Trumps Wahlsieg

"Der Blamagefaktor ist weg"

Trump-Anhänger in Siegeslaune auf dem Times Square in New York
Trump-Anhänger in Siegeslaune auf dem Times Square in New York © dpa / picture alliance / Sputnik / Alexey Filippov
Jochen Hörisch im Gespräch mit Nana Brink · 11.11.2016
Wie konnte einem chronischen Schwadroneur und Beleidiger wie Donald Trump der Durchmarsch ins Weiße Haus gelingen? Das Internet habe eine Art Urdemokratie geschaffen, in der scheinbar alles erlaubt sei - das enthemme auch die Wähler, meint der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch.
Schwadroniert, sich die Wahrheit zurecht gebogen oder dreist gelogen, haben Politiker seit jeher. Sei es in den 60er-Jahren der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, der die "Spiegel"-Affäre lostrat, sei es George W. Bush, der das amerikanische Volk offensichtlich täuschte, als er behauptete, der Irak sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen.
Der Unterschied zu heute sei nur, dass solche Lügen keine Konsequenzen mehr hätten, sagt der Germanist und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch. "Heute halten sich viele Politiker vom Typus Trump an die österreichische Redensart: ‚Ich sag‘ ja nix, ich red‘ ja nur‘." Heute könne jedermann via Internet mitdiskutieren, mitbloggen, mittwittern und mitbestimmen könne – ein urdemokratischer Impuls, der aber seine doppelte Seite habe:
Der Sprachwissenschaftler Jochen Hörisch am 16. Oktober 2009 während der Buchmesse in Frankfurt/Main.
Jochen Hörisch© imago / teutopress
"Das heißt, die Zugangsschwelle zum Markt der öffentlich geäußerten Meinungen ist absolut abgesenkt (…) Das gilt für den Stil: Man kann drauflos schimpfen, beleidigen, Obszönitäten ungestraft - es ist ja ein rechtsfreier Raum – in den Raum hineinstellen."

Eine Enthemmung greift um sich

Es gebe niemanden, der solche Äußerung überprüfe oder redigiere. Der Blamagefaktor sei somit weg.
"Deshalb greift ein gewisse Enthemmung beim Wähler um sich – und der findet Spitzenpolitiker neuen Typs eine Gruppe mit gespenstischen Gemeinsamkeiten."
Zu diesem Typus gehörten neben Trumps auch Politiker wie Putin, Orban oder Erdogan. Denen komme es vor allem darauf an, emotionalisierte Leute zu erreichen.

Die Aufgabe der Medien

Was hilft gegen die Macht solcher Politiker beziehungsweise: Wie könnte das potenzielle Wahlvolk für deren Lügen sensibilisiert werden? Hörisch, der Professor an der Universität Mannheim ist, sieht die Medien – und zwar nicht nur Premium-Medien, die vor allem von den Eliten gelesen würde – in der Pflicht. Die Deklassierungsängste der Menschen, die Trump gewählt hätten, zu verstehen und zu thematisieren, sei das eine. Gleichzeitig müsse jedoch auch klar "die Gegenrechnung" gemacht und benannt werden, was in unserer westlichen in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten alles an Positivem erreicht worden sei.

Das Interview im vollen Wortlaut:
Nana Brink: Leben wir in einer postfaktischen Gesellschaft, in der Gefühle und Spekulationen mehr zählen als Fakten? Die Kanzlerin höchst selbst hat ja das Postfaktische für sich entdeckt, und man kann sich ungefähr vorstellen, wie zuwider der pragmatischen Regierungschefin jene gefühlsorientierte Politik sein mag. Populisten setzen auf Emotionen und Halbwahrheiten oder schlicht Lügen, der Brexit war ja ein Ergebnis dieser Politik, und ein Blick in die USA und ihren neuen Präsidenten möchte einen da einen ja glauben lassen, dass wir wirklich in einem postfaktischen Zeitalter leben. Das möchte ich jetzt besprechen mit Jochen Hörisch, er ist Professor für Neuere Germanistik und Medienanalyse an der Uni Mannheim. Guten Morgen!
Jochen Hörisch: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Wir hatten hier bei uns in der Redaktion auch eine interessante Debatte, nämlich wird wirklich so viel Halbwahres verbreitet, gerade in der Politik oder war das eigentlich immer schon so?
Hörisch: Es war immer schon so, man kann ja an historische Beispiele erinnern, die im kollektiven Gedächtnis geblieben sind – Spiegelkrise, Franz Josef Strauß hatte ja das Parlament belogen, dann musste er zurücktreten. Das ist der entscheidende Unterschied: Man hat die Lüge noch ernst genommen. Oder nehmen Sie die Massenvernichtungswaffen, die George W. Bush im Irak behauptet hatte und damit einen Kriegsgrund erfunden hatte, dann kam raus, dass das falsch ist. Nun weiß das die Weltöffentlichkeit. Das heißt, die Frage, ob jemand gelogen hatte, war erstens entscheidbar, und zweitens hatte sie Konsequenzen. Heute halten sich viele Politiker vom Typus Trump an die alte österreichische Wahrheit, ich sage ja nichts, ich rede ja bloß, und das ist der entscheidende Unterschied.
Brink: Warum ist das so? Warum kommen die durch?
Hörisch: Die kommen, glaube ich, deshalb durch, dass in der Tat eben das Internet eine Möglichkeit bietet, die ja im Prinzip wunderbar ist, dass alle mitbestimmen, mitreden, mitbloggen, mittwittern, mitschreiben können. Es müssen keine Profis sein. Das ist ein urdemokratischer Impuls, er hat aber wie alles im Leben seine doppelte Seite. Das heißt, die Zugangsschwelle zum Markt der öffentlich geäußerten Meinungen ist absolut runtergesenkt. Das ist eine Schwellenabsenkung. Das gilt für Stil, man kann drauf losschimpfen, beleidigen, Obszönitäten, ungestraft – es ist ja weitgehend ein rechtsfreier Raum – in den Raum reinstellen, und man hat eben nicht mehr einen Redakteur, der sagt, junger Mann, das ist schlecht recherchiert, das können wir nicht machen, damit blamieren wir uns, der Blamagefaktor ist weg. Insofern greift eine bestimmte Enthemmung bei den Wählern um sich, und die finden dann eben in Spitzenpolitikern neuen Typs eine Gruppe mit gespenstischen Gemeinsamkeiten. Nehmen wir Erdogan oder Putin oder Kaschinski oder Orban oder eben jetzt Trump, dann haben die bei aller unterschiedlichen Prägung kulturell eben doch diese große Gemeinsamkeit, dass sie sich den – entschuldigen Sie den unakademischen Ausdruck – den Dreck scheren darum, ob das stimmt, was sie sagen. Wichtig ist bloß, emotionalisierte Leute zu erreichen.
Brink: Gut, aber es ist ja immer auch an denjenigen, an die das herangetragen wird, die das dann glauben, also die Wähler, also ich erinnere nur bei Trump zum Beispiel, die "New York Times" hat ja eine unglaublich, eine regelrechte Enthüllungskampagne angesichts der Steuergeschichten von Trump losgetreten, das hat ja keinen besonders interessiert. Das heißt, warum lassen sich Menschen dann belügen?
Hörisch: Ja, die "New York Times" wird von amerikanischen Eliten, die ziemlich verhasst ist bei anderen Milieus, gelesen, und die Leute, die Trump gewählt haben, die dürften unterrepräsentativ wenig "New York Times" lesen. Das heißt, wir nähern uns einem wirklich sehr, sehr heiklen Punkt, der eigentlich verboten ist. Es ist sozusagen die Wählerbeschimpfung, zu sagen, Leute, habt ihr euch das gut überlegt, ward ihr wirklich gut beraten, seid ihr mit euch selbst zu Gericht gegangen, als ihr diese Stimme so abgegeben habt. Man darf das nicht vergessen, und immer verdammt schwer, den richtigen Ton zu finden, dass dieser alte Satz von Wilhelm Reich stimmt, die Massen haben den Faschismus gewollt. Es war nicht so, dass Hitler als Diktatur über Deutschland kam, sondern als einer, dem zugejubelt worden ist. Ich will nicht gleich mit der Nazivergleichskeule kommen, aber wir müssen neu überlegen, wie man umgehen kann mit Leuten, die die wunderbare Einrichtung Demokratie eben wirklich so nutzen, dass sie Leuten, die Demokratien abschaffen wollen, zujubeln.
Brink: Genau, aber dann versuchen Sie doch mal den richtigen Ton zu finden. Was ist denn dann das Gebot der Stunde, wie gehen wir denn dann damit um, mit den Fakten und der Übermittlung von Fakten?
Hörisch: Na ja, es ist das eine, die Faktenübermittlung, und da kann man wirklich sagen, wenn behauptet wird, ABC, und ABC als Behauptung stimmt nicht, dann muss man eben das auch versuchen, in die Medien reinzutragen, die von den Leuten wirklich genutzt werden. Der andere Punkt ist, zu sagen, ihr müsst die Fakten ja auch immer interpretieren, und wenn man zum Beispiel deutlich macht, dass die Deklassierungserfahrungen, die viele machen, nachvollziehbar sind – die bedrohte Mittelschicht –, dass man aber umgekehrt auch mal die Gegenrechnung macht, was haben wir in westlichen Staaten in den letzten 70 Jahren an Prosperität, an sozialen Sicherungssystemen, in den USA und Obamacare, an Wohlstand, an zurückgehende Arbeitslosigkeit gehabt, ist die Interpretation der Fakten, wie sie etwa von Trump geliefert wird, wirklich haltbar oder geht ihr Wähler nicht unverantwortlich damit um, weil ihr gar nicht mehr realisiert, was ihr auch zu verlieren habt. Ich will damit nicht sagen, Leute, regt euch nicht auf, protestiert nicht, aber kriegt doch mal sozusagen den Gestus hin, das, was ihr an emotionalisierbaren Fakten habt, in ein einigermaßen konsistentes Urteilsvermögen zu übersetzen.
Brink: Nun gut, das hat ja, pardon, aber genau nicht geklappt. Also man sieht ja, wenn man sich die Wirtschaftsdaten anguckt, Amerika geht es weitaus besser als vor acht Jahren. Das haben aber genau diese Schicht an Wählern ja nicht geglaubt oder es ist nicht angekommen.
Hörisch: Ja, und da müssen wir Medienleute im weiteren Sinne, Sie vor mir, denn ich bin ja nur am Rande ein Medienmensch, sagen, unsere eigene Nase, wir könnten mal gucken, ob wir nicht bestimmte Themen überthematisiert haben. Ich karikiere jetzt ein bisschen, wenn die Gazetten und die klassischen Medien, die von klugen Leuten – hören Sie die Anführungszeichen mit – diskutiert wird, ob man zwei oder eine Toilette haben sollte in öffentlichen Gebäuden – Unisexgeschichten und dergleichen mehr –, und man hat da seitenweise was. Oder ob man Professorix oder Professorinnen oder Professor, und das beschäftigt einen dann jahrelang. Dann geht das in der Tat an den Bedürfnissen vorbei von Leuten, die diese Luxusprobleme nicht haben. Ich denke, dass da auch die klassischen Medien mit einem falschen Emanzipationsverständnis sich organisiert haben, und an den Bedürfnissen, an den Problemen von Millionen und zig Millionen Leuten vorbei… Our own nose, um es amerikanisch zu sagen. Das wäre mal fällig. Lassen Sie mich polemisieren am frühen Morgen: Man hat dann eben eine großartige Journalistin, die da Alice Schwarzer heißt und die Steuern hinterzogen hat, und die Zeter und Mordio schreit, wenn man darüber auch mal spricht. Das bedeutet auch ein unglaublichen Prestige- und Vertrauensverlust für Leute, die ihre Verdienste haben.
Brink: Vielen Dank, Jochen Hörisch, Professor für Neuere Germanistik und Medienanalyse. Ich danke Ihnen für –
Hörisch: Ja, ich danke Ihnen!
Brink: – den Besuch hier bei uns in "Studio 9"!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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