stellen sich sozusagen neben seine Kampagne oder Sie benutzen sie, um ja etwas zu erreichen, einen Gegenpol, ein Ausrufezeichen zu setzen. Was können Sie denn als Künstler außerhalb der Türkei hier in Deutschland damit erreichen?
Ayata: Nun, ich denke, wenn man sich die letzten Jahre anschaut, ist doch eines ganz, ganz offensichtlich geworden, dass so Fragen der Demokratie nicht immer in den Landesgrenzen allein verhandelt werden. Das heißt, das, was in der Türkei geschieht, betrifft eben nicht nur die Menschen, die dort leben, sondern ganz selbstverständlich, und zwar auch unabhängig einer ethnischen Abstammung. Also diesen Aufruf haben ja auch Leute unterschrieben, die jetzt gar nicht türkische, kurdische Eltern oder Vorfahren haben, sondern die einfach sich zu einer politischen Entwicklung verhalten. Das hat eine ganz neue Legitimität, hat sicherlich auch was mit der Digitalisierung und mit dem Internet und auch mit der Globalisierung insgesamt zu tun – das ist die eine Dimension. Und die andere Dimension ist eben ganz selbstverständlich – das habe ich vorhin versucht kurz anzudeuten –, eben nicht zu allem Ja und Amen zu sagen, sondern aus einer Rolle des Hinterfragens eben auch einen Gegenpunkt zu setzen.
Der Sieger steht schon fest
Brink: Nun haben Sie es selbst schon gesagt, der Sieger steht eigentlich fest – oder es ist sehr unwahrscheinlich, dass es ein anderer sein wird als Erdogan.
Ayata: Das steht fest, ja.
Brink: Was passiert jetzt, wird es noch restriktiver, was bedeutet das für Sie als Künstler auch?
Ayata: Wenn Herr Erdogan jemals ein demokratisches Gewand anhatte, hat er sich das in der letzten Zeit ziemlich elegant entledigt, und er macht ja auch gar keinen Hehl daraus, dass der politische Machtanspruch, den er hat, den er auch in ganz unterschiedlichen politischen gesellschaftlichen Bereichen durchsetzt. Es gibt in der Türkei so eine ganz sonderbare Form von Klientelkapitalismus, also ein wirtschaftlicher Aufschwung, an dem ganz selbstverständlich er seinesgleichen und seine engsten Vertrauten profitieren.
Brink: Cliquenwirtschaft könnte man es auch nennen?
Ayata: Ja, es ist wirklich sehr, sehr auch – man mag das nicht so gerne vielleicht hören – auch sehr intelligent gemacht und umgesetzte Strategie. Es gibt ganz offen Korruption, es wird auch ganz offen Korruption nicht weiterverfolgt, weil man selber darin involviert ist, es geschieht, dass 15-Jährige als Terroristen beschimpft werden. All das ist Realität, gesellschaftspolitische Realität in der Türkei, und ich denke, dieser Trend wird wahrscheinlich auch in dieser Weise sich fortsetzen.
Brink: Der Schriftsteller und Musiker Imran Ayata hat mich hier im "Studio 9" besucht. Danke für Ihren Besuch und die Einschätzungen! In der Türkei wird am Sonntag ein neuer Präsident gewählt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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