Tschechien

Die Russen kommen nicht

Touristen sind im autofreien Spa-Bereich von Karlsbad unterwegs, aufgenommen am 08.09.2009.
Touristen sind im autofreien Spa-Bereich von Karlsbad unterwegs, aufgenommen am 08.09.2009. © picture alliance / ZB / Frank Baumgart
Von Stefan Heinlein · 26.08.2014
Normalerweise ist Karlsbad im Sommer eine russische Enklave. Doch seit Beginn der Ukrainekrise herrscht Flaute in den barocken Kurkolonnaden. Die Angst vor den Folgen der EU-Sanktionen und die Kreml-Propaganda zeigen Wirkung.
Svetlana weiß alles über die 600-jährige Geschichte von Karlsbad. Seit vielen Jahren führt sie ihre Landsleute Tag für Tag zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Doch in diesem Sommer ist die Zahl ihrer Kunden kleiner geworden. Auch heute trabt nur eine Handvoll Kurgäste hinter ihrem Stock mit der weiß-blau-roten Landesfahne. Die Ukraine-Krise bleibt auch in Russland nicht ohne Folgen, erzählt Stammgast Irina aus Sibirien:
"Schon beim Hinflug haben wir gemerkt - das Flugzeug ist viel leerer als in den letzten Jahren. Die Leute haben einfach Angst. Sie denken, sie bekommen diesmal bestimmt Probleme in Karlsbad. Unsere Politiker warnen uns vor Reisen nach Europa."
In der Kurkolonnade sprudelt das mineralhaltige Heilwasser aus vier Quellen. In der Hochsaison stehen dort die Gäste Schlange, um ihre Porzellanbecher zu füllen. Doch heute macht nur eine Gruppe japanischer Tagestouristen eilig Bilder und verschwindet. Auch in der prächtigen Fußgängerzone mit ihren internationalen Mode- und Juweliergeschäften herrscht gähnende Leere. Die Verkäuferinnen vermissen die Besucher aus Russland:
"Sie sind unsere besten Kunden und geben meistens sehr viel Geld für Schmuck und Kleidung aus. Wir sind von den Russen abhängig. Wenn die nicht bald wiederkommen, können wir unsere Läden dicht machen."
Tatsächlich stellen die Besucher aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion seit Jahren den Großteil der Übernachtungs- und Kurgäste in Karlsbad. Während viele Touristen aus Deutschland und Österreich nur für eine Tagestour über die Grenze nach Westböhmen kommen, bleiben die reichen Russen meist mehrere Wochen für einen längeren Kuraufenthalt. In den letzten acht Jahren hatte sich ihre Zahl auf über 83.000 verdoppelt. Doch 2014 gehe es steil bergab, klagt Bürgermeister Petr Kulhanek:
Buchungen sinken um über 40 Prozent
"Wir spüren die Folgen der Krise sehr schmerzhaft. Es gibt in Russland Kampagnen der Regierung, nicht nach Europa zu reisen, und auch die Rubel-Abwertung spielt natürlich eine Rolle. Manche Hotels melden einen Rückgang der Buchungszahlen von über 40 Prozent."
Doch nicht nur der gewaltige Einbruch bei der Zahl der Kurgäste lässt die Sorgen-falten im Rathaus an der Moskauerstraße tiefer werden. Seit der Öffnung der Grenzen haben russische Geschäftsleute viel Geld vor allem in Immobilien investiert. Längst gehören ihnen weite Teile der barocken Innenstadt und viele der aufwendig renovierten Jugendstilvillen. Karlsbad ist eine russische Stadt, heißt es deshalb in Tschechien. Doch wenn der Rubel in Zukunft nicht mehr rollt, fürchtet Bürgermeister Kulhanek um die Zukunft seiner Stadt:
"Eine weitere Eskalation der Krise wird dramatische Folgen haben. Viele Jobs im Dienstleistungsbereich und in der Baubranche werden wegfallen. Dies wird dann natürlich auch den Haushalt unserer Stadt schwer belasten."
Wenige Schritte von einem Karl-Marx-Denkmal entfernt liegt die orthodoxe Kirche St. Peter und Paul. Der Gottesdienst ist ein wichtiger Treffpunkt der Gemeinde. 4000 russischsprachige Bewohner leben dauerhaft in Karlsbad. Auch sie spüren die politischen Spannungen der letzten Monate. Das seit dem Prager Frühling 1968 ohnehin zwiespältige Verhältnis der Tschechen zu Moskau habe sich mit Beginn der Ukraine-Krise weiter verschlechtert, erzählt der Verbandsvorsitzende der russischen Minderheit Alexej Ruzejnikov:
"Die meisten Tschechen glauben doch nur, was sie im Fernsehen sehen oder in der Zeitung lesen. Sie unterstützen die Ukraine und geben uns Russen die Schuld am Ausbruch der Krise. Man kann diese Spannung spüren - sie hängt so richtig in der Luft."
Wenige Gäste im Grandhotel
Eine Entwicklung, die auch Oxana zu denken gibt. Seit vielen Jahren verbringt sie die Sommer mit ihrer Familie in Karlsbad. Die Stadt und ihre Bewohner hätten sie immer mit offenen Armen empfangen. Zum ersten Mal hat die Unternehmerin nun aber überlegt, ob sie die Reise aus Moskau storniert.
"Wir hatten Angst, ob die Tschechen uns nicht schlecht behandeln. Diese EU-Sanktionen gegen Russland sind so ungerecht. Wir sind doch nicht schuld an dem, was in der Ukraine passiert. Jeder will doch, dass alles wieder gut wird und wir ohne Sorgen nach Europa reisen können."
Das Grandhotel "Pupp" ist eine der besten Adressen am Ort. Filmstars wie Robert de Niro und John Travolta verbrachten hier ihre Nächte während des traditionsreichen Karlsbader Filmfestivals. In der Kellerbar gibt es die Flasche "Chateau Petrus" für umgerechnet fast 3000 Euro. Das Lied von den Moskauer Nächten gibt es umsonst dazu. Doch die vielen Kellner in ihren schwarzen Anzügen haben nur wenige Gäste. Hoteldirektorin Andrea Ferklova glaubt nicht an ein rasches Ende der Krise:
"Ich befürchte, es wird noch Jahre dauern, bis sich alles wieder beruhigt. Viele unserer alten Stammgäste werden dann allerdings nicht mehr wiederkommen. Die lange Tradition der Russen in Karlsbad könnte also dauerhaft verschwinden. Wir müssen uns die Kunden auf neuen Märkten suchen - das ist aber schon in Ordnung - so ist halt unser Geschäft."
Mehr zum Thema