"Tristan und Isolde" in Dortmund

Liebe als einzige Opposition in der Diktatur

Jens-Daniel Herzog, Intendant des Theaters Dortmund
Die Dortmunder Oper hat sich mit dem Intendanten Jens-Daniel Herzog zu einem überregional bedeutenden Musiktheater entwickelt. © picture-alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
Von Stefan Keim · 06.09.2015
Die knallharte Wirklichkeit einer Diktatur bildet den Rahmen für "Tristan und Isolde" an der Dortmunder Oper. Wagners romantische Liebestragödie hat Intendant Jens-Daniel Herzog in kalten Bildern inszeniert.
Pessimismus und Weltschmerz stecken in Richard Wagners Oper "Tristan und Isolde". Nur im Tod finden die beiden Liebenden ihre Erfüllung. In den vergangenen Jahren hat es einige interessante Neudeutungen dieses Stückes gegeben, zuletzt eröffnete Katharina Wagner mit dem tristen "Tristan" die Bayreuther Festspiele. Gestern nun zeigte Dortmunds Opernintendant Jens-Daniel Herzog seine Version. Unter seiner Leitung hat sich die Dortmunder Oper zu einem überregional bedeutenden Musiktheater gemausert.
Ein Tristan in Uniform
Wenn der Vorhang aufgeht, sitzt Tristan in Uniform an einem Schreibtisch. Ein Porträt an der Wand zeigt König Marke, so wie früher in der Sowjetunion Bilder von Stalin in den Amtsstuben hingen. Hartes Neonlicht beleuchtet hässliche graubraunblaue Wände. Ein Mann zeigt Tristan seinen Ausweis, der wirkt unzufrieden, verbindet dem Mann die Augen und führt ihn nach draußen. Dann fällt ein Schuss. Während aus dem Orchester erste Ahnungen großer Liebeswallungen zu hören sind, zeigt Regisseur Jens-Daniel Herzog den grausamen Alltag in einer Diktatur. Tristan ist Teil des Unterdrückungssystems.
Aber irgendetwas gärt in Tristan. Er ist Isolde begegnet und geht ihr seitdem aus dem Weg. Nun soll sie König Marke heiraten, Tristan will seine Pflicht tun und sie dem Herrscher zuführen. Doch dann nehmen die beiden Drogen, den Liebestrank, albern wild herum, kichern und haben ihre Gefühle nicht mehr unter Kontrolle. Mystische Elemente gibt es kaum in Jens-Daniel Herzogs Inszenierung. Die nicht mehr zu bändigende Liebe zwischen Tristan und Isolde ist die einzige Form der Opposition in einer perfekt funktionierenden Diktatur.
Knallharte Wiklichkeit gegen Romantik
Als die beiden berauscht durch die Räume der sich drehenden Bühne taumeln, geraten sie in Markes Folterkeller. Blutüberströmt sitzt dort Tristans Begleiter Kurwenal, auch Tristan wird zusammen geschlagen, das kurze Liebesglück findet ein jähes Ende. Es gab einige Buhrufe für Jens-Daniel Herzogs Inszenierung, die kalten Bilder, die Konfrontation der romantischen Utopie mit der knallharten Wirklichkeit. Allerdings ist Herzogs Deutung schlüssig und konsequent, die ersten beiden Akte sind durchweg spannungsgeladen, die Sänger agieren mit großer schauspielerischer Wahrhaftigkeit. Wenn schließlich Tristan und der geblendete Kurwenal gemeinsam leiden, rutschen sie ein bisschen lange blutverschmiert auf dem Boden herum. Aber Herzog liefert eine hochinteressante Gegenthese zu der "Tristan"-Inszenierung von Willy Decker, die vor einigen Jahren bei der Ruhrtriennale lief. Decker und Dirigent Kyrill Petrenko zeigten einen spirituellen, abstrakten Tristan in hinreißender Langsamkeit und Ruhe. In Dortmund ist nun alles konkret, bodenständig, griffig. So dirigiert auch Generalmusikdirektor Gabriel Feltz die Dortmunder Philharmoniker.
Für die Hauptpartien hat die Oper Dortmund Bayreuth erfahrene große Stimmen engagiert. Allison Oakes singt Isolde mit großer gestalterischer Bandbreite zwischen mühelosem Fortissimo und leuchtenden, zarten Momenten, perfektem Wagner-Belcanto. Diesen musikalischen Reichtum beweisen auch Lance Ryan als Tristan und die Sänger aus dem Dortmunder Ensemble. Karl-Heinz Lehner als abgründiger Marke, Sangmin Lee als leidenschaftlicher Kurwenal und Martina Dike als explosive Brangäne liefern herausragende Rollenporträts.
Eine Oper, die sich überregional sehen lassen kann
Nach dem "Rosenkavalier" und "Don Giovanni" ist dieser "Tristan" schon die dritte Aufführung einer großen Repertoireoper in diesem Jahr, die sich überregional sehen und hören lassen kann. Jens-Daniel Herzog könnte sich als international gefragter Regisseur ein bequemeres Künstlerleben machen. Aber er hat die Ärmel hochgekrempelt und die nach der gescheiterten Intendanz von Christine Mielitz am Boden liegende Oper Dortmund wieder nach oben gebracht. Das war harte Arbeit, jetzt hat die Zeit der Ernte begonnen.

Tristan und Isolde
Eine Oper in drei Aufzügen von Richard Wagner
Regie: Jens-Daniel Herzog
Musikalische Leitung: Gabriel Feltz
Theater Dortmund

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