"Tritt in die Kniekehle" für Anbieter neuer Technologien

Moderation: Hanns Ostermann · 02.07.2007
Der neue Bremer Umweltsenator Reinhard Loske hat vor längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke gewarnt. Sie bedeuteten "einen Tritt in die Kniekehle" all derer, die mit neuen Technologien in den Startlöchern stünden, sagte Loske vor dem morgigen Energiegipfel im Kanzleramt.
Hanns Ostermann: Es wird keine Veranstaltung für Feinfühlige. Das glaubt jedenfalls der Bundesumweltminister Sigmar Gabriel von der SPD. Kurz vor dem Energiegipfel morgen im Kanzleramt verschärft sich der Ton zwischen Wirtschaft und Politik. Da wird von "Wirtschaftsstalinisten" gesprochen und die Retourkutsche folgt prompt. Gabriel sei "Öko-Bolschewist". Die Stimmung ist gereizt, kein Wunder: geht es doch um viel Energie, um jede Menge Geld und letztlich auch um Macht.
Woher kommen Strom, Wärme und Kraftstoffe der Zukunft? Das ist die Frage, um die es geht und über die ich mit dem neuen Umweltsenator in Bremen reden möchte, mit Reinhard Loske von den Bündnis-Grünen. Guten Morgen Herr Loske!

Reinhard Loske: Schönen guten Morgen Herr Ostermann!

Ostermann: Die Klimaziele der Bundesregierung seien unrealistisch, heißt es immer wieder. Die geplante Steigerung der Energieeffizienz um drei Prozent pro Jahr sei einfach nicht zu schaffen. Kann die Wirtschaft nicht oder will sie nicht?

Loske: "Die Wirtschaft" gibt es nicht, genauso wenig wie es "die Politik" gibt. Es gibt in der Industrie und in der Wirtschaft Sonnenaufgangsindustrien, denen die Zukunft gehört, und die sind scharf darauf, dass scharfe Ziele gesetzt werden, und es gibt die Beharrungskräfte, die gerne alles so lassen würden wie es ist. Es ist ja so: bei der Energieeffizienz oder dem Energieaufwand, den wir betreiben, um beispielsweise 1000 Euro Sozialprodukt herzustellen, haben wir in der Vergangenheit in unseren Bemühungen nachgelassen. Wir haben jährlich nur noch ungefähr ein Prozent geschafft. Wenn wir so weiter machen, dann fallen wir zurück. Dieses Ziel drei Prozent Verbesserung pro Jahr ist anspruchsvoll, aber möglich.

Ostermann: Wer sind die schwarzen Schafe? Nennen Sie doch Ross und Reiter.

Loske: In ganz besonderer Weise sind es natürlich die großen vier Stromkonzerne, die 80 Prozent des Marktes kontrollieren und indirekt sogar noch mehr und 100 Prozent der Netze. Die sind nicht auf der besonders progressiven Seite und Teile der Industrie. Man darf sie auf keinen Fall über einen Kamm scheren, aber wenn ich das höre, was beispielsweise von der Stahlindustrie immer wieder gesagt wird, die technischen Möglichkeiten seien ausgereizt und man sei schon wunderbar und sei schon Weltmeister, das klingt nicht nach einer hohen Innovationsfreude.

Ostermann: Und vor allem "wir wandern aus", "wir verlagern Arbeitsplätze". Die Keule wird ja immer schärfer und stärker.

Loske: Ja, aber dieses Ziel, die Energieeffizienz deutlich zu verbessern, ist ja kein nationales Ziel. Das ist ja eine Bestrebung, die insgesamt in Europa verfolgt wird. Es ist klar: Europas Wettbewerbsfähigkeit in Zukunft auf den globalisierten Märkten hängt in ganz besonders hohem Maße davon ab, wie energie- und ressourceneffizient unsere Wirtschaft ist. Das heißt, es ist genau umgekehrt. Es ist ein ganz wichtiger Standortfaktor, der maßgeblich über unsere Wettbewerbsfähigkeit bestimmt. Das ist das, was wir gut können.

Ostermann: Bis 2020 soll der deutsche Ausstoß von Klimagasen um 40 Prozent unter den Wert von 1990 gebracht werden. So der Beschluss des Bundestages. Würde man die Atomkraftwerke länger laufen lassen, argumentiert die Wirtschaft, wäre das machbar. Wir hätten billigen Strom und kein Kohlendioxid, allerdings zugegeben das eine oder andere Risiko wie in Krümmel oder Brunsbüttel mehr.

Loske: Ja, das ist eine lange Debatte. Bei der Atomenergie müssen wir zwei Argumentationslinien betrachten. Das eine sind die Gefahren, die aus der Atomenergie selbst kommen. Das ist die Frage der ungeklärten Endlagerung, die Unfallgefahren, die Missbrauchsgefahren. Das ist eine lange Latte von Themen. Auf der anderen Seite ist es so: wir müssen die Struktureffekte betrachten. Atomkraft ist ja nur CO2-frei, wenn man praktisch nicht ihr Umfeld betrachtet. Wenn wir das Umfeld betrachten, ist Atomenergie meistens in Energieversorgungsstrukturen eingebettet, die sehr zentralistisch sind und die keine Anreize geben zur Energieeinsparung. Wenn wir jetzt bei den Laufzeiten nach hinten die Schleusen aufmachen würden, dann würde das faktisch bedeuten, dass all diejenigen, die mit neuen Technologien in den Startlöchern stehen, mit erneuerbaren Energien, mit Energieeffizienz, mit hoch modernen Kraftwerkstechnologien und so weiter, einen Tritt in die Kniekehle bekommen würden, weil gegen abgeschriebene Atomkraftwerke, die im sogenannten goldenen Ende laufen, kann niemand ankonkurrieren. Das ist das Problem und insofern ist es auch aus Sicht der Strukturpolitik falsch, das Signal zu geben, Atomkraftwerke sollen länger laufen.

Ostermann: Herr Loske, es fällt ja trotzdem auf, dass sogar in Europa, nicht nur weltweit, ein anderer Weg gegangen wird. In Frankreich und Großbritannien entstehen neue Atomkraftwerke und Deutschland nimmt mit seinem Ausstiegsbeschluss geradezu eine Außenseiterhaltung ein.

Loske: Nein, das ist nicht richtig. Deutschland liegt im Mittelfeld, würde ich sagen. Es ist keineswegs so, was jetzt immer wieder versucht wird, wir stünden vor einer großen Renaissance der Atomenergie. Wir haben weltweit nach wie vor um die 450 Atomkraftwerke und es gehen im Moment so um die 30 vom Netz. Das heißt, wir haben es im Wesentlichen mit Ersatzinvestitionen zu tun. Und dass wir sozusagen eine massive Kehrtwende hätten, die jetzt weltweit Richtung Atomenergie geht, und wir uns isolieren würden, das ist nicht zutreffend. Noch mal: grundsätzlich gibt es zwei Wege ins postfossile Zeitalter, den solaren und den nuklearen. Da setzen wir ganz klar auf das erste Pferd, weil dem auch die Zukunft gehört.

Ostermann: Sicherlich wird morgen auch über Verordnungen zum Energiesparen in Privathaushalten gesprochen. Wir reden immer über die Wirtschaft, aber wie wichtig wäre ein Umdenken bei uns Bürgern?

Loske: Sehr wichtig! Die Industrie, die energieintensive Industrie, wo das quasi ein relevanter Kostenfaktor ist, die schaut schon sehr genau hin, wo sie einsparen kann. In den Haushalten gibt es noch große Potenziale: bei der Wärme, bei der Beleuchtung, bei den elektrischen Anwendungen und so weiter. Wir können als Privatleute eine Menge machen bei Anschaffungen. Wir können auch auf Kennzeichnungen schauen bei den Geräten, wenn wir uns Geräte anschaffen. Da liegt noch ein riesiges Feld von Handlungsmöglichkeiten vor uns und vor allen Dingen all das bedeutet keinen Komfortverlust, sondern wir tun was für die Umwelt und können häufig auch noch Kosten sparen. Insofern brauchen wir da auch einen wirklichen Wandel in den Einstellungen.

Ostermann: Welche Erwartungen haben Sie denn jetzt an den Energiegipfel? Bleibt es beim Schlagabtausch, oder kommt mehr dabei heraus?

Loske: Es ist viel heiße Luft bis jetzt. Es wird ja so getan, als wenn auf der einen Seite die Klimaschützer stünden, namentlich der Bundesumweltminister, und auf der anderen Seite die Industrie. Ich habe aber durchaus auch noch Kritik an dem, was die Bundesregierung präsentiert. Ihre Ziele sind ja bis jetzt recht wage und noch nicht verbindlich und was sie da beim Emissionshandel abgeliefert hat, lädt ja auch nicht gerade zu dem Urteil ein, dass alles wunderbar ist. Insofern ist jetzt im Moment das alles so etwas verschoben in der Wahrnehmung.

Ostermann: Also könnte man den Gipfel absagen?

Loske: Ich meine, dieses ganze Gipfelwesen kann man kritisch sehen, aber er findet jetzt statt und was ich gut finde sind die Bestrebungen, Energie- und Klimapolitik endlich zusammenzuführen und vor allen Dingen langfristige Zielvorgaben zu machen. Das ist entscheidend, weil Kraftwerke laufen 40 Jahre. Da kann man nicht nur mit Drei-, Vier-, Fünfjahresfristen kalkulieren. Man muss langfristig denken. Das ist entscheidend. Wenn das dabei heraus käme, wäre mindestens mal ein erster Schritt getan.

Ostermann: Reinhard Loske von den Bündnis-Grünen, der neue Umweltsenator in Bremen. Vielen Dank für das Gespräch im Deutschlandradio Kultur.