Tröger lehnt Attentatsgedenken ab

Walther Tröger im Gespräch mit Christopher Ricke · 27.07.2012
Der frühere NOK-Präsident Walther Tröger unterstützt die Weigerung des IOC, bei den heute beginnenden Spielen in London der Opfer des Olympia-Attentats von München 1972 zu gedenken. Die Olympischen Spiele seien ein globales Event, da gehöre so etwas nicht hin, sagte Tröger.
Christopher Ricke: Heute Abend ist es endlich so weit, eine große Feier: Die Olympischen Spiele werden eröffnet. Sie dauern bis zum 12. August, sie finden in London statt, dort ist das gut geübte Praxis nach 1948. Ich spreche mit Walther Tröger, er war zehn Jahre Präsident des deutschen Nationalen Olympischen Komitees, er war 1972 als Funktionär mit in München, und jetzt ist er natürlich in London. Guten Morgen, Herr Tröger!

Walther Tröger: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Welche Hoffnung verbinden Sie denn mit dem heutigen Tag und den kommenden zwei Wochen?

Tröger: Ja, zunächst einmal hoffe ich, dass der herrliche Sonnenschein und das gute Wetter auch über die Eröffnungsfeier anhält, aber sonst erhoffe ich mir gute Olympische Spiele, sehr gut organisierte, sehr auf der einen Seite feierliche, auf der anderen Seite lockere, mit guten Ergebnissen und ohne irgendwelche Zwischenfälle.

Ricke: Damit es zu keinen Zwischenfällen kommt, betreiben die Briten einen erheblichen Sicherheitsaufwand, über den wir auch seit Wochen diskutieren. Ist denn dieser riesige Sicherheitsaufwand aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Tröger: Natürlich ist er gerechtfertigt. Das können ja auch nur die Briten selber, die Verantwortlichen selber mit dem IOC gemeinsam entscheiden. So etwas wird nach meinen Erfahrungen, als ich selber noch aktiv war, über die Monate, über die Jahre hinweg sehr sorgfältig vorbereitet, und jeder weiß, dass das einfach gar nicht anders geht, und die Briten sind ja auch nun erfahren auf diesem Sektor, sie haben ja auch schon einiges mitgemacht.

Ich will nur eines gleich feststellen, weil auch Fragen aufkommen: Lohnt das die Olympischen Spiele? Die Olympischen Spiele sind nur eine Möglichkeit und eine Notwendigkeit für diese Sicherheitsvorkehrungen – alle anderen Veranstaltungen, die ein Schaufenster bieten, sind in derselben Lage, und deswegen hat das überhaupt nichts mit dem Event selber zu tun, sondern nur mit der Möglichkeit, dass die ganze Welt zuschaut.

Ricke: Wir erinnern uns alle, zumindest die meisten von uns erinnern sich an den Terror in München vor 40 Jahren. Damals waren Sie Bürgermeister des Olympischen Dorfs, Sie haben auch mit den Terroristen verhandelt. Bei der Eröffnungsfeier heute Abend wird es keine Schweigeminute geben, kein Gedenken, kein Innehalten. Wie beurteilen Sie denn diese Entscheidung?

Tröger: Ich bin absolut dieser Meinung. Es gehört einfach nicht ... und ich habe das auch diskutiert mit meinen Freunden, vor allem auch mit den Vertretern der Opfer, die das ja auf den Weg gebracht haben, habe ihnen auch deutlich gesagt, warum ich dagegen bin, meine Gründe genannt und habe sogar Verständnis dafür gefunden.

Dieses ist ein globales Event, da gehört so etwas eigentlich nicht hin. Man hat andere Möglichkeiten. Wir haben seinerzeit eine große Veranstaltung gehabt direkt in München, als Trauerfeier am Tag danach. Es wird in München selber alle paar Jahre, alle vier Jahre zumindest, ein großes Event gemacht zum Gedenken. Und man muss einfach sehen, dass diese ganze große Gemeinde, die hier versammelt ist, vor allem die Aktiven, gar nicht wissen, wovon die Rede ist - und deswegen muss man nach 40 Jahren nun nicht unbedingt diesen Weg gehen. Es gibt andere Möglichkeiten.

Jacques Rogge hat vor zwei Tagen im Olympischen Dorf, als es darum ging, den olympischen Frieden, olympic (…), diese ganze Geschichte, die das IOC auf den Weg gebracht hat, das ... Verständigung und Verständnis füreinander, Achtung voreinander, da hat er diese Schweigeminute gemacht, und da hat sie auch in der Tat hingehört in diesem Zusammenhang. Und deswegen bin ich absolut einverstanden damit. Und diesen Hype, hätte ich beinah gesagt, der weltweit entstanden ist von Leuten, die überhaupt nicht wissen, wovon die Rede ist, der war unnötig.

Ricke: Schauen wir noch mal auf die sportliche Komponente, die ist ja nicht unwichtig bei Olympia. Die Sommerspiele sind, wenn man sie so ein bisschen in der Rückschau betrachtet, immer größer, immer spektakulärer geworden. Es sind Sportarten dazugekommen wie BMX oder Badminton, das nächste Mal gehört, glaube ich, sogar Golf dazu. Also ich verliere allmählich den Überblick. Wie geht es Ihnen denn da?

Tröger: Das alles gefällt mir nicht. Ich war immer der Meinung – allerdings bin ich da in der Minderheit geblieben –, die Olympischen Spiele dürfen nicht eine Show, eine Messe aller möglichen Sportarten sein, sie müssen ein Modell sein für den Sport, das heißt, sie müssen sich auch einmal einschränken können, sie müssen sich auf die wesentlichen Sportarten beschränken, sie müssen nicht jeden neuen Trend übernehmen.

Mir wären kleinere Spiele jetzt im Zusammenhang mit dem Programm der Spiele, mit der Zulassung von Sportarten, weit lieber als das, was sich nun immer mehr entwickelt. Aber der Trend ist wohl nicht aufzuhalten. Das IOC ist sehr zurückhaltend damit, immer nur mal zwei aufzunehmen, einige wieder auszuschließen. Das System ist noch ein bisschen undurchschaubar. Aber die Idee, meine Idee der Beschränkung ist schon auch noch virulent. Wie es weitergeht, weiß ich nicht.

Ricke: Wie ist es denn mit den kleinen Geschwistern der Olympischen Spiele? Es gibt ja die Spiele der Körperbehinderten, der geistig Behinderten, der Gehörlosen. Ist das in Ordnung?

Tröger: Ja, das ist völlig in Ordnung, das habe ich auch unterstützt. Ich bin ja nun seit vielen Jahren der Delegierte des IOC für den Behindertensport gewesen, ich habe mich sehr für Paralympics eingesetzt, ich habe ja damals, als die aufkamen, mich auch sehr dagegen eingesetzt, dass sie integriert werden in die Olympischen Spiele. Das sehen die Paralympics, die behinderten Sportler inzwischen ein. Und die Paralympics sind eigentlich mit der Kombination – dass sie von derselben Organisation wahrgenommen, in denselben Wettkampfstätten der Olympischen Spiele und dass sie quasi gleichgeordnet sind – sehr zufrieden und sehr glücklich damit.

Die Special Olympics sind eine andere Organisation, die aber vom IOC inzwischen auch übernommen worden ist. Auch diese Spiele werden gesponsert. Und die gehörlosen, gehörbehinderten Sportler, die wollen ihre eigenen Spiele, weil sie eben schon eine ganz andere Kategorie sind. Auch sie werden vom IOC unterstützt, ihnen wird geholfen, und sie sind Mitglied der olympischen Familie. Ich glaube, da haben wir ein ganz gutes System der Zusammenarbeit gefunden.

Ricke: Es gibt noch ein System, das man durchaus kritisieren kann: Zu den ständigen Leistungssteigerungen bei Olympia gehören nämlich leider auch die leistungssteigernden Substanzen. Doping wird sicherlich wieder ein Thema sein. Sagen Sie mir eine gefühlte Zahl: Wie viele Medaillen gibt es für die, die sich nicht haben erwischen lassen, die also gedopt auf dem Treppchen stehen?

Tröger: Nein, das werde ich nicht tun, das kann ich auch nicht tun. Das sind alles Vermutungen. Leider leben wir auf diesem Sektor mit Vermutungen, weil die Wissenschaft, die verbrecherische Wissenschaft, so will ich es mal nennen, immer den Recherchen, die das IOC unternehmen kann, einen Schritt voraus sind. Das ist aber mit all diese Vergehen auf der ganzen Welt so.

Das IOC tut alles, aber das ist ein sehr anspruchsvolles Programm, aber sind alle so weit, dass sie wirklich das wollen, und die Athleten wollen es auch, sonst würden sie sich diesem fast ein bisschen kriminellen Untersuchungssystem gar nicht bereitwillig unterwerfen.

Ricke: Kann man denn wenigstens für die deutsche Mannschaft die Hand ins Feuer legen?

Tröger: Wollen wir mal sagen, ich lege neun Finger ins Feuer.

Ricke: Was die Freude vergällt hat, was leider auch für schlechte Schlagzeilen gesorgt hat, ist ein Ticketskandal: NOKs und Tickethändler sollen den Schwarzmarkt ordentlich mit überteuerten Eintrittskarten versorgt haben. Wenn sich so viele an Olympia eine goldene Nase verdienen wollen, wo bleibt denn da der olympische Gedanke?

Tröger: Ja nun, das sind alles Menschen, die daran arbeiten. Der olympische Gedanke, den können Sie bei Agenten und bei einigen NOK-Offiziellen in irgendwelchen weit weg liegenden Ländern einfach nicht vermuten. Es wird immer wieder versucht, sich eine Chance zum Vorteil zu verschaffen, entweder im Sport – da sind wir beim Doping – oder aber mit Geldgewinnen mit dem Ticketing.

Das IOC nimmt das sehr ernst und wird garantiert bei denen, die erwischt worden sind, alles tun, dass die dazu nicht mehr in der Lage sind. Es war dieses Mal das erste Mal so umfassend und so kriminell, und ich glaube, was das IOC nun veranlassen wird, wird abschreckend sein für die kommenden Jahre.

Ricke: Walther Tröger, er war zehn Jahre Präsident des deutschen Nationalen Olympischen Komitees, er ist jetzt in London, vielen Dank, Herr Tröger!

Tröger: Danke Ihnen!


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