Trickser, Scharlatan und Schwätzer

06.06.2013
Hans-Peter Riegel räumt auf mit Gerüchten und Vermutungen und entlarvt den "Jahrhundertkünstler" Joseph Beuys. Riegels "Beuys" ist stilistisch kein Meisterwerk, wirkt aber auf der Faktenebene überzeugend.
Der Wirbel um das neue Buch des Schweizer Autors, Fotografen und Art-Director Hans-Peter Riegel ist gewaltig. War Joseph Beuys tatsächlich ein Anti-Demokrat? War er ein Anhänger völkischer Lehren? War der Mann mit dem Hut gar ein verkappter Nazi? Die Debatte in diesem Frühjahr konzentriert sich reflexhaft auf die wunden deutschen Punkte. Nicht so Riegel in seinem Buch. Er will dem "Jahrhundertkünstler" Beuys nicht nur rechte Tendenzen nachweisen (das auch), sondern ihn überhaupt als Trickser, Scharlatan und Hohlschwätzer entlarven. Riegels Abneigung ist jederzeit spürbar, genauso indessen seine Kompetenz.

Hatte Beuys in diversen Lebensbeschreibungen, angefangen mit seiner Geburt, die "Verkettung von Legenden" befördert, nimmt Riegel sie wieder sorgfältig auseinander. Dass der WK-II-Flieger Beuys nach einem Absturz keineswegs von Tataren gerettet und in Filz gepackt wurde, wissen mittlerweile viele. Wenige aber, dass sich Beuys für zwölf Jahre bei der Nazi-Luftwaffe verpflichtet hat, dass er sich mangels Abitur sein Studium an der Kunsthochschule Düsseldorf erschleichen musste oder dass er neben seiner Ehe jahrelang eine Zweitbeziehung mit der britischen Kunstkritikerin und späteren Aktivistin Caroline Tisdall unterhielt. Kurz: Riegels "Beuys" ist stilistisch kein Meisterwerk, wirkt aber auf der Faktenebene überzeugend.

Was die Kritiker nun aufregt, ist Riegels eindeutig abfällige Interpretation, die sich im Laufe von 600 Seiten allmählich verdichtet. Er charakterisiert Beuys als fanatischen Jünger des Anthroposophie-Paten Rudolf Steiner, mit dem er an den "deutschen Genius", die "Auferstehungskraft des deutschen Volkes" und sonstige völkische Dogmen geglaubt haben soll. Im Blick auf Beuys' avantgardistische Kunstwerke und sein Engagement für Demokratie scheint diese Unterstellung zweifelhaft.

Aber Riegel nimmt Beuys' Werke weit weniger wichtig als Beuys' Worte (darunter Sentenzen wie "Auch Hitler war ein Künstler, ein großer Aktionist"). Schon Zeitzeugen fanden Beuys' mündliche Einlassungen voller stolzer Begriff und nebulöser Zusammenhänge inkonsistent, schriftlich zitiert nimmt die Verworrenheit noch zu - und Riegel schlachtet sie nicht als erster aus. "Nahezu jeder Satz ist, für sich genommen, sinnlos", zitiert Riegel den Kunsthistoriker Rolf Wedewer, lässt das aber nicht als Entschuldigung für Beuys Liebäugelein mit rechtem Gedankengut gelten.

Tatsächlich entscheidet sich die Beurteilung von Riegels Buch an der Frage, ob sich Beuys' gesamtes Schaffen in seiner esoterischen Rhetorik konzentriert oder diese nur ein krudes Nebengeräusch seines Kunstschaffens ist. Beuys-Fans werden Riegel vorhalten, tote Worte zu fleddern, jedoch kein Gespür für die Kunst in ihrem Gesamtanliegen zu haben. Der Fall bleibt ein Grenzfall, weil Beuys selbst, wie Riegel vorführt, stets Diskurshoheit beansprucht hat und von seiner planetarischen Klugheit überzeugt war.

Unstrittig ist, dass Beuys zu Lebzeiten analytische Schwächen oft durch Charisma und Überzeugungskraft wettmachen konnte. Nach einem Fernsehauftritt 1970 konstatierte der Kunsthistoriker Wieland Schmied: "Der Beuys hat den meisten Quatsch erzählt, aber er hat als Einziger seine ganze Person in die Waagschale geworfen." - Manchmal enthält ein einziger Satz eine Kurzbiografie.

Besprochen von Arno Orzessek

Hans-Peter Riegel
Hans-Peter Riegel hält nicht besonders viel von Beuys.© dpa / picture alliance / Federico Gambarini
Hans-Peter Riegel: Beuys. Die Biographie
Aufbau Verlag, Berlin 2013
38 Abbildungen
595 Seiten, 28 Euro
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