Tschaikowsky

"Eugen Onegin" in der Semperoper

Die Semperoper in Dresden am 19.1.2015
Die Semperoper in Dresden am 19.1.2015 © dpa / picture alliance / Arno Burgi
Von Bernhard Doppler · 30.06.2016
Intensive Sängerdarsteller machen aus Markus Bothes Dresdner Inszenierung von Tschaikowskys "Eugen Onegin" große Oper, meint Bernhard Doppler. Eine Aufsehen erregende Neuinterpretation Tschaikowskys sei aber weder Bothe noch Dirigent Inkinen gelungen.
Vielleicht sind Liebe und Glück nur als etwas Vergangenes denkbar, Liebe nichts weiter als eine Erinnerung an eine verpasste Chance, als pathetisches Selbstmitleid.
Die Dresdner Inszenierung des vielgespielten Opernklassikers "Eugen Onegin" beginnt in der Inszenierung von Markus Bothe bei der Ouvertüre mit dem Ende der Handlung. Zu sehen ist eine große Halle mit hohen, mit Pilastern bestückten Wänden, das reiche Haus des Fürsten Gremin, in das sich Tatjana nach ihren Liebesenttäuschungen – nach der verpassten Chance - schließlich eingeheiratet hat.
Doch plötzlich verrutschen die schweren Wände, und eine Landszene mit Heuballen und Traktor schiebt sich dazwischen: das Landleben Tatjanas, aus dem sie sich seinerzeit mit ihren Büchern und ihrem Verliebtsein in Eugen Onegin weggeträumt hat. Keine Rückblende, sondern die Vergegenwärtigung alter Sehnsucht nach Glück also.

Die unterschiedlichen Konzepte der Liebe

Zentral in Tschaikowskys Klassiker ist die lange Briefszene Tatjanas: Doch das Schreiben ist umsonst, der Dandy und Spötter Eugen Onegin fühlt sich nicht beziehungs- und liebesfähig. Während ihrer großen Briefarie waren hinter Tatjanas Bibliothek fünf Doppelgängerinnen, die ebenfalls Briefe schreiben, und auch die anderen Figuren schreiben Liebesbriefe, die vom Adressaten nicht gelesen, sondern meist sofort zerrissen werden. Liebe - nur ein Brief-Konzept ohne Adressat!
Markus Bothes Inszenierung arbeitet unaufdringlich heraus, wie Tschaikowskys Oper verschiedene Vorstellungen vorführt, was Glück und Verliebtsein sein könnte: pragmatische Liebe, Zwangsheirat, wie in alten Zeiten von denen die Amme Filipjewna erzählt, Eifersucht, abgeklärte, aber von der Gesellschaft doch belächelte Beschwörung trauter Zweisamkeit.
In der Semperoper werden Tschaikowskys "lyrische Szenen" große schwere Oper, auch buchstäblich: 15 Tonnen werden auf der Bühne verschoben, ein riesiger Traktor oder Pipelines oder eine Weide beim Duell, wenn die Bilder der verpassten Chancen wieder ins Bewusstsein treten (Bühne: Robert Schweer). Und der Chor – hin und wieder zum stehenden Bild gefroren – gibt ihnen oft lautstark Kontur.

Das Orchester: leidenschaftlich, aber nicht lyrisch

Sicherlich ist die Dresdner Inszenierung keine Aufsehen erregende Neuinterpretation, und große Oper ist sie vor allem wegen der intensiven Sängerdarsteller, wegen der finnische Sopranistin Camilla Nylund als Tatjana - schon seit 15 Jahren Liebling der Semperoper - wegen Christoph Pohl, stimmlich und von der Ausstrahlung ein intellektueller Onegin, zuletzt vergeblich von Liebesgefühlen berauscht.
Ziemlich jung für die Rolle ist Alexander Tsymbalyuk als abgeklärter Langweiler Gremin mit seiner rührseligen Arie, Timothy Oliver reizt als Unterhalter Triquet beinahe mit einem Strip, und voller Wehmuts-Schmelz in der Stimme Tomislav Muzek als Lenski. Auch sein treuherziges Liebeskonzept scheitert schnell. Leidenschaftlich, kaum lyrisch auch die Sächsische Staatskapelle unter dem finnischen Dirigenten Pietari Inkinen, auch hier sicherlich keine Neuinterpretation Tschaikowskys, aber packende Theatermusik voller Opernschlager.
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