Trio-Projekt um Tord Gustavsen

Religiöse Implikationen und spirituelle Dimensionen

Jarle Vespestad, Simin Tander und Tord Gustavsen
Schlagzeuger Jarle Vespestad, Sängerin Simin Tander und Pianist Tord Gustavsen © Hans Fredrik Asbjörnsen / ECM Records
Von Jan Tengeler · 25.01.2016
Das neue Trio-Projekt des Pianisten Tord Gustavsen interpretiert norwegische Kirchenhymnen in der afghanischen Sprache Pashtu. "What was said" strahlt gleichermaßen Ruhe und Kraft aus.
"Ich bin damit groß geworden, in der Kirche zu spielen, mit dem Chor. Auch zu Hause gehörten Hymnen und geistliche Lieder zum musikalischen Alltag. Sie sind bis heute Hauptquellen meiner Inspiration. Ich denke sogar oft, dass das meiste von dem, was ich geschrieben habe auf diese Kirchenlieder zurückgeht, es sind abstrakte Gospelstücke, Metaphern für ein Glaubensbekenntnis. Für mich ist und bleibt das fundamentale musikalische Energie."
Ein Großteil der Stücke seiner neuen CD "What was said" geht direkt auf norwegische Kirchenhymnen zurück. Die wiederum, erklärt Tord Gustavsen, speisten sich zum Großteil aus der Volksmusik seiner Heimat. Der Pianist ist in eine protestantische Familie hineingeboren und bis heute auf seine Weise gläubig: ihn interessiere vor allem der spirituelle Kern, den er in anderen Religion genauso zu erkennen glaube.
"Mit dem mysteriösen Klang einer fremden Sprache"
"Wir versuchen mit der neuen CD rauszufinden, wie wir die alten Texte aus dem Gefängnis einer strengen protestantischen Theologie befreien können, ohne die Schönheit dieser Tradition zu vergessen. Wir haben darum etwas getan, das etwas merkwürdig erscheint, sich für mich aber doch natürlich entwickelt hat: wir haben die alten norwegischen Lieder in die afghanische Sprache Paschtu übersetzt. Für mich ist das Ergebnis von stimulierender Dualität: ich höre die mir bekannten Themen mit dem mysteriösen Klang einer fremden Sprache."
Alte norwegische Kirchenhymnen in der afghanischen Sprache Pashtu singen zu lassen, erscheint abwegig. Tord Gustavsen suchte daher eine Künstlerin, die einen direkten Bezug zu dieser Sprache hat und ist dabei auf die in Köln lebende Simin Tander gestoßen, die in den letzten Jahren die Sprache ihres afghanischen Vaters auch als Sängerin für sich entdeckt hat. Sie bildet die natürliche Brücke zwischen den weit voneinander entfernten Welten, Gustavsen schätzt aber auch ihre Bühnenpräsenz.
"Simin gelingt es auch ganz ohne Elektronik, verschiedenste Töne zu produzieren. Sie haben die Klarheit der Popmusik und doch ist es improvisiert. Simin kann die Musikführung wie eine Solistin übernehmen und im nächsten Moment reiht sie sich als Improvisatorin in das Gesamtbild ein."
"So eine tiefe Spiritualität spricht viele Leute an"
"Ich bin überrascht, dass in allen Genres Künstler etwas mit Rumi machen, auch Madonna. So eine tiefe Spiritualität spricht viele Leute an, beim ersten Lesen versteht man das nicht, es ist eine sehr bilderreiche Sprache, die Hymnen sind den Sufigedichten ähnlich, das ist meine starke Verbindung gewesen"...
Neben den norwegischen Kirchenliedern lassen sich einige englischsprachige Vertonungen von Rumi-Gedichten auf dieser neuen CD finden, wie die Sängerin Simin Tander erläutert. Jalal al-Din Rumi hat im 13. Jahrhundert gelebt und gilt bis heute als einer der einflussreichsten Dichter des Sufismus. Gustavsen schien das die passende Ergänzung zu seiner Idee, religiöse Grenzen zu überwinden, um den gemeinsamen spirituellen Kern freizulegen. Auf der rein musikalischen Ebene greift er dabei übrigens auch zu einem Mittel, von dem er sich bis heute etwas überrascht zeigt.
"Ich höre schon lange elektronische Musik, habe aber nie daran gedacht, dass ich das auch selbst einsetzen könnte. Bis ich dieses neue System entdeckt habe, in dem mittels eines Scanners die Tasten des Klaviers in Midi Signale umgewandelt und mithilfe eines Computerprogramms in jeden denkbaren Klang übersetzt werden können. Jetzt mache ich es oft so, dass ich mit der linken Hand auf den Tasten einen synthetischen Bass erzeuge, die rechte Hand aber weiterhin den natürlichen Klavierklang behält. Das ist auch deshalb sehr praktisch, weil wir ja keinen Bassisten dabei haben."
Elektronik im fast unhörbaren Bereich
Der Einsatz der Elektronik bewegt sich bei Gustavsen gleichwohl oft im fast unhörbaren Bereich. Für die Lebendigkeit der Musik ist wohl entscheidender, dass mit Jarle Vespestad ein langjähriger musikalischer Partner von Gustavsen am Schlagzeug sitzt, der mit seinem farbenreichen Spiel und seinen ausdifferenzierten Texturen fast jedes Instrument überflüssig erscheinen lässt.
"What was said" ist somit eine abwechslungsreiche Einspielung geworden, deren ganzer Klangreichtum sich erst nach mehrfachem Hören in möglichst meditativer Stille erschließt.
Die religiösen Implikationen - der weitgespannte Bogen von der norwegischen Kirchenmusik bis zum islamischen Sufismus – lässt sich durchs Hören allein unmöglich erschließen. Die spirituelle Dimension, die Ruhe und verhaltende Kraft, gleichwohl schon.