Triumph des Architekten

Von Carsten Probst · 29.11.2006
Im Streit um die architektonische Gestaltung des Berliner Hauptbahnhofs hat die Deutsche Bahn eine Niederlage einstecken müssen. Architekt Meinhard von Gerkan hatte gegen die Verletzung des Urheberrechts geklagt und die Umsetzung seiner Entwürfe gefordert. Das Gericht gab ihm Recht und erklärte erstmals ein Gebäude juristisch zum Kunstwerk. Nun muss der Hauptbahnhof möglicherweise umgebaut werden.
Das Urteil ist zum einen eine schwere Schlappe für den Bahnkonzern und seinen Chef Hartmut Mehdorn. Dieser hat die nachträglichen Umbaukosten bereits auf 40 Millionen Euro und die Bauzeit auf drei Jahre beziffert, womit erhebliche Störungen des laufenden Fernverkehrs einhergingen. Einige Experten halten diese Zahlen freilich für übertrieben. Architekt Meinhard von Gerkan zeigte sich nach dem Urteil verständlicherweise hochzufrieden.

"Ich denke, es ist der Sache bekömmlich. Es spart Geld und Zeit und Ärger und Kraft und erspart vor allem allen Beteiligten die permanente Diskussion dieses Themas in der Öffentlichkeit. Ich denke, dass einige davon nicht gerade Gesichts-Gewinn haben, sondern eher -verlust."

Vor allem jedoch ist das Urteil eine bedeutende juristische Zäsur. Denn Meinhard von Gerkan hatte auf eine Verletzung seines Urheberrechts an der Gestaltung des Großbahnhofs geklagt, nachdem der Bahnvorstand eigenmächtig die ursprünglichen Entwürfe geändert und heimlich ein zweites Architekturbüro damit beauftragt hatte, die Decke des Untergeschosses in der heutigen Form zu bauen. In der Verhandlung am Dienstag erkannte der Vorsitzende Richter Peter Scholz nun den Hauptbahnhof als Kunstwerk an, das durch den Einbau der Flachdecke "erheblich entstellt" worden sei. "Ein Rückbau der Decke wäre daher durchzuführen", sagte der Vorsitzende Richter. Zum ersten Mal ist damit ein Gebäude juristisch zum Kunstwerk erklärt worden.

Bisher galt der Urheberrechtsschutz allenfalls für bestimmte Elemente der Fassadengestaltung und so genannte "Kunst am Bau". Dass nun aber ganze Häuser gegebenenfalls als Kunstwerke betrachtet werden dürfen, widerspricht der bisherigen, landläufigen Ansicht, die vor allem vom Zweckcharakter eines Gebäudes ausgeht. Darauf berief sich stets auch Bahnchef Hartmut Mehdorn, als er auf das Recht des Bauherren verwies, an seinem Eigentum Veränderungen nach Belieben vorzunehmen, solange sie die ursprüngliche Funktion nicht in Frage stellen. Ausnahmen von dieser Regel müssen im Architektenvertrag fixiert werden.

So aber ließ sich schon die ebenfalls umstrittene Verkürzung des oberen Glasdaches das Bahnhofs durch die Bahn um rund einhundert Meter mit zu hohen Kosten begründen, durch die nun vor allem die Fahrgäste der Ersten Klasse bei schlechtem Wetter im Regen stehen.

Die Gewölbedecke für das Untergeschoss wiederum, die Architekt Gerkan vorgesehen hatte, war integraler Bestandteil der Lichtführung im gesamten Gebäude und verfolgte keinen unmittelbar praktischen Nutzen. Wie ein bläulich schimmerndes, filigranes Gitternetz hätte sie das Tageslicht, das durch die Glashaut der obersten Ebene einfällt, bis in die unterste Ebene weiterleiten und dadurch einzigartige optische Effekte erzeugen sollen.

Mit Recht, so urteilte nun das Berliner Landgericht in diesem Fall, sah Gerkan durch den Einbau einer geschlossenen Flachdecke den gesamten Bau in seiner architektonischen Wirkung beschädigt.

Für die Baukultur könnte dieses Urteil, so es denn Bestand haben wird, außerordentliche Bedeutung haben. Doch Juristen wird es künftig zu Richtern über Kunst und Nichtkunst machen. Die Deutsche Bahn hat indes Berufung angekündigt.
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