Trinity 1945

Von Florian Hildebrand · 13.07.2005
Bis heute ist die Kernwaffe ein Problem der internationalen Politik. Im Mittelpunkt steht nicht mehr die Möglichkeit einer verheerenden Vernichtung von Erde und Mensch wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Heute geht es um das Streben kleiner Staaten wie zum Beispiel Nordkorea nach der Atombombe. Was 1945 noch ein großes Geheimnis war, liegt heute weitgehend offen. Am 16. Juli 1945 explodierte in der Wüste von Neu Mexiko in den USA die Atombombe und der erste Atompilz zum Himmel empor.
16.Juli 1945. Der weltweit erste Atombombenversuch. Hier das originale Geräusch von diesem so genannten Trinity-Test in der Wüste von neu Mexiko.

"Der Test war für Mitternacht angesetzt. Voraussetzung war: man sollte ihn in 16 Meilen Entfernung sehen können; außerdem sollte ein bestimmter Wind gehen. Aber um Mitternacht regnete es in Strömen mit Blitz und Donner; und wir fürchteten um die Bombe, die schon im Turm hing."

In der Tat schwankte das schwarze, unförmige und mit vielen Drähten behängte Ding unter der Turmspitze bedenklich. Kilometer entfernt hatten sich Wissenschaftler und Soldaten in die Erde eingegraben. Niemand konnte auch nur annähernd einschätzen, was passieren würde. Der Physiker Robert Wilson erinnert sich an die schicksalhafte Nacht damals:

" Wir hatten unsere Augen mit geschwärzten Gläsern geschützt. Wir hörten den Countdown, schauten durchs Glas und sahen eine überwältigende Explosion. Das war wie eine Art Vision. Der Pilz stieg so gewaltig auf, dass die umgebenden Berge darunter förmlich weg sanken. Das hatte schon eine, ja, eine Schönheit. Der Pilz stieg ganz langsam himmelhoch und beleuchtete die ganze Wüste wie im Mittagslicht. Dieser Anblick hat mich völlig verändert. "

Eine Frau war frühmorgens Dutzende von Kilometern entfernt unterwegs, um ihre Schwester nach Albuquerque in die Schule zu bringen. Sie erzählt, wie furchtbar sie erschrocken ist, als sie das gewaltige Blitzlicht sah. Ihre Schwester sagte: "Was ist passiert?" Sie hatte das Licht gesehen, obwohl sie blind war.

Was würde die Bombe anrichten? Für den Physiker Hans Bethe war es denkbar, dass die Bombe die Atmosphäre in Brand setzt. Das wäre der Weltuntergang gewesen. Robert Oppenheimer hingegen fürchtete eher, das Ganze werde in einem Feuerwerk aus Silvesterkrachern verpuffen.

Nach diesem ersten Versuch befreite sich die Spannung der Bombenbauer in eine taumelnde Begeisterung über die eigenen Fähigkeiten, ein solches Feuer entfacht zu haben. Freeman Dyson, Physikprofessor in Princeton bei New York:

" Diesem Schillern, dieser Sogwirkung, die von Nuklearwaffen ausgeht, der kann man sich als Wissenschaftler einfach nicht entziehen. So etwas in der Hand zu haben, diese ungeheure Energie, diese überirdische Kraft zu entfesseln. Das gibt den Leuten die Illusion von unbegrenzter Macht. Wenn solche Forscher merken, was sie alles aus ihren Köpfen herausholen können, werden sie zum Problem. Sie verfallen nämlich in die Arroganz, alles zu können."

Der Mann, der die Bombe baute


" Er war unglaublich intelligent. Ich kenne niemanden, der eine dermaßen rasche Auffassungsgabe besaß, nicht nur wissenschaftlich, sondern eigentlich auf allen Wissensgebieten."

Hans Bethe über Robert Oppenheimer. Bethe war in Los Alamos, wo von 1941 an die erste Atombombe entwickelt wurde, sozusagen der Cheftheoretiker. Er hatte in Deutschland Physik studiert und musste 1933 emigrieren. Robert Oppenheimer war Chef des hochgeheimen Projekts:

" Er wusste und verstand alles, was in den Labors vor sich ging, ob es nun die Chemiker, die theoretischen Physiker oder die Ingenieure betraf. Er hatte alles im Kopf und koordiniert. Unbestritten war er in Los Alamos intellektuell uns allen überlegen."

Oppenheimer war wissenschaftlicher Direktor von sieben sehr unterschiedlichen Abteilungen: theoretische und experimentelle Physik, Bomben-Physik, Explosivstoffe, Chemie, Metallurgie und Maschinenbau.

Die erste Kernspaltung war Otto Hahn und Fritz Strassmann Ende 1938 geglückt. Die meisten Kernphysiker erkannten sofort, welches Potenzial in dieser Entdeckung steckte. Das amerikanische Militär wollte sich zunächst nur eine Option für diese völlig neue Waffe offen halten. Die Arbeiten gingen daher schleppend voran. 1941 traten die Vereinigten Staaten in den zweiten Weltkrieg ein. Nur einen Monat später warnten Albert Einstein und zwei andere Physikerkollegen Präsident Roosevelt in einem Brief vor einer möglichen deutschen Atombombe. Als die Japaner den amerikanischen Kriegshafen Pearl Harbour überfielen, kam plötzlich mächtig Druck hinter das Projekt.

Unter Oppenheimers Leitung wurden insgeheim 3.000 Wissenschaftler und Ingenieure zusammengezogen, um das erste Mal überhaupt in diesem Umfang aus einer neuen physikalischen Erkenntnis unmittelbar eine gebrauchsfertige Technologie zu entwickeln. Es wurde Staatsgeheimnis Nr. Eins: das Manhattan-Projekt.

J. Robert Oppenheimer, geboren am 22. April 1904 in New York. Das Kind reicher Einwanderer zeigt früh überragende naturwissenschaftliche und sprachliche Intelligenz. Nach dem College studiert er in Harvard, Amerikas berühmtester Universität Physik, aber auch Latein und Griechisch. Mit 21 macht er seinen Abschluss und lernt im englischen Cambridge und in Göttingen eine völlig neue Physik kennen, die Quantenmechanik. In der Physik ist Göttingen damals der Nabel der Welt. Mit 23 schreibt er dort innerhalb von drei Wochen auf Deutsch seine Dissertation. Mit 24 ist er an zwei kalifornischen Universitäten Professor. Kein Pionier in seinem Fach, aber ein glänzender Organisator.

Am 5. August 1945 verwüstete die erste Atombombe die japanische Stadt Hiroshima und die zweite Nagasaki. Unter dem glühenden Pilz verbrannten und verstrahlten weit über 100.000 Menschen. Weitere Zehntausende hatten und haben, sofern sie überhaupt noch leben, zum Teil bis heute bleibende Schäden. Die genetischen Defekte reichen häufig in die nächste Generation. Die Bombe wurde weltweit zum Menetekel für die Hybris des Menschen, sich und alle andere Leben auf dem Planeten innerhalb weniger Minuten auslöschen zu können.

Deutsche Physiker wie Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker hatten nach dem Krieg immer wieder behauptet, den Bau einer deutschen Bombe mit Blick auf das verbrecherische Regime Hitlers nur zögerlich vorangetrieben zu haben. Doch das war, wie eine größere Öffentlichkeit erst in den vergangenen Monaten erfuhr, nur die halbe Wahrheit.

Der Berliner Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch veröffentlichte im März ein Buch namens "Hitlers Bombe". Darin beschrieb er, wie verschiedene andere Gruppen im Auftrag von Heer und SS bis 1945 versucht hatten, die Bombe zu konstruieren. Es sei, meinte Karlsch, in Thüringen sogar zu einem ersten atomaren Waffentest gekommen. Das ist freilich umstritten. Dieter Hoffmann, Professor für die Geschichte der Physik am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin:

" Es ist ein interessantes Buch, es sind viele interessante Mosaiksteine von ihm historisch korrekt zusammengetragen worden, aber das Bild, was er macht, das ist geprägt durch diese Sensation, Auflage zu machen. Es gab keine Atombombe, keine deutsche Atombombe. Alles, was er schreibt, ist spekulativ. Aber trotzdem ist das Buch interessant genau in der Richtung, dass man sich in Deutschland entgegen der bisherigen Meinung und der Legenden um die vermeintliche deutsche Atombombe doch sehr intensive und sehr konkrete Gedanken gemacht hat um eine Bombe und da scheinbar sehr weit gekommen ist, aber wohl nicht bis zu einem Test. "

Später haben dann deutsche Wissenschaftler und Ingenieure doch noch Atombomben gebaut, aber für den einstigen Feind.

Die Bombenschmiede im Kaukasus


Kurz nach dem Angriff auf Hiroshima und Nagasaki veröffentlichten die USA den so genannten Smyth-Bericht, in dem allgemein verständlich das Manhattan-Projekt beschrieben wurde. Mit Blick auf die hunderttausend Toten in Japan sollte die amerikanische Öffentlichkeit erfahren, warum die USA diesen grausamen Weg genommen hatten. Auf technische Einzelheiten ging der Report nicht ein. Kein Ingenieur hätte aus dem Smyth-Bericht eine Bombe bauen können. Umso mehr waren die Vereinigten Staaten entsetzt, als sich 1949 die Sowjetunion ebenfalls als Atommacht präsentierte.

"Es war Berija, der das Projekt geleitet hat, der darauf bestanden hat, dass sie einfach eine Kopie von der amerikanischen Bombe machen, so schnell wie möglich. Jedes Mal, wenn man der zweite ist, etwas zu tun, ist es viel einfacher und schneller,"

...einfach zu kopieren und nicht das Rad neu zu erfinden, meint Mark Walker, Wissenschaftshistoriker am Union College in Schenectady, New York. Der sowjetische Geheimdienstchef Lavrenti Berija tat taktisch das einzig Richtige, nach Beginn des Kalten Krieges den waffentechnischen Vorsprung der USA durch schlichtes Abkupfern möglichst rasch aufzuholen. Die Physiker des eigenen Landes wussten zwar durchaus, was in Otto Hahns Kernspaltung steckte, hatten aber selbst bis 1946 keinerlei Versuche dazu unternommen. Von ihnen hatte Berija also allenfalls theoretische Beiträge zu erwarten. Die praktischen Vorerfahrungen bezog er aus dem Ausland.

Und zwar auf zwei Wegen. Einmal durch Agenten. Die Sowjetunion strickte in den Vereinigten Staaten ein weit reichendes Spionagenetz. Die wertvollsten Hinweise auf die amerikanische Atombombentechnik lieferte aber der deutsche Emigrant Klaus Fuchs. Doch gewann damit der sowjetische Bombenbau nicht an Tempo, denn die Wissenschaftler trauten sich nicht, einfach nach den amerikanischen Bauanleitungen vorzugehen. Sie experimentierten lieber nach den gelieferten Vorlagen, und das dauerte. Richtig vorangetrieben haben die Aufholjagd, wenn auch eher unfreiwillig, deutsche Wissenschaftler, die die Sowjets zwangsrekrutiert hatten:

Walker: "Die Liste von deutschen Spezialisten enthält viele Naturwissenschaftler, die vor- oder nachher eine großen Namen hatten, Manfred von Ardenne, Niklaus Riehl, Karl Zimmer, Thiessen, Max Steenberg, Heinz Badig, Gustav Hertz, Nobelpreisträger und viele andere. Es waren nicht nur sehr gute Naturwissenschaftler, ich meine sehr bekannte Naturwissenschaftler. Es waren Naturwissenschaftler, Ingenieure, Techniker, insgesamt vielleicht 2000 Mann. Sind von Deutschland nach Sowjetunion gegangen, und haben an allen möglichen Aspekten des Projekts gearbeitet."

Dazu kamen Raketentechniker aus dem ehemaligen V2-Projekt. Als der Kalte Krieg ausbrach, wurde nämlich rasch klar: Atombomben müssen in weit reichende Fernlenkträger eingesetzt werden, um den Feind jenseits des Eisernen Vorhangs zu treffen. Einer der deutschen V2-Spezialisten war der Ingenieur Helmut Banas. Er erzählt, wie großzügig die Sowjets Familie und den ganzen Hausstand mitgenommen haben:

"Es kam ja restlos alles mit, alles aus Dessau. Ich habe meinen Schreibtisch so vorgefunden, wie ich ihn verlassen habe, noch mit der Schokolade, den Keksen und den Bonbons. Die haben mir die Seifenschale dort hingestellt, wie ich es verlassen habe."

In Suchumi am Schwarzen Meer entstand eine geheime Denk- und Versuchsfabrik. Dort arbeiteten über hundert deutsche Spezialisten in einer fast paradiesischen Umgebung am Fuße des Kaukasus direkt am Meer in ehemaligen Erholungsheimen, die aber mit Stacheldraht umzäunten waren. Geheimdienstchef Berija soll den Wissenschaftlern mit Erschießung gedroht haben, falls sie die Bombe nicht bis zu Stalins 70. Geburtstag am 20. Dezember 1949 fertig hätten. Manfred von Ardenne, früher in Berlin Radiotechniker, in Suchumi dann Atomforscher und schließlich in der DDR Krebsbekämpfer, beschrieb sich in seiner viel gelesenen Autobiographie dabei als führenden Forscher.

Die Wissenschaftsgeschichte sieht das inzwischen anders. Mark Walker und Dieter Hoffmann halten Nikolaus Riehl für wesentliche bedeutender:

Walker: "Nikolaus Riehl war Industriephysiker, Student von Lise Meitner, er war Industriephysiker bei der Auer-Gesellschaft; und schon während des Krieges hat er Uran gereinigt und hergestellt für das deutsche Uranprojekt. Er hat mit anderen deutschen Kollegen die Uranfabrik für die Sowjetunion gebaut, und hat das so effizient getan, viel effizienter als die sowjetischen Kollegen, die das Gleiche gleichzeitig versucht haben. Er konnte sehr früh sehr reines Uran liefern; und das hat bestimmt die sowjetische Atombombe erheblich beschleunigt."

Hoffmann: "Er hat auch die höchste Auszeichnung der Russen bekommen Eine andere wichtige Sache waren die Leute, die sich mit der Produktion von schwerem Wasser, das war Vollmer und seine Gruppe und die Gruppe um Steenbeck, die Isotopentrennung gemacht haben. Die Isotopentrennung, die Steenbeck gemacht hat, kam bei den konkreten Entwicklungen nicht zum Tragen, da hat man die Kaskadenmethode von Gustav Hertz, der auch zu den Spezialisten gehörte, genommen, die aber die brutalste und kostenaufwändigste Methode ist, aber Steenbeck hat die Ultrazentrifugen entwickelt, und die sind heute die wichtigste Quelle, um Uran anzureichern."

Auch Frankreich hatte sich aus seiner Besatzungszone deutsche Atomwissenschaftler und V 2-Raketeningenieure ins Land geholt. In einer ehemaligen Waffenfabrik im Wald von Vernon,hatten die die Grundlagen zur Force de frappe zu legen.

Quasi alle Siegermächte hatten also wissenschaftliches Personal aus Deutschland mitgenommen, die sie beim Bombenbau unterstützten. Nur Großbritannien nicht. Zwar hatte die Royal Army nach dem Krieg die Elite deutscher Atomforscher in Farmhall ausgehorcht, wieweit sie mit dem Bombenbau während der Nazi-Zeit gekommen war. Doch ließ sie die Berühmtheiten wie Otto Hahn, Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker wieder ins besetzte Land zurückkehren. Die Briten setzten offenbar lieber auf eigene Fachleute als auf ehemals feindliche Physiker.

Im September 1949 registrierte ein amerikanisches Spionageflugzeug den ersten sowjetischen Atombombentest. Washington war konsterniert und zutiefst beunruhigt. Nicht nur waren die Vereinigten Staaten jetzt nicht mehr die einzige Atommacht. Was schlimmer war: der Kalte Krieg lief nun auf eine gegenseitige existenzielle Knebelung hinaus: "Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter." Die Amerikaner hatten ihre bisherige splendid isolation verloren; sie waren tödlich verwundbar. Robert Oppenheimer sagte es der amerikanischen Öffentlichkeit unumwunden:

" Ich bin gefragt worden: ist es möglich, während einer einzigen Nacht in den zwanzig größten amerikanischen Städten durch Atombomben 40 Millionen Amerikaner zu töten? Ich muss Ihnen leider die Antwort geben: ja. Die einzige Hoffnung für die Sicherheit unserer Zukunft liegt in der vertrauensvollen und wohlwollenden Zusammenarbeit mit den anderen Völkern der Erde."

Bald warteten mit Atombomben bestückte Interkontinentalraketen in unterirdischen Silos darauf, per Knopfdruck in Richtung Moskau oder Washington geschickt zu werden, und zwar so viele, dass man die ganze Erde damit mehrfach verwüsten könnte. Da dämmerte es Strategen und Politikern auf beiden Seiten: einen großen Krieg kann es nur durch einen fatalen Zufall oder gar nicht mehr geben.

Hoffmann: "Damit ist im Grunde das Mittel des Krieges durch die Atombombe obsolet geworden."

Ausverkauf in den Atomfabriken


Der Kalte Krieg hat nur zwei, wenngleich zweifelhafte Vorteile gehabt. Er hat Menschen, die dergleichen brauchen, ein klares Feindbild vermittelt und: er hat die Protokolle atomarer Waffenproduktion sicher in den Safes der Supermächte eingeschlossen. Damit ist es seit der Auflösung der Blöcke vorbei, jedenfalls in Russland. Seitdem dort die Atomwissenschaftler ihre privilegierte Stellung verloren haben und beschämend schlecht bezahlt werden, wandern sie ab. Die meisten in den Westen, einige aber auch in eher zweifelhafte Länder, die erst spät Atommächte geworden sind wie Nordkorea und Pakistan. Dieser Trend dauert an, meint Mark Walker:

"Die Zahl russischer Naturwissenschaftler und Techniker, die in der ehemaligen sowjetischen Nuklearindustrie gearbeitet haben, wird jedes Jahr geringer. Aber Russland hat immer noch eine Nuklearindustrie, und man stellt immer noch neue Leute ein. Solange Russland seine eigenen Kernwaffen behalten will, wird es noch ein Problem sein. Russland hat im letzten Jahr sogar gesagt, dass es seine Kernwaffen modernisieren will. Das Problem ist einfach, dass der Lebensstandard in Russland so niedrig ist und ich sehe nicht, dass sich das in der nächsten Zeit ändern wird. "

Deswegen wird Russland nach wie vor vom berüchtigten brain drain ausgezehrt, von der Abwanderung wissenschaftlicher und technischer Intelligenz. So wie viele deutsche Forscher und Ingenieure nach dem letzten Krieg mehr oder minder freiwillig anderen Ländern beim Aufbau einer Atomraketenarmada geholfen haben, tun russische Kollegen seit 10, 15 Jahren das Gleiche, wenn auch aus finanziellen Gründen:

Hoffmann: "Technokraten sind immer anfällig für Angebote und reflektieren sehr wenig über weltanschauliche oder politische Dinge. D.h. dass solche Leute, und da gibt es Nachweise, dass die dann von solchen Regimes wie Iran, Irak, Nordkorea angeheuert werden, um die Entwicklungen, die man in der Sowjetunion hatte, hier weiter zu machen; und den juckt das nicht, wenn die Kasse stimmt; und dass man die vermeintlich schöne Physik machen kann, ob da nun ein Diktator oder wer immer an der Macht ist."

Inzwischen haben es Iran, Nordkorea oder Pakistan nicht mehr nötig, russische Wissenschaftler anzuwerben, meint William Potter, Professor am Monterey Institute of International Studies im kalifornischen Monterey:

" Junge chinesische und pakistanische Wissenschaftler werden in westlichen Universitäten ausgebildet und bleiben entweder oder kehren in ihre Länder zurück und bringen ihre Kenntnisse auch in Rüstungsprogrammen an. Das passiert, weil unsere akademische Ausbildung grundsätzlich offen ist, und wir tragen noch die Kosten dafür."

Im Übrigen genügt heute ein Physikstudium, um die Anleitung zum Bau einer Atombombe zu verstehen. Und die steht heute bereits im Internet. Einmal bei Google eingeben "Anleitung Atombombe", kommt auf vielen Seiten etwa der folgende, nicht ganz ernst gemeinte, aber im Prinzip korrekte Text:

"1. Besorgen Sie sich zunächst etwa 50 Kilo waffengeeignetes Plutonium.
2. Ordnen Sie das Plutonium in zwei Halbkugeln an, die etwa vier Zentimeter voneinander entfernt sind. Benutzen sie z.B. Pattex, um den Plutoniumstaub zusammenzukleben.
3. Nun besorgen Sie sich 100 Kilo Trinitrotoluol (TNT).
4. Befestigen Sie das TNT auf den Halbkugeln, die Sie in Schritt zwei geformt haben.
5. Verstauen Sie nun das Ergebnis Ihrer Bemühungen in einem Behälter.
6. Um die Bombe zur Explosion zu bringen, besorgen Sie sich eine Fernsteuerung, wie man sie für Modellflugzeuge und kleine Autos verwendet. Mit geringer Mühe bauen Sie einen ferngesteuerten Kolben, der auf eine Sprengkapsel schlägt und so eine kleine Explosion auslöst.
7. Im Prinzip wird die Bombe gezündet, wenn das explodierende TNT das Plutonium zu einer kritischen Masse zusammenpresst. Die kritische Masse führt dann zu einer Kettenreaktion, ähnlich derjenigen umfallender Dominosteine. Die Kettenreaktion löst dann prompt eine große thermonukleare Reaktion aus. Und schon haben Sie eine 10-Megatonnen-Explosion! "

Bückware Uran

Potter: " Was sich in den letzten Jahren geändert hat: nicht staatliche Akteure haben sich im illegalen Uranhandel engagiert, sondern Firmen, Privatleute. Die betreiben das nicht notwendigerweise mit derselben Kenntnis wie staatliche Organisationen ihrer Länder. Das wurde offen sichtlich, als Irans Atomwaffenprogramm ans Tageslicht kam, und wurde erst recht deutlich, als das Netzwerk des pakistanischen Nuklearbeschaffers Abdul Qadeer Khan aufflog. Dazwischen gibt es noch eine Reihe von Mittelsmännern wie Händler, Transporteure und Broker, die alle mit dem Uran zu tun haben bis zum Endabnehmer. "

William Potter ist Direktor des Center for Nonproliferation Studies in Monterey, Kalifornien und reist für die Internationale Atomenergiebehörde regelmäßig nach Russland, um sich die Bestände an waffenfähigem Uran zu protokollieren. Bei allem berufsbedingtem Misstrauen räumt er ein, dass in vielen Lagern und Labors korrekt Buch geführt wird und nichts unter der Hand verschwindet. Aber im militärischen Sektor wird ihm der Einblick verwehrt. Dort herrschen zum Teil katastrophale Verhältnisse. An eine ordentliche Kontrolle ist nicht zu denken, und die Soldaten sind zum Teil so demoralisiert, dass sie für ein paar Rubel verscherbeln, was ihnen in die Finger kommt.

Potter: " Ich fürchte, einiges Material wird in Wochenendhütten, Datschen, auf Balkonen und in Wohnungen versteckt. Die Leute warten darauf, bis sie es an den Mann bringen können. Das eigentlich Gefährliche ist dann, dass Mittelsleute Partys veranstalten, Händler einladen und über die Kontakt bekommen mit denen, die dieses Material haben. Da finden auch Terroristen offene Türen, an das Material herankommen. "

Waffenfähiges Material allein tut es nicht. Selbst für die kleinste Atomrakete braucht man einen komplizierten Maschinenpark. Es waren und sind vielleicht immer noch Firmen aus Deutschland, die entsprechendes Gerät in zweifelhafte Ländern liefern, Firmen aber auch aus Frankreich, aus Großbritannien, aus den Vereinigten Staaten, also aus jenen Staaten, die alle die Verträge zur Nichtweitergabe von Atomwaffen unterzeichnet haben. Diese Unternehmen handeln, wie sich im Fall Iran und Libyen gezeigt hat, illegal, aber teilweise auch legal, denn viele Teile werden nicht allein zum Atombombenbau gebraucht. Der pakistanische Regierungsberater Abdul Qadeer Khan hat mit seinem internationalen Netzwerk nicht nur seinem Land die Atombombe verschafft, sondern entsprechendes Material auch an Libyen und in den Iran verkauft. Ein Skandal, der 2004 aufgeflogen ist:

Potter: " Wenn Sie sich mal die Liste für eine Gaszentrifuge anschauen: alles, der Ringmagnet, bestimmte Stahlteile, die Geräte zum Formen des Durchflusses, die Vakuumpumpen, die Rohre, die Ventile und viele andere Teile, alle diese technischen Einrichtungen, die nötig sind für ein Gaswerk, hatte das Khan-Netzwerk beschafft. Eins kam von Pakistan, etwas Anderes von Firmen aus Malaysia, die Schlüsseltechnologien liefert, wieder Anderes von Firmen in Deutschland, Japan und möglicherweise auch aus Südafrika. Alles wurde von diesem Khan-Netzwerk koordiniert. "

Ein Potentat wie Nordkoreas Kim Jong Il hat offenbar es nötig, sich mit der Bombe vor der Weltöffentlichkeit aufzublasen: "Seht, wie schrecklich mächtig ich bin". Solche Leute sterben ebenso wenig aus wie jene, die für Geld oder Ideologie solchen Diktatoren ihre Fachkenntnis liefern. Deswegen wird die Atombombe nicht mehr aus der Welt zu schaffen sein. Der einzige Trost: die Bombe haben und mit ihr drohen ist wohl wichtiger als sie werfen. Denn immer noch gilt wie seit dem Kalten Krieg: wer als erster schießt, stirbt als zweiter.

Mark Walker ist zuversichtlich: er glaubt, dass vielleicht der eine oder andere Bomben-Infizierte mal daran denkt, wozu die Bombe eigentlich nützt:

Walker: "Was nützt es, dass Nordkorea ein paar Atombomben hat? Es ist nützlich, um Nachbarländer abzuschrecken, ist nützlich, um die Amerikaner zum Handeln zu zwingen, und vergessen wir nicht: man rechnet den Präsidenten von Nordkorea nicht unter die vernünftigsten Präsidenten der Erde. Was würde es ihm nützen, so etwas zu tun? Sogar einem Warlord oder Terroristen? Ich kann mir gut vorstellen, leider, dass irgendjemand, irgendeine Gruppe so eine Waffe mal einsetzen wird, aber ob es am Ende ihre Ziele erfüllen wird, ob es am Ende nützlich sein wird, das bezweifle ich. Kommen wir auf den Angriff auf das World Trade Center, was ja schrecklich war. Aber kann man heute eigentlich sagen, dass es gut für Al Qaida gewesen ist, dass sie das getan haben? Ist ihre Lage besser als vorher? Ich würde das nicht glauben ."