"Trend zu Unerfahrenheit und Jugend quer durch die Parteien"

Gertrud Höhler im Gespräch mit Jan Christoph Kitzler · 11.05.2011
Die Politikberaterin Gertrud Höhler sieht die jüngsten Personalentscheidungen in der FDP mit Skepsis. Es sei fraglich, ob der designierte FDP-Chef Philipp Rösler das Amt des Wirtschaftsministers genauso gut ausfüllen werde wie sein Vorgänger Rainer Brüderle.
Jan Christoph Kitzler: Der Nebel hat sich gelichtet, und nun zeichnet sich ab, wer in Zukunft die entscheidenden Figuren sind in der FDP. Vor dem Bundesparteitag am kommenden Wochenende in Rostock, an dem die neue Parteispitze gewählt werden soll, sind wichtige Personalfragen gestern schon mal geklärt worden. Birgit Homburger bleibt nicht die Vorsitzende der Bundestagsfraktion, den Job macht künftig ein alter Bekannter, der auch schon als angezählt galt: Noch-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle. Den wiederum wird Philipp Rösler beerben, der auch neuer Parteichef werden will und als Wirtschaftsminister dann weitaus schönere Nachrichten verbreiten könnte als in seinem jetzigen Amt als Gesundheitsminister. Und der wiederum könnte oder wird Daniel Bahr, immerhin ist er schon Staatssekretär. Kommt die FDP mit dieser Personalrochade aus der Krise und reicht es, die Köpfe auszutauschen? Das will ich jetzt mit der Politikberaterin Gertrud Höhler besprechen. Schönen guten Morgen!

Gertrud Höhler: Guten Morgen!

Kitzler: Am Wochenende wird Philipp Rösler neuer FDP-Chef, sind die Personalrochaden jetzt vorher der Beweis dafür, dass er sich schon jetzt geschickt anstellt?

Höhler: Ja, wenn man das so nennen will. Er würde das so sehen, weil er sich ja ein dickes Amt geholt hat, das ihm viel Prestige bringen soll. Ob er das kann, fragt bislang niemand, sondern jeder sagt, Befreiungsschlag gelungen. Das wundert mich ganz besonders.

Kitzler: Man hat immer den Eindruck, Rösler will keinem weh tun. Birgit Homburger und Rainer Brüderle zum Beispiel, die wurden ja nicht abgesägt, wie viele auch in der Partei gefordert hatten, sondern weggelobt. Ist Rösler nach dieser Personalrochade – ich sag's noch mal – eher gestärkt oder eher geschwächt?

Höhler: Ja, man muss sehen, ob das immer das Verfahren ist. Es ist auch schon günstig, wenn man mal klare Positionen bezieht und die Leute sich daran wirklich stoßen müssen. Er ist sehr verbindlich und im Moment wirkt das noch wie eine besondere Tugend, aber ich muss sagen, was für ihn dabei herausgekommen ist, ist ja eigentlich eine Ämterhäufung, und dem sollten wir uns mal zuwenden. Und obendrein scheint ein Trend zu Unerfahrenheit und Jugend ja quer durch die Parteien zu gehen. Das heißt, das schwierigste Amt geht jetzt sozusagen an einen der Jüngsten. Ich schätze Herrn Bahr sehr, aber die Karrieren werden zu sehr beschleunigt, da wird hochgestolpert, und ich fürchte, das, was die FDP eigentlich schaffen müsste – und dazu sage ich nachher noch einen Satz –, das kann man auf diese Weise nicht schaffen.

Kitzler: Heißt das, Sie hätten Herrn Rösler zu anderen Personalentscheidungen geraten?

Höhler: Ja, das hätte ich sicher, weil wir müssen Folgendes sehen: Die hatten einen vorzüglichen Wirtschaftsminister, dieser Wirtschaftsminister hat an allen wichtigen Wendepunkten dieser kurzen Regierungszeit der Koalition die richtigen Entscheidungen durchgesetzt. Es ist sehr die Frage, ob Herr Rösler, auch wenn er sich Rat beim Brüderle holt, das genauso können wird.

Kitzler: Auf der anderen Seite, Rainer Brüderle ist ja bisher nicht durch große programmatische Erneuerung der Liberalen aufgefallen. Jetzt soll er die Fraktion führen, eine entscheidende Position. Täuscht der Eindruck, dass er vielleicht der Falsche am falschen Ort ist?

Höhler: Nein, ich könnte mir vorstellen, er kann auch das, und bisher war es ja nicht seine Aufgabe, primär die FDP neu aufzustellen, sondern eine gute Wirtschaftspolitik zu machen, was in Deutschland nicht immer einfach ist, wenn Sie an das Opel-Thema zurückdenken. Ich glaube, das wird eines Tages noch erkannt werden, dass der Brüderle eine ganz hohe Kompetenz für die Gegenstände seines Amtes hat. Und das ist ja nicht gering zu achten, auch in der Politik. Und jetzt setzt man wieder ganz unerfahrene Leute, wenn wir vom Bahr absehen, der hat eine gewisse Erfahrung in der Gesundheitspolitik, aber man setzt einen unerfahrenen Philipp Rösler auf das Wirtschaftsressort. Und das kann ja nicht so sein, dass er wegen der tollen Konjunktur dann auch Lorbeeren erntet.

Kitzler: Eine Kritik war ja auch aus der FDP: Das Profil ist zu eng, die Liberalen werden nur noch als Steuersenkungspartei wahrgenommen – und auch selbst da haben sie ja nicht geliefert, nach der letzten Wahl. Was erwarten Sie denn, wird die FDP sich nun breiter aufstellen?

Höhler: Das hat sie sicher vor. Dieses Wort liefern, das geistert ja durch die ganze Debatte, das ist mir so ungeheuer wichtig. Die Partei hat es versäumt, ihrem Koalitionspartner wirklich ernsthaft vorzuhalten, dass dieser stärkere Partner, sprich die Bundeskanzlerin, die Partei, mit allen Versprechen dem Koalitionsvertrag von dieser Partei gegeben wurden, nicht zum Zuge kommen ließ. Und wenn man das nicht tatsächlich auch diskutiert, sondern nur so ein Peace-Keeping macht, dann ist die Gefahr, dass man weiter so unbedeutend bleibt, wie das in diesen anderthalb Jahren mit einem ungeheuren Absturz in der Wählergunst passiert ist.

Kitzler: Was heißt dann das eigentlich jetzt für die Bundesregierung? Bundeskanzlerin Merkel hat ja bisher dem Treiben eher zugesehen aus der Ferne, gestern hat sie gesagt, das Vorgehen war hilfreich. Wird ab jetzt wieder regiert?

Höhler: Na ja, also wir müssen mal wissen, was hinter diesem "hilfreich" an Gedanken steckt. Es könnte doch sein, dass die Kanzlerin einen schwachen Koalitionspartner besonders schätzt. Nur ihr Blick in die Zukunft ist dabei nicht ausgeprägt genug. Denn mit welchen Partnern will sie in Zukunft regieren? Hat sie sich klargemacht, wie unbequem die Grünen sind? Sie will nicht wieder in die Große Koalition, so hört man. Aber im Ganzen ist es höchst ungewöhnlich und erstmalig, dass ein Regierungschef, hier eine Chefin, den gewählten und bevorzugten Koalitionspartner in dieser Weise schwächt. Und das wird nie diskutiert. Das ist aber die Wahrheit.

Kitzler: Heißt das, dass jetzt das Regieren für die Kanzlerin unbequemer wird?

Höhler: Das nimmt sich die FDP wahrscheinlich vor. Und unbequem kann ja auch heißen, Qualitätsschub nach oben – dann wäre das gut.

Kitzler: In den letzten Tagen war ja deutlich immer wieder zu hören, auch aus Kreisen der führenden Liberalen, nach dem kommenden Wochenende, nach dem Parteitag in Rostock soll endlich Schluss sein mit den Personalfragen. Es soll wieder um die Inhalte gehen. Sehen Sie da gute Chancen jetzt?

Höhler: Es gibt Leute wie Herrn Lindner, der ja auch weise auf seinem Platz bleibt und nicht diesen tollen Aufstieg plant – jedenfalls noch nicht jetzt, ich weiß es auch von ihm selbst – die das vorhaben ... und jetzt fragt sich, wie weit wird das gelingen, wie weit wird es auch gelingen, in diesem Themenchaos, das die Regierung zu bewältigen hat, in den Streitigkeiten um Rettungsschirme und so weiter. Und die Partei müsste ungeheuer stark sein und ungeheuer gute Köpfe haben, wenn es ihr gelingen sollte, sich da besser zur Geltung zu bringen, mit einem guten liberalen Politikstil.

Kitzler: Aber ich fasse Sie richtig zusammen, die Köpfe austauschen reicht nicht, jetzt muss die FDP auch inhaltlich liefern?

Höhler: So ist es!

Kitzler: So sieht es eine der profiliertesten Politikberaterinnen in Deutschland – vielen Dank an Gertrud Höhler und einen schönen Tag!

Höhler: Ihnen auch, danke!
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