Trauma Libanon-Krieg

Moderation: Katrin Heise · 15.05.2008
"Waltz with Bashir" - der neue Film von Ari Folman - gilt in Cannes als erster heißer Tipp für die goldene Palme. Folman verarbeitet in dem Animationsfilm seine Erlebnisse als israelischer Soldat im Libanon-Krieg zu Beginn der 80er Jahre. - Ein Gespräch mit den beiden deutschen Produzenten des Films, Gerhard Meixner und Roman Paul.
Katrin Heise: Was fühlt ein Selbstmordattentäter, was bringt ihn zu seiner Tat? Der Film "Paradise Now", der zwei junge Palästinenser auf ihrem Weg zum Anschlag begleitet hat, der machte 2005 nachhaltigen Eindruck. Er wurde für den Oskar nominiert und bekam den Golden Globe. Die Produktionsfirma Razor Film mit Sitz in Berlin hat nun wieder einen Film mit Nahost-Problematik am Start, diesmal in Cannes. Heute Abend läuft Ari Folmans "Waltz with Bashir" im Wettbewerb. Ich begrüße im Studio in Cannes Roman Paul und Gerhard Meixner von Razor Film.
Heute ist sozusagen Weltpremiere, das heißt, ich weiß noch nicht viel über Ihren Film, nur soviel: Es geht um Kriegstraumata aus dem Libanon-Krieg und deren Aufarbeitung. Erzählen Sie uns doch mal mehr.

Der Film erzählt die Geschichte des Regisseurs Ari Folman, der sich einen Abend mit einem Freund in der Kneipe trifft. Dieser Freund erzählt ihm, dass er jede Nacht einen Alptraum von 26 Hunden hat. Im Gespräch kommt heraus, dass das etwas mit dem Einsatz im ersten Libanon-Krieg Anfang der 80er Jahre zu tun haben muss. Ari Folman, der Regisseur, stellt fest, er selbst hat überhaupt gar keine Erinnerung an diese Zeit, und das möchte er ändern. Er spricht daraufhin mit einem befreundeten Psychiater, der ihm sagt, also was du tun kannst ist, sprich mit Kameraden von damals, mit Zeitzeugen und du wirst sehen, was geschieht. Entweder du erinnerst dich, oder du adaptierst fremde Erinnerungen, oder Fantasien werden in dir aufsteigen, die dir vom damaligen Geschehen erzählen. Ari tut das dann auch, er spricht mit Kameraden von damals, besucht sie in Israel, Holland und anderen Orten. Je weiter er diese Interviews führt, desto mehr Bilder steigen in ihm auf, und die Interviews führen eigentlich dann zu seiner eigenen Geschichte am Schluss.

Heise: Das heißt, er arbeitet mit dem Film seine eigene Vergangenheit auf in Form von Interviews und Rückblenden?

Ganz genau.

Heise: Und das Ganze aber als – und das ist das ganz Besondere an dem Film – animierter Dokumentarfilm, als Trickfilm sozusagen. Passt das zusammen, Dokumentarfilm und Trickfilm?

Ja gut, die Beurteilung dessen muss man natürlich den Zuschauern überlassen. Wir finden, dass das sehr, sehr gut zusammen passt. Zum einen, weil Kriegsbilder natürlich durch die Animation etwas ihrer Schärfe enthoben werden, gleichzeitig aber ist es auch ganz schwierig, denn es handelt sich um Erinnerungen, es handelt sich um Vergangenheit, und die kann man real gar nicht darstellen, die sind ja nicht verfilmbar in dem Sinne. Und auf Dokumentationsmaterial aus dieser Zeit zurückzugreifen würde erstens sehr, sehr schwierig werden und zweitens wahrscheinlich auch wahnsinnig teuer. Diese Form der Animation, die passt da also wirklich ganz ausgezeichnet dafür.

Heise: Das heißt, das Kriegsgeschehen und das, was geschehen ist, wird auch nicht verniedlicht, sondern eher erträglich gemacht?

Ganz und gar nicht, das wird nicht erträglich gemacht. Das wäre ja verwerflich. Also das würde auch der Botschaft des Films völlig zuwiderlaufen. Nein, was geschieht ist eigentlich, dadurch dass das Bild für unsere Begriffe für das, was man dort sieht, vollkommen ungewöhnlich ist und teilweise sehr, sehr schön aussieht, eine große Spannung herstellt zu dem, was erzählt wird. Und dadurch sieht man die Dinge neu. Und deswegen ist diese Form unserer Meinung nach auch eine Form, die viel näher an die Realität heranführt, als wenn Ari eine ganz normale Dokumentation darüber gedreht hätte.

Heise: Die man eben auch schon sehr gewöhnt ist. Das heißt aber, dass man sich darauf einlassen muss. Da ist ja auch ein bisschen eine Gefahr drin, dass diese Form des Trickfilms Zuschauer ausschließt, denen vielleicht ein Trickfilm nicht ernsthaft genug ist.

Der Film ist schon an sich sehr ernsthaft. Also ich glaube eigentlich nicht, dass der Zuschauer da in den Film nicht hineinfindet, weil er hat schon eine große Erzählkraft, also ist sehr geschickt gemacht und gebaut.

Heise: Steht die Animation eigentlich auch für Popkultur der 80er Jahre, in denen der Film ja spielt?

Ja natürlich, von seiner Ästhetik und seinen Bildern, die der Film so bietet, ist er schon angelehnt an die Kultur der 80er Jahre. Man erkennt das schon wieder. Gleich sind natürlich auch Songs aus dieser Zeit wie "This is not a lovesong", erinnern einen auch ein bisschen an die eigene Vergangenheit in dieser Zeit. Gleichzeitig, der Film handelt ja nicht nur vom Krieg, der ist ja viel reicher an Erzählungen und Bildern und Geschichten und ist auch nicht nur ein Kriegsfilm, der Bilder vom Krieg zeigt, sondern auch Bilder von Tel Aviv aus dieser Zeit. Und man sieht, wie dort das Leben eigentlich ganz normal weitergeht, wie die Leute in Clubs gehen, wie sie an ihren Videospielen herumhängen in den Spielsalons, und einfach so das ganz normale Leben in der Zeit, was auch so unglaublich widersprüchlich ist, denn da werden diese 18-jährigen jungen Männer und Frauen zum Wehrdienst eingezogen und müssen direkt in den Krieg ziehen. Parallel dazu, wie gesagt, ist das Leben in Tel Aviv ganz normal, geht ganz normal weiter.

Heise: In Erinnerung hat man ja noch Ihren ausgezeichneten Film "Paradise Now". Haben Sie eine gewisse Vorliebe für Themen des Nahen Ostens?

Nein, da hat sich eines aus dem anderen ergeben. Nachdem wir "Paradise Now" produziert und auch weltweit gezeigt haben, haben wir natürlich viele Angebote aus dem Nahen Osten bekommen für Produktionen. Wir haben aber nur bei "Waltz with Bashir" uns gesehen und daran beteiligt. Von daher kann man nicht sagen, dass wir Vorlieben für Themen aus dem Nahen Osten haben. Also das Projekt muss als Ganzes Sinn machen. Und natürlich, wenn man in einer Region angefangen hat zu arbeiten, dann ergeben sich daraus natürlich neue Kontakte.

Heise: Zum Teil kam ja damals Kritik, der Film würde sich zu sehr in die Gedankenwelt der Attentäter hineinversetzen. "Waltz with Bashir" kann ja auch durchaus umstritten sein. Warum begeben Sie sich eigentlich mit ihren Filmen so zwischen die Fronten, setzen sich so bewusst auch einer Kritik aus?

Also wir finden so kontroverse Themen natürlich spannend auf der einen Seite. Wir wollen mit unseren Filmen und den Geschichten, die wir erzählen und aus denen wir Filme machen, neue Perspektiven auch eröffnen. Wir wollen nicht zum hundertsten Mal das Gleiche aus dem gleichen Blickwinkel zeigen, sondern wir wollen einfach ein Fenster öffnen, aus dessen Perspektive man noch nicht auf eine bestimmte Thematik geschaut hat.

Heise: Das ist natürlich für eine Produktionsfirma dann auch immer ein ziemlich großes Wagnis, gerade auch so ein Film.

Ja, ein Wagnis ist jeder Film, muss man einfach so sagen. Für uns zählt eigentlich immer die Geschichte, die uns überzeugen muss, und die Art, wie die Geschichte erzählt wird. Also die Form und die Umsetzung, das ist für uns das Hauptkriterium. Und bei dem Film waren wir eigentlich von Anfang an sofort überzeugt, oder bei dem Projekt ja vielmehr, denn die Geschichte ist unglaublich gut erzählt und die Form ist eine Form, die es vorher noch nie so gegeben hat.

Heise: "Paradise Now" war damals für einen Oskar nominiert, hat den Golden Globe bekommen, ich habe das schon gesagt. War das der berühmte Türöffner für Sie auch als Produktionsfirma?

Ja, das war es absolut. Es war unsere erste Produktion in der Firma, und der Erfolg hat uns ganz sicher Türen geöffnet und sicher auch sehr viel Renommee gebracht. So war man auf einen Schlag auch irgendwie ein bisschen bekannt und hat gezeigt, dass man auch schwierige Projekte zu Ende bringen kann und fertig stellen kann. Aber letztlich muss man auch sagen, fängt man mit jedem Projekt wieder neu an, man muss mit jedem Projekt auch wieder die Finanziers überzeugen, dass es sich lohnt, dabei zu sein. Also auf der einen Seite ist es absolut ein Door Opener gewesen, aber gleichzeitig steigen natürlich dann auch die Ansprüche.

Heise: Welchen Stellenwert hat denn jetzt die Teilnahme in Cannes für Sie, was haben Sie noch vor?

Na, erst einmal den Film heute Abend zu zeigen und eine gute Premiere hier in Cannes zu haben. Vor haben wir, dass der Film weltweit verliehen ist. Also er ist schon in drei Länder verkauft, nach Frankreich, nach England und in Deutschland. Und nun möchten wir natürlich, dass das selbe auch im Rest der Welt geschieht.

Heise: Und konkret auch in Cannes, haben Sie da auch eine Möglichkeit Kontakte zu machen, beziehungsweise wieder Neuentdeckungen zu erleben?

Also das möchten wir im zweiten Teil des Festivals schon machen. Wir sind auch hier noch mit einem anderen Projekt und zwar im Atelier des Festivals, das ist unsere nächste Produktion mit einem ungarischen Regisseur, Benedek Fliegauf. Das wird sein englischsprachiges Debüt. Fliegauf hat letztes Jahr Locarno gewonnen, und wir drehen seinen neuen Film im Herbst auf Englisch, das Projekt heißt "Womb", und dafür sind wir hier nächste Woche.

Heise: Also viel zu tun. Roman Paul und Gerhard Meixner von Razor Film. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch und viel Glück für Ihre Filme dort in Cannes. Der von Ihnen produzierte Film "Waltz with Bashir" läuft heute Abend in Cannes, außerdem eben noch das Filmprojekt "Womb".