Transsexualität und evangelische Kirche

Wie eindeutig ist die Schöpfung?

Ein Piktogramm für Männer- und Frauen-Toiletten
Piktogramm für Männer- und Frauen-Toiletten: Mann, Frau und all das dazwischen. © picture alliance / dpa/ Jens Kalaene
Von Michael Hollenbach · 17.07.2016
Lange galt Transsexualität als Störung. Das ändert sich - langsam. Die Gesellschaft tut sich weiter schwer mit ihnen. Die Kirchen sind da keine Ausnahme. Doch es gibt Theologen, die neue Wege gehen wollen.
"Mein Name ist Elke Spörkel, ich bin fast 60 Jahre alt, und seit 32 Jahren Pfarrerin der Kirchengemeinde Haldern am Niederrhein."
Elke Spörkel hat sich vor sechs Jahren öffentlich dazu bekannt, dass sie ein transsexueller Mensch ist. Es war für sie die entscheidende Wende in einem langen Prozess, der schon in der Kindheit begann, als der kleine Hans Gerd lieber ein Mädchen sein wollte:
"Ich hatte lange Zeit das Bild, dass ich der einzige Mensch bin auf dieser Welt, der so veranlagt ist, heimlich in ein anderes Geschlecht schlüpfen zu wollen."
Hans Gerd Spörkel ließ sich später widerwillig auf die Männerrolle ein - wurde Pfarrer, gründete eine Familie. Doch als Spörkel auf die 50 zuging, wollte sie sich nicht mehr verstecken. Dass sie sich auch äußerlich vom Er zum Sie veränderte – mit einem anderen Haarschnitt, mit gezupften Augenbrauen, mit androgyner Kleidung -, blieb der Gemeinde natürlich nicht verborgen. Irgendwann tauchten Gerüchte auf, der Pfarrer trage Frauenkleider und wolle sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen. Hans Gerd Spörkel fiel in ein tiefes Loch:
"Wenn die Situation so ist, und das war um meinen 50. Geburtstag herum, dass man nicht weiß, wie das Leben weitergeht, ob die Partnerin zu einem steht, die Ehefrau, ob die Kinder zu einem stehen, ich habe insgesamt sieben Kinder, ob das berufliche Umfeld bleibt, ob die Freunde einem erhalten bleiben, dann ist das natürlich eine extreme Krisensituation, die auch mit Lebenszweifeln zu tun hat."

Identitätskrise wurde zur Lebenskrise

Damals war der Punkt gekommen, an dem sie sich offen zur Transsexualität bekannte. Sie durchlitt eine Identitätskrise, die zu einer existenziellen Lebenskrise wurde. Wie Elke Spörkel machen fast alle transidenten Menschen die Erfahrung, dass sie tief fallen, sagt Horst Haupt. Der Neurologe und Psychiater berät transsexuelle Menschen auf ihrem Weg zur Geschlechtsangleichung:
"Eigentlich ist so eine körperliche Angleichung, die transsexuelle Menschen brauchen, kein medizinisches Problem und auch keine aufregende Angelegenheit, denn die plastischen Chirurgen sind gut. Aber es ist die Gesellschaft, die den transsexuellen Menschen meterhohe Hindernisse auftürmt, die sie diskriminiert: Die Hälfte verliert beim Outing ihren Arbeitsplatz, jede Woche wird eine Klientin von mir als Transe zusammengeschlagen auf offener Straße, das ist unglaublich."
Der evangelische Theologe Peter Dabrock ist Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. Er weiß, wie schwierig es ist, das Thema Transsexualität beispielsweise in seiner Kirche zu verankern:
"Solange in den allermeisten kirchlichen und theologischen Stellungnahmen immer noch mit einer Stereotypie und dem Geschlechterdual gearbeitet wird, ohne überhaupt darüber nachzudenken, dass es vielleicht auch Zwischenformen geben könnte, solange muss Transsexualität auch ein Thema für die Kirche sein."
Rückendeckung erhält Peter Dabrock von der Kirchenleitung in Hessen-Nassau. Als erste Landeskirche haben sich die Südhessen auf einer wissenschaftlichen Tagung mit dem Thema Transsexualität befasst. Kirchenpräsident Volker Jung:
"Es geht bei dem Thema sexuelle Vielfalt ganz wesentlich darum, zu erkennen, dass es verschiedene sexuelle Prägungen von Menschen gibt. Sexuelle Prägung heißt dann auch zugleich, dass Menschen sich das nicht ausgesucht haben, sondern dass es ihnen mitgegeben ist, und das ist für mich dann auch eine fundamental theologische Frage. Wir müssen meines Erachtens lernen, dass Schöpfung vielfältig ist, und eben nicht nur eine Binarität von Mann und Frau besteht, sondern dass es einiges dazwischen gibt und deswegen ist es auch eine grundlegende theologische Herausforderung."

"Gott schuf den Menschen in einer Vielfalt"

Wenn es um Transsexualität geht, verweisen konservative Christen immer wieder auf die biblische Schöpfungsgeschichte:
"Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie. Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch."
Für den Gütersloher Theologen Torsten Maruschke gibt es auch eine ganz andere Lesart.
"Wir haben gerade durch die Diskussion vor wenigen Jahren mit der Bibel in Gerechter Sprache gelernt, dass da steht: ‘Und Gott schuf sie männlich und weiblich‘. Und das es eher die Bezeichnung eines Raumes ist, in dem sich Menschen verorten können, wobei männlich und weiblich die beiden Extreme sind und dazwischen ist vieles möglich."
Und Kirchenpräsident Volker Jung erläutert:
"Gott schuf den Menschen als Mann und Frau, aber auch in einer Vielfalt zwischen Mann und Frau. Das ist etwas, was wir neu lernen müssen, und das ist sicher etwas, was durch das biblische Zeugnis so nicht im Blick ist."
Torsten Maruschke hat vor zwei Jahren "QuiKT" ins Leben gerufen: den Arbeitskreis Queer in Kirche und Theologie. "QuiKT" hat mittlerweile ein neues Ritual für transidente Menschen entworfen:
"Ich begrüße Sie und euch herzlich anlässlich der Transition von Max. Wir wollen uns heute daran erinnern, dass Gott uns alle als seine Kinder berufen hat und uns mit seinem Segen begleitet. Das gilt besonders für Max."
Der in einem Ritual vor dem Altar gespendete Segen Gottes soll transidente Menschen auf ihrem oft schwierigen Weg stärken.
Maruschke: "Wichtig sind vor allem zwei Elemente: einerseits der persönlich zugesprochene Segen und andererseits das Gebet vor Gott."
Das Ritual ist bereits mehrfach zelebriert worden; das Interesse sei groß, sagt Pfarrer Torsten Maruschke:
"Ich glaube, dass es bislang in der Transition verschiedene Player gibt. Da sind Mediziner beteiligt, Juristen, Ämter, Psychologen, und die machen alle ihren Job, aber sie haben alle nicht die Möglichkeit, einen feierlichen, einen rituellen Anlass zu schaffen, der diese Lebenswende mit der Würde und dem Gewicht begeht, die ihr angemessen ist. Und das können wir leisten, da können wir theologisch auch sagen: Hier findet ein lebensumstürzender Moment statt, der gewürdigt werden muss."

Ritual für transidente Menschen

Ein neues Ritual, das nicht in allen Gemeinden auf Zustimmung stoßen wird. Denn noch immer kämpfen konservative Protestanten mit der Akzeptanz einer Trauung für homosexuelle Paare. Da könne ein Ritual für Transsexuelle durchaus Sprengkraft entwickeln, sagt Peter Dabrock:
"Wenn man der Auffassung, und zwar nicht aus einem Zeitgeist heraus, sondern aus dem Glauben heraus ist, dass es in der Willensrichtung Gottes ist, jeden Menschen in seinem leiblichen Dasein zu würdigen, dann muss man auch Themen angehen, die Sprengkraft haben."
Seit fünf Jahre geht Elke Spörkel mit ihrer Transsexualität offen um. Sie besucht Schulklassen, spricht vor Seelsorgerinnen und Seelsorgern über das Thema.
"Aber in der eigenen Kirchengemeinde wird das tabuisiert. Man hat sich nie eigentlich mit diesem Thema auseinandergesetzt. Man hat sich immer noch den alten Hans Gerd gewünscht. Und wenn man ihn jetzt als Frau annimmt, ja, dann aber bitte nicht zu offensiv, bitte nicht in Rock, bitte nicht in hochhackigen Schuhen, bitte nicht zu stark geschminkt. Am besten dezent zurückhaltend, dass das Thema nicht immer wieder auffällt."
Für die 59-jährige ist die Transidentität ihr Lebensthema. Doch das Ende ihres Weges habe sie noch nicht erreicht:
"Ich glaube heute auch nicht, dass ich jetzt hundert Prozent Frau bin. Ich glaube, in jedem Menschen gibt es weibliche und männliche Anteile. Bei mir musste es irgendwann raus, dass ich die weiblichen Anteile mehr leben darf. Das ist jetzt passiert und da bin ich sehr dankbar für."
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