Traumschiff als Trash-Variante

10.04.2008
Der Schriftsteller Matthias Politycki schiffte sich 180 Tage auf der "MS Europa" ein und umrundete die Welt. Wer nun eine Abrechnung mit einem vermeintlichen Seniorenparadies erwartet, wird enttäuscht: Seine Figuren erinnern eher an Quietscheentchen-Kalauer eines Herrn Müller-Lüdenscheid. Einzig die Beschreibungen der realen Reiseziele ist recht vergnüglich.
Kreuzfahrten boomen, die Schiffswerften produzieren Luxusliner am Fließband. Und wer träumt nicht davon, gar eine Weltreise zu machen an Bord eines dieser Luxusschiffe. Diesen Wunsch hatte auch der deutsche Schriftsteller Matthias Politycki, zu seinen bekanntesten Romanen gehören "Herr der Hörner" und der "Weiberroman".

2006 schiffte sich also Matthias Politycki auf dem, laut einem Kreuzfahrt-Tester luxuriösesten Traumschiff der Welt, der "MS Europa", ein. Gesponsert von der Reederei, verbrachte er 180 Tage an Bord und fuhr einmal rund um den Globus. Herausgekommen ist der Roman "In 180 Tagen um die Welt".

Was das Schiff angeht, so stimmen die technischen Details: Restaurants und Speisekarten sind authentisch, genannt werden die wirklichen Namen einiger Crew-Mitglieder, zum Beispiel die der Kapitäne, wie auch die einiger realer Personen des öffentlichen Lebens, die als Künstler oder als Gast zusammen mit Politycki an Bord waren wie Udo Lindenberg und Hellmuth Karasek. Und nicht zu vergessen die Häfen der Welt, die das Schiff anläuft, all das ist real.

Vollkommen virtuell aber werden die Passagiere und das Leben an Bord geschildert; den Leser erwartet, was die agierende Personage betrifft, eine Comic-Tour de Force beziehungsweise Farce à la Monty Python ohne Plot und Realität.

Im Fokus des Romans stehen die Dauergäste. Es gibt einige, die praktisch an Bord wohnen, real zu 500 Euro pro Tag. Das Schiff wird zu einem: "SOS-Seniorendorf" für Reiche. Die Stimmung erinnert an die Abendessen in der Luxus-Tuberkulose-Klinik "Berghof" in Thomas Manns "Zauberberg".

So heißen denn die Figuren des Romans auch zum Beispiel Frau Igelbrink, Herr Laufkötter, Malte Wöstenkühler, Graf Harro, Konsul Walder oder Frau Kipp-Oeljeklaus und, nicht zu vergessen, Gottlieb Fichtl, jene Figur, die in dem Untertitel "Das Logbuch des Herrn Gottlieb Fichtl" des Romans auftaucht.

Jener Fichtl ist ein Finanzbeamter aus Passau, der im Lotto gewonnen hat und nun eine Weltreise macht, - der Smoking von Aldi. Für seine Lotto-Tipp-Gemeinschaft zu Hause in Passau führt er ein Tagebuch und wird damit zum Ich-Erzähler. Das Auffälligste an ihm sind seine Krawatten, besonders jene, auf der das World Trade Center prangt. Nach spätestens 50 Seiten hat der Leser allerdings vergessen, dass es Fichtl gibt.

Wer von diesem Roman, der keiner ist, den Atem der Weltmeere erwartet, der wird enttäuscht; er stelle sich eher auf eine Reise mit Herrn Müller-Lüdenscheidt und Dr. Klöbners Quietscheente in der Badewanne ein. Für Trash-Fans allerdings, die es obsessiv nach einer Überdosis aus Zynismus, Slapstick und Kalauer à la "Marx Brothers auf See" verlangt, ist dieser Roman garantiert ein Feuerwerk.

Was ihn trotz seiner Längen sehr konsumierbar macht, das sind die realen Reiseziele, also die Häfen, die das Buch im Zwei-Seiten-Rhythmus anläuft, jeweils mit Foto, die Beschreibungen scharfsinnig und vergnüglich.

Die Realität an Bord des luxuriösesten Kreuzfahrtschiffes der Welt bleibt vollständig außen vor; "In 180 Tagen um die Welt" ist also keine wirkliche Satire auf die Welt der Reichen sondern eher ein rein virtuelles Autodafé einer vermeintlichen Luxuswelt auf einem Pappmaché-Scheiterhaufen.

Rezensiert von Lutz Bunk

Matthias Politycki: In 180 Tagen um die Welt
marebuchverlag, Hamburg 2008
391 Seiten, 24,90 Euro