Trends des jungen Theaters

Von Thomas Koppelt · 11.04.2011
Eine selbstbewusste Arab Queen auf den Straßen von Berlin oder der große Träumer Peer Gynt auf der Suche nach sich selbst. Das sind Stoffe, die junge Regisseure heute interessieren. Das Münchner Festival "Radikal Jung" zeigt die interessantesten Inszenierungen von jungen Regisseuren – die oft schon an den großen Häusern in Wien, Zürich oder Frankfurt am Main laufen.
Kilian Engels: "Es gibt eine ganze Menge von jungen Regisseuren, die schon lange von der Uni weg sind, die seit einigen Jahren sehr erfolgreich im Theaterbetrieb arbeiten, aber noch nicht den Marktwert fürs Theatertreffen haben. Für die wollten wir was tun. Und wir hoffen auch, innerhalb dieser Woche ein bisschen die Perspektiven einer möglichen Theaterlandschaft aufzuzeigen."

Wie könnte sie aussehen, die Theaterlandschaft der Zukunft? Eine Frage, die "radikal jung", das Münchner Festival für Nachwuchsregisseure, und sein Leiter Kilian Engels bereits zum siebten Mal stellen – und die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Nicht zuletzt deshalb, weil das Festival im verflixten siebten Jahr endgültig international geworden ist. Neben Inszenierungen aus Frankfurt, Zürich, Berlin, Wien und Leipzig sind heuer erstmals auch Arbeiten aus dem fremdsprachigen Ausland eingeladen, von Regisseuren, die in anderen Theatertraditionen und mit anderen Erfahrungen aufgewachsen sind, wie zum Beispiel Milos Lolic aus Belgrad. In Serbien, so erzählt Lolic, sind junge Künstler bereits seit einigen Jahren dabei, die Theaterszene zu verändern.

"Wir nennen uns die Nachkriegsgeneration – nicht nur, weil der Krieg vorbei ist, sondern auch deshalb, weil wir die Generation sind, die durch ihn geprägt wurde. In manchen unserer Arbeiten ist dies deutlich sichtbar, in anderen eher versteckt. Der Krieg ist eine Erfahrung, der ich nicht entkommen kann, die zugleich aber auch inspirierend wirkt."

So unterschiedlich die Biografien und Prägungen, die Herangehensweisen und die theatralen Mittel der jungen Regisseure auch sein mögen, es gibt durchaus Gemeinsamkeiten zu beobachten. Viele der in diesem Jahr eingeladenen Produktionen beschäftigen sich etwa mit der Suche nach der eigenen Identität.

Bastian Kraft, der Gewinner des letztjährigen Festivals, konfrontiert Oscar Wildes "Dorian Gray" am Wiener Burgtheater mittels Videoprojektionen mit den vielfältigen Bildern seiner selbst. Heike Goetze lässt Max Frischs "Stiller" am Schauspielhaus Zürich mit der eigenen Vergangenheit brechen und seine Identität verleugnen. Und am Frankfurter Schauspiel schickt Antú Romero Nunes, laut einer Kritikerumfrage der beste Nachwuchsregisseur des vergangenen Jahres, den Träumer und Fantasten "Peer Gynt" auf eine zweistündige Suche nach seiner Bestimmung.

Dass die Frage nach der eigenen Identität junge Theatermacher umtreibt, ist kaum verwunderlich, befinden sie sich doch zumeist selbst noch auf der Suche nach ihrer eigenen Handschrift, ihrer künstlerischen Identität.

"Ich finde nicht, dass ich angekommen bin. Ich hoffe auch, dass ich nie ankomme. Das wäre schrecklich, wenn ich schon wüsste, wie es geht. Ich glaube, dann muss ich sofort aufhören","

sagt Antú Romero Nunes, der sich immer wieder mit dem Problem beschäftigt, wie aus Behauptung Theater werden kann, und dem in seinem "Peer Gynt" das Kunststück gelingt, die technischen Mittel des Theaters zu hinterfragen, zu entlarven, zugleich aber höchst eindrucksvoll vorzuführen. Sein Peer zaubert sich mit einer Nebelmaschine Wolken auf die Bühne, erklärt ein Dutzend Mikrofonständer kurzerhand zum Wald – um gleich darauf die Illusion mit aller Entschiedenheit zu zerstören.

Szene "Peer Gynt": "Was ist das für eine Pathosscheiße hier?"

Auch die gebürtige Nürnbergerin Nicole Oder beschränkt sich auf einfache Mittel, doch kommt sie zu ganz anderen Ergebnissen. Sie hat Güner Balcis Roman "Arabqueen" für die Bühne adaptiert, eine Milieustudie aus der Parallelgesellschaft der Kopftuchmädchen und Integrationsverweigerer, der Zwangshochzeiten und Ehrenmorde.

Am Neuköllner Heimathafen gelingt es Nicole Oder, den schweren Stoff mit vielen witzigen Brechungen zugänglicher zu machen, ihr politischer Ansatz aber bleibt deutlich: Für sie ist das Theater ein gesellschaftlich relevantes Medium. Die junge Regisseurin scheut sich nicht, eine Aussage auf die Bühne zu stellen, ohne sich – wie viele ihrer Kollegen – in die ironische Brechung zu flüchten. Theater, sagt sie, kann die Welt verändern.

""Da glaub ich nicht nur dran, sondern das ist auch der Antrieb dafür, dass ich das mache. Und das funktioniert immer ganz gut darüber, dass man Menschen berührt. Mein Ansatz ist: Ich will im Theater eine Geschichte erzählen, die Menschen trifft und plötzlich gehen Analogien für sie auf, die sie vorher gar nicht erkannt hätten."

"Arabqueen" ist nicht die einzige Arbeit des Festivals, die sich mit dem Thema "Migration" auseinandersetzt. In Nurkan Erpulats Produktion "Verrücktes Blut" zwingt eine Lehrerin eine Theater-AG mit vorgehaltener Waffe dazu, Schiller zu spielen.

"Das Stück der Stunde", schrieb die FAZ über "Verrücktes Blut", das auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde und das durch die Debatte um Thilo Sarrazins Thesen zusätzliche Brisanz erfahren hat. Nicht zuletzt deshalb hat Kilian Engels es nach München geholt.

"Das Theater ist immer ein Spiegel der Gesellschaft, und dieses Festival ist damit eigentlich immer ein Spiegel des vergangenen Jahres. Und in Berlin scheinen bestimmte Impulse gerade von freien Gruppen auszugehen, da werden Themen verhandelt, die das deutsche Stadttheater offensichtlich noch nicht in der Form verhandeln kann, die stellen beispielsweise auch die Frage, wie lange es noch dauert, bis eine türkischstämmige Schauspielerin das Gretchen spielen kann, ohne dass wir darüber nachdenken, was das heißt."

Fragen, mit denen sich nun das Münchner Publikum auseinandersetzen kann. Noch bis Samstag zeigt das Festival "radikal jung", wie vielfältig sie aussehen könnte, die Theaterlandschaft der Zukunft.

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