"Troilus und Cressida" in Köln

Im wilden Griechencamp

Das Denkmal von William Shakespeare, aufgenommen im Park an der Ilm in Weimar (Thüringen).
Das Denkmal von William Shakespeare, aufgenommen im Park an der Ilm in Weimar (Thüringen). © picture alliance / dpa
Von Dorothea Marcus · 02.02.2016
Shakespeares bittere Kriegskomödie "Troilus und Cressida" wird recht selten geboten. In Köln hat sich nun Regisseur Rafael Sanchez ideenreich und verspielt an dem Stück ausgetobt.
Seit Jahren lagern die griechischen Helden vor Troja, doch die Stadt will einfach nicht fallen. Man zerreibt sich in Hahnenkämpfen und Austausch-Geplänkel und hat auch mal Zeit für eine Liebesgeschichte. Doch die Liebe von Troilus und Cressida scheitert schnell - und der Krieg reißt zum Schluss doch alles in den Abgrund. So könnte man Shakespeares bittere Kriegskomödie "Troilus und Cressida" zusammenfassen, die eher selten gespielt wird und sogar schon im 17. Jahrhundert als "Problemstück" galt, öffentlich aufgeführt wurde sie erst 60 Jahre nach Shakespeares Tod.
Verspielt und ideenreich hat sich nun Regisseur Rafael Sanchez an "Troilus und Cressida" ausgetobt, um drei Tage wurde die Premiere aus "künstlerischen Gründen" verschoben. Noch ein paar Tage mehr, und die Gags hätten vielleicht noch besser gesessen – immer noch sind ein paar Längen zu spüren im quietschbunten, recht leichtgewichtigen Comic-Universum. Die Griechen sind da tumbe, halbnackte und langhaarige Recken, die sich Lederbänder um die Körper winden. Der große Ajax mit Zauselhaaren ist ein dreister Dummschwätzer, Achill (schön selbstüberzeugt: Robert Dölle) eine selbstherrliche, müde Diva im Zelt mit Morgenmantel, Indianerskalp und dem Toyboy Patroklos stets zur Hand. Zusammen hausen sie in einem naturalistischen Märchenwald à la "Sommernachtstraum" auf einem gewaltigen Drehbühnenquader, eine Art Guckkasten des 19. Jahrhunderts.
Simeon Meier hat ganze Arbeit geleistet, um das Zitat einer ungestümen Natur aufzubauen: Holzstämme in großer Dichte, Blätter rascheln und Nebel dampfen beim Hindurchgehen. Wenn sich die Bühne dreht, werden ganze Wanderungen zurückgelegt. Befremdet blicken die Trojaner von außen befremdet auf die Wilden in ihrem Wald-Kasten, die sie schließlich überrennen werden. Sie sind viel verfeinerter und besser gekleidet, dafür sind ihre Intrigen auch verschlagener – vor allem die vom Kuppler Pandarus, den Bruno Cathomas In schwarzem Rüschenhemd und barocker Anmutung als schmierigen, sensationsheischenden Onkel zweigt und ganz in seinem komödiantischen Element ist. Auch Paris (Johannes Benecke) lässt lieber die anderen für seine Sache kämpfen und zieht Helena (Katharina Schmalenberg) statt dessen als vergoldete Riesenpuppe auf Rädern durch den Palast.
Extremistischer Ehrbegriff
Zum Glück nimmt Regisseur Sanchez zumindest die scheiternde Liebesgeschichte von Troilus und Cressida ernst, die in der Komödie nur einen sehr kleinen Raum einnimmt und das große Problem dieses Stücks ist: Warum finden sie überhaupt zueinander, und warum wird Cressida so umstandslos untreu, kaum ist sie ins Lager der Griechen zurückgetauscht?
Nikolaus Bendas Troilus ist ein aufrechter Jüngling in Bäckerhose, der als einziger noch an etwas glaubt – sympathisch, würde er es nicht immer so übertreiben, dass der Krieg weitergeht, ist auch seinem extremistischen Ehrbegriff zuzuschreiben. Die Griechin Cressida (Nicola Gründel als Frau, die mit Hilfe ihrer Schönheit vor allem ihre eigene Haut retten muss) ist zunächst eine kokette Hofdame in sexy wallendem Weiß. Was erst wie ein One-Night-Stand beginnt, wird von beiden schließlich als echte Verliebtheit und Überwältigung voneinander gespielt, als sie verstrubbelt nur mit Laken umwickelt von der Hinterbühne zurückkehren. Schön ist anzusehen, wie die Klamaukebene verlassen wird: Der Gefangenenaustausch zurück ins griechische Lager ist schließlich vor allem für Cressida eine Katastrophe. Wie eine Vergewaltigungsszene wirkt, als alle Feldherren sie bei der Rückkehr gierig küssen wollen. Kein Wunder, dass sich Cressida pragmatisch Diomedes in ihr Zelt einlädt: Troilus ist weit weg in Troja, im wilden Griechencamp braucht sie dringend den Schutz eines Mannes.
Dann läuft der finale Showdown an, von Komödie ist nichts mehr zu spüren: Hohle Kriegsmaschinen bringen sich durch schlichtes Kopfverdrehen um und sinken zu Boden, absurden Ehrbegriffen folgend. Patroklos muss dran glauben, Achill tötet den Helden Hektor, vor nun entlaubten Baumstämmen sitzen Trojaner neben Griechen und starren finster anklagend ins Publikum, pathetisch dröhnt und knackst der Sound. Kein schlechter, aber doch ein zwiespältiger Abend: ein Ritt durch das reiche Fantasieuniversum des Regisseurs, mit dampfendem Zitat-Realismus – und geringer Fallhöhe. Die öffnet sich erst gegen Schluss: Am Ende muss Troja dran glauben, die Gesellschaft, die nicht lernen wollte, hat sich selbst zerstört. Das bisschen Zivilisation hat ihr nichts genützt.