Treffen im Schneefeld

Von Johannes Halder · 31.05.2009
In einer großen Schau widmet sich der Württembergische Kunstverein in Stuttgart subversiven Kunstpraktiken. Sie entstanden in den 60er- und 80er-Jahren unter den Bedingungen von Militärdiktaturen und kommunistischen Regimes in Europa und Südamerika. Gezeigt werden künstlerische Positionen aus neun Ländern.
1981 explodierte im damals kommunistisch regierten Ungarn eine Atombombe. Eine kleine nur, symbolisch, in einem Zimmer der Künstlergruppe "Interdisziplinäres Denken", und die künstliche Pilzwolke aus schmutziggrauer Industriewatte füllte den Raum bis unter die Decke. Man kann sich ausmalen, was die Schöpfer dieser Protestaktion gegen die nukleare Bedrohung damals an Repressalien erwartete.

Ein Protestschilderwald aus 127 mit Parolen beschrifteten Tafeln des Künstlers Gyula Pauer jedenfalls existierte im Sommer 1978 nur einen Tag lang, dann wurde das Werk von den Behörden zerstört, kaum dass der Künstler vom Schauplatz geflüchtet war. In Stuttgart hat man es jetzt nachgebaut, die Tafeln baumeln von der Decke im Foyer des Kunstvereins, und schon sind wir mittendrin im Widerstand, im Untergrund der Avantgarde.

Es wäre interessant zu wissen, wie viele behördliche Aktenvermerke, Verhaftungen Verbote und Verhöre, Schikanen, Strafen und womöglich Folter oder schlimmere Schicksale hier versammelt sind. 80 künstlerische Positionen jedenfalls sind zu sehen, aus neun Ländern, und ebenso viele Teams von Kuratoren waren tätig, um all die Werke aufzufinden, die ja oftmals notgedrungen darauf angelegt waren, möglichst wenig Spuren zu hinterlassen.

Kennzeichnend für die kreative Guerrilla-Taktik dieser Werke waren die kollektive Arbeitsweise, der Austausch über postalische Netzwerke wie Mail-Art, konzeptuelle Verfahren oder der Einsatz des eigenen Körpers. Kuratorin Sabine Hänsgen beispielsweise hat sich für die Sowjetunion auf ein einziges Phänomen konzentriert, die Performancegruppe "Kollektive Aktionen":

"Das habe ich getan, weil Performances eine ganz wichtige Rolle spielten in der Sowjetunion, zur Schaffung eins alternativen Kommunikationsraumes jenseits der Staatskultur. Und diese inoffiziellen Künstler haben nun andere Räume für sich entdeckt, und dort ihre Aktivitäten entfaltet, so spielen etwa der Naturraum um Moskau herum, private Wohnungen und Ateliers eine ganz große Rolle."

Über 60 Aktionen hat die Gruppe durchgeführt, darunter ein demonstratives Treffen in einem unberührten Schneefeld, ein simpler, minimalistischer Akt, der aber natürlich gegen das Versammlungsverbot verstieß. Wie Künstler sich mit Phantasie und Frechheit ihre Freiräume erkämpften, erzählt Kuratorin Anne Thurmann-Jajes am Beispiel der vier so genannten "Autoperforationsartisten" aus der DDR:

"Das Problem in der DDR war, auch die Zugänge zur Universität waren ja genau festgeschrieben, so und so viel Studenten, und die mussten eigentlich durchhalten. Es sind aber sehr viele abgesprungen aus unterschiedlichen Gründen, so dass nur noch vier von diesen Studenten übrig blieben. Die konnten jetzt aber auch nicht geschasst werden. Und sie haben dann als Künstlergruppe Performances gemacht, und sie sind mit diesen Performances durch das System durchgegangen, weil sie das System im Endeffekt genutzt haben für ihre Arbeiten."

Sehr selten freilich war es so einfach, Strukturen auszuhöhlen und das System zu überlisten. In Rumänien etwa waren selbst die individuellen Typenmuster der Schreibmaschinen und ihre Besitzer polizeilich registriert, so dass sich die Urheberschaft getippter Schriftstücke problemlos nachverfolgen ließ.

Die Schau zeigt dennoch viel Geschriebenes und Gedrucktes, zeigt Fotos, Texte, Flugblätter und Filme, Zeitschriften und Zeichnungen, Konzepte und Relikte; sie ist wie ein riesiges Archiv, in dem man Recherchen betreiben und erstaunliche Entdeckungen machen kann. Und auch das Sinnliche kommt nicht zu kurz.

In einem Video-Essay, aufgenommen bei den Amazonas-Indianern am Arara-See, reflektierte der Brasilianer Roberto Evangelista 1979 die Umweltzerstörung und die Ausbeutung der lokalen Bevölkerung. Oder nehmen wir das Nachbarland Peru, das seit 1968 von einer Militärjunta kontrolliert wurde und dessen demokratische Regierung ab 1980 nicht weniger zimperlich gegen den bewaffneten Kampf der Terrororganisation "Leuchtender Pfad" zu Felde zog. "Schiffbrüchige" heißt eine silhouettenhafte Installation aus durchlöcherten Planken von Juan Javier Salazar.

"Die Szene", " sagt Kurator Emilio Tarazona, " "geht zurück auf eine verheerende Überschwemmung an der peruanischen Küste in den 80er Jahren. Sie ist aber auch eine Metapher für den Untergang der Hauptstadt des Landes, für die wirtschaftliche, soziale und politische Krise, die Peru damals erlebte."

Politisch riskant oder ernstzunehmend subversiv war diese Arbeit allerdings zu keiner Zeit, ebenso wenig wie der zu einer Spieluhr im Takt der "Internationale" tanzende Karl Marx, ein völlig harmlos-amüsantes Objekt eines peruanischen Künstlerduos, das in dem Andenstaat freilich den falschen Adressaten hatte.

Ein Problem der Schau ist ohnehin, dass man gelegentlich nicht weiß, wie echt das alles wirklich ist. Manches rekonstruierte Objekt verfälscht die historische Realität, manche Aktion erscheint im Nachhinein glorifiziert.

Interessant ist immerhin, dass die russische Gruppe "Kollektive Aktionen" ihre Aktivitäten mit der Öffnung des Landes keineswegs eingestellt hat, denn unter Repressionen leiden Künstler nach wie vor, nicht nur in Russland. Noch einmal Kuratorin Sabine Hänsgen:

"Für mich ist die Frage wichtig, was bedeuten solche künstlerischen Strategien heute? Und ich denke, in Russland gibt es immer noch und wieder neu Zensur, auch wieder neu politische Repression, und für mich ist eben auch die Frage: Was bedeuten solche Strategien für uns? Deswegen also Einbeziehung von Satellitenbildern dieser Aktionsorte, von oben sozusagen der kosmische Blick, und die Frage: Werden hier nicht auch neu also Prozesse der Globalisierung thematisiert, reflektiert, die uns auch ganz persönlich und selbst betreffen?"

Service:
Die Ausstellung "Subversive Praktiken – Kunst unter Bedingungen politischer Repression 1960er bis 1980er Jahre / Südamerika / Europa" ist bis zum 2. August 2009 im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart zu sehen. Eine Katalogdokumentation erscheint im Herbst.