Transparenz im OP-Saal

Joachim Hassenpflug im Gespräch mit Marcus Pindur · 04.01.2012
Jede elfte eingesetzte Hüft- oder Knieprothese muss noch einmal ersetzt werden. Das sogenannte Endoprothesen-Register soll Daten von Patienten und Herstellern zusammenführen und damit die Anzahl an erneuten Operationen verringern, erklärt Joachim Hassenpflug, Direktor der Orthopädischen Uniklinik in Kiel.
Marcus Pindur: Immer häufiger also müssen Patienten mit künstlichen Hüft- oder Kniegelenken noch einmal unters Messer, 35.000 Operationen sind das im Jahr, also jede elfte Prothese. Und diese Zahl, die soll sich in Zukunft verringern lassen, nämlich mit einem zentralen Endoprothesen-Register, wie das heißt. Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Professor Joachim Hassenpflug, er ist Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik in Kiel. Und er fordert seit Jahren ein solches Register. Guten Morgen, Herr Hassenpflug!

Joachim Hassenpflug: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Grüße Sie! Was wäre denn mit einem solchen Register zunächst einmal gewonnen?

Hassenpflug: Wir erreichen mit einem solchen Register eine Transparenz über die Ergebnisqualität. Es ist für die Krankenhäuser ja schwierig zu beurteilen, wie der weitere Verlauf der eingesetzten Gelenke ist. Nicht alle Patienten, bei denen ein Problem auftritt in der Folge, in den folgenden Jahren, kommen an das Krankenhaus zurück, wo ursprünglich die Erstimplantation durchgeführt worden ist, sondern das kann auch durchaus woanders gewechselt werden. Und diese Eingriffe zu erfassen und zu kombinieren mit den Ersteingriffen, das ist das wesentliche Ziel eines solchen Endoprothesen-Registers. Daraus wird ermittelt, wie lange eine Prothese im Körper funktioniert, und zwar flächendeckend.

Pindur: Eigentlich müssten solche Prothesen ja bis zum Ende der Lebensdauer eines Menschen halten. Warum gibt es da so viele Abweicher nach unten?

Hassenpflug: Ja, in der Tat muss man eigentlich sagen, so viele sind es gar nicht, also das hatten Sie im Interview ja auch schon herausgearbeitet. Diese zehn Prozent oder elf Prozent beziehen sich auf Operationen, die aktuell jetzt in einem Jahr durchgeführt worden sind. Sie betreffen aber Prothesen, die nicht in dem Jahr unbedingt eingebaut worden sind, sondern durchaus schon viel früher, teilweise 3, 4, 5, 10, 15 Jahre vorher, sodass die Belastung durch die Wechseloperation halt sich im Laufe der Zeit immer weiter aufbaut. Und diese Wechseloperationen sind natürlich für Patienten dann besonders belastend, weil die Patienten sind älter, sie sind in einem schlechteren Allgemeinzustand, und das Risiko eines Wechseleingriffes ist insgesamt größer. Und dieses gilt es zu verringern.

Pindur: Also man könnte das verringern, indem man empirische Daten sammelt über das Register. Da stellt sich die Frage: Warum gibt es ein solches Register noch nicht?

Hassenpflug: Das ist eine sehr schwierige Zusammenführung von Daten. Wir können ja nicht einfach zusätzlich noch neue Datenerhebungen, neue Bürokratie aufbauen, und wir haben mit diesem Endoprothesen-Register hier einen ganz neuen Weg beschritten, indem wir nämlich die Routinedaten, die ohnehin erhoben werden, in dieser Richtung auswerten – das ist das eine. Und das Zweite ist: Wir haben in einer Zusammenarbeit von Kostenträgern, insbesondere unter Initiative der wissenschaftlichen Fachgesellschaft, auch mit Einbindung der Hersteller, von den Herstellern eine Produktdatenbank bereitgestellt bekommen, in der jedes Einzelteil, was als Prothese eingebaut wird, registriert werden kann, sodass wir für alle diese Einzelteile tatsächlich die Überlebenswahrscheinlichkeit festlegen können und die Leistungsfähigkeit beurteilen können. Das war ein relativ schwieriger Weg, die Beteiligten zusammenzubringen, und es war ein schwieriger Weg, das Ganze auch so zu organisieren, dass nicht eine zusätzliche Bürokratie damit geschaffen wird, denn die würde uns nichts nützen.

Pindur: Können Sie denn einschätzen, wie viel man da an Kosten einsparen könnte?

Hassenpflug: Also wenn wir auf die Erfahrungen im Ausland blicken, ist es so, dass wir circa – in Skandinavien, in Schweden insbesondere gibt es das ja schon seit einigen Jahrzehnten –, dass hier bereits sehr früh eine Verringerung der Wechselwahrscheinlichkeit um ein Viertel stattgefunden hat. Das heißt, wenn wir hier bei uns rechnen von 35.000 ein Viertel runter, dann hätten wir schon eine erhebliche Zahl, die wir einsparen könnten. Das wäre einmal, der betroffene Patient würde weniger Risiko ausgesetzt, es würden aber auch dadurch erhebliche Kosten eingespart.

Pindur: Abgesehen davon, es bringt ja auch für die Patienten eine zusätzliche Erleichterung.

Hassenpflug: Die Patienten können bei der Operation, bei der Information über die Operation überhaupt erst einmal erfahren, welche Chance, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es funktioniert langfristig, habe ich mit den verschiedenen Möglichkeiten. Es ist bisher ja so, es gibt viele Studien zu Einzelmodellen, aber es gibt keine Erfassung der Leistungsfähigkeit in der wirklichen Umgebung unter realen Bedingungen. Und das schafft ein solches Register.

Pindur: Haben Sie recht herzlichen Dank! Professor Joachim Hassenpflug, Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik in Kiel.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Links bei dradio.de:

Sprechstunde: Moderne Prothesen
Kassenpatienten profitieren von Entwicklungen im Hochleistungssport


Forschung Aktuell: Erste Schritte mit Roboterhilfe
Wie Exoskelette gehbehinderte Menschen wieder auf die Beine bringen


Elektronische Welten: Schwester, den iPod bitte!
Computergestützte Navigation im OP
Mehr zum Thema