Trompeter der Revolution

Von Ulrich Breitbach · 17.06.2010
Die Dichtkunst gilt den meisten heutzutage wohl eher als elitäres Steckenpferd weltfremder Enthusiasten. Das war nicht immer so. Es gab eine Zeit, da konnten Gedichte eine ungeheure, auch politische Wirkung entfalten und ihre Schöpfer äußerst populär werden: Einer von ihnen war Ferdinand Freiligrath.
Deutschland im Jahr 1848. Im Zeichen von Schwarz-Rot-Gold kämpft das Volk auf den Barrikaden gegen die Vorrechte des Adels, für Freiheit und nationale Einheit. Nach ersten Erfolgen setzen die Führer des gemäßigt-liberalen Bürgertums auf Kompromisse mit den regierenden Fürsten.

Radikale Demokraten streiten dagegen für die Republik. Der wichtigste Agitator der Republikaner ist ein Dichter: Ferdinand Freiligrath. Seine Verse finden durch Flugblätter, Zeitungen oder einfach von Mund zu Mund größte Verbreitung.

"Die Freiheit ist die Nation,
ist aller gleich Gebieten
die Freiheit ist die Auktion
von dreißig Fürstenhüten!
Die Freiheit ist die Republik
Und abermals: die Republik!
Pulver ist schwarz
Blut ist rot,
golden flackert die Flamme!"


Dass Ferdinand Freiligrath einmal zum "Trompeter der Revolution" werden würde, das war am Anfang seiner Laufbahn ganz und gar nicht abzusehen. Die Mittellosigkeit der Familie zwang ihn in einen ungeliebten Brotberuf. Der am 17. Juni 1810 im westfälischen Detmold Geborene absolvierte eine kaufmännische Lehre und arbeitete danach in deutschen und ausländischen Handelshäusern. Seine schon früh offenbar gewordene außerordentliche lyrische Begabung stand zum Verdruss des Dichters viele Jahre an zweiter Stelle:

"Großer Gott, was habe ich verbrochen, dass Du mir Verse gegeben hast und kein Geld dazu."

Nach ersten lyrischen Erfolgen hätte er auch eine Karriere als Hofpoet anstreben können. Die frühen romantisch-exotischen Gedichte, in denen sich Löwen und Mohrenfürsten in endlosen Wüsten begegneten, fanden beim Publikum großen Beifall. Sie gefielen auch Friedrich Wilhelm IV., dem preußischen König, der dem Dichter 1842 eine Ehrenpension zusprach. Als der Monarch aber die weitverbreitete Hoffnung, er werde in einer Verfassung bürgerliche Rechte gewähren, enttäuschte, schlug Ferdinand Freiligrath die Pension aus. Im Mai 1844 erklärte er in aller Öffentlichkeit:

"Fest und unerschütterlich trete ich auf die Seite derer, die mit Stirn und Brust sich der Reaktion entgegenstemmen! Kein Leben mehr für mich ohne Freiheit!"

Das galt als Majestätsbeleidigung. Freiligrath floh über Belgien und die Schweiz nach London und konnte erst nach Ausbruch der Revolution zurückkehren. Er ließ sich in Köln nieder, wo er Mitarbeiter der von Karl Marx herausgegebenen "Neuen Rheinischen Zeitung" wurde. Bald sah er die Demokratie durch das Bürgertum verraten. Den Kampf zu Ende zu führen, das war für ihn zur Sache der gerade entstehenden Arbeiterbewegung geworden, deren Fahne nicht schwarz-rot-gold, sondern rot war. Im Juli 1848 veröffentlichte er ein Gedicht, in dem die toten Barrikadenkämpfer an den Zorn der Lebenden appellieren:

"Euch muss der Grimm geblieben sein – o glaubt es uns, den Toten!
Er blieb Euch! Ja, und er erwacht! Er wird und muss erwachen!
Die halbe Revolution zur ganzen wird er machen!
Die rost'ge Büchse legt er an, mit Fensterblei geladen:
Die rote Fahne lässt er wehn hoch auf den Barrikaden!"


So sehr sie auch aufrüttelte, ändern konnte Freiligraths Dichtung den Lauf der Dinge nicht. Republikanische Aufstände in Baden, im Rheinland und anderswo scheiterten. Das erste gewählte deutsche Parlament, die Versammlung in der Frankfurter Paulskirche, ging 1849 ruhmlos auseinander. Fürstenallmacht triumphierte. Dem Dichter blieb wie vielen anderen einmal mehr nur der Gang ins Exil – und ein beharrliches Festhalten an den Zielen des vorerst gescheiterten Kampfes.

"Es kommt dahin
Trotz allem
Dass rings der Mensch die Bruderhand
Dem Menschen reicht – trotz allem
Trotz alledem, trotz alledem,
Trotz alledem"


Erst 1868 konnte Ferdinand Freiligrath – von den Behörden geduldet – nach Deutschland zurückkehren. Er starb am 18. März 1876. Die Verwirklichung seiner Ideale von Einheit, Freiheit und Brüderlichkeit hat er nicht mehr erlebt. Demokratische Grundrechte wurden viel später, mit dem Sturz des Deutschen Kaiserreichs am Ende des Ersten Weltkriegs, durchgesetzt.